Kristian Wanzl Nekrasov arbeitet nicht nur erfolgreich als Schauspieler („Soko Wismar", „Tod einer Polizistin"), sondern auch als Coach. Im Interview spricht er über Schauspielkunst und nimmt Hugh Jackman unter die Lupe.
Herr Wanzl Nekrasov, Sie sind nicht nur selbst ein erfolgreicher Schauspieler, sondern auch als Schauspiellehrer tätig und bieten unter anderem eine Dreh- und Casting-Vorbereitung an. Wie sieht diese aus?
Ich persönlich verstehe mich eigentlich nicht als Schauspiellehrer, sondern eher als Coach, als kreativer Partner, eher als „Ermöglicher", manchmal auch als eine Art Doktor oder Therapeut. Ich arbeite ja nicht nur mit professionellen Schauspielern. In den letzten Jahren hat sich das Feld enorm erweitert. Zu mir kommen auch Sänger, Musiker, Performancekünstler, Maler, Regisseure, Autoren, Pädagogen oder Businessleute. All diese Menschen bringen natürlich ihren eigenen Erfahrungshintergrund, ihre eigenen Arbeitsweisen und unterschiedlichsten Wünsche mit. Da ist es in erster Linie meine Aufgabe, den jeweiligen Menschen mit seinen beruflichen und auch privaten Konzepten zu verstehen, um dann erste Vorschläge entwickeln zu können, wie ich am besten den jeweiligen künstlerischen oder sonstigen Prozess unterstützen kann. Das Wesentliche, also den Kern des individuellen Bedürfnisses zu erkennen und zu lesen, ist deshalb die Voraussetzung für alles weitere. Allgemein gesagt, spannt sich der Bogen meiner Aufgaben von handwerklicher Hilfe über Unterstützung in der persönlichen Anbindung an das Werk (Rolle, Lied, Bild et cetera) bis hin zur Begleitung bei psychologischen Fragen, wie zum Beispiel der Auflösung von künstlerischen Blocks oder das Gewahrwerden eigener psychologischer Strukturen. Am Ende steht der gemeinsame Wunsch, das individuelle Potenzial voll zu erkennen und auszuschöpfen.
Worin werden Schauspieler in Schauspielschulen unterrichtet?
Nun, leider muss ich sagen, geht es in den meisten Schauspielschulen hierzulande recht „technisch" zu. Man arbeitet viel über den Text und die Form. Die Inhalte spielen selbstverständlich eine Rolle, aber bemerkenswerterweise mehr im Hinblick auf die Rolle als im Hinblick auf die Schauspielerpersönlichkeit, die diese Rolle spielt. Ausnahmen bestätigen hier die Regel. In den USA, wo ich jahrelang als Coach gearbeitet habe, ist das meist der umgekehrte Fall. Dort steht erst die Entwicklung der Schauspielerpersönlichkeit im Fokus, und dann von dort ausgehend die Verbindung zur Rolle. Beides hat seine Vor- und Nachteile. Ich hatte in meiner Biografie als Schauspieler das Glück, dass ich beide Wege kennenlernen und gehen durfte. Insofern haben sich die Ansätze in der Zwischenzeit vermengt, und ich kann entscheiden, welchen Weg ich zu welcher Zeit gehen möchte. Grundsätzlich fühle ich mich zu Schauspielern hingezogen, die es vermögen, eine ganz eigenspezifische wahrhaftige Authentizität in ihr Spiel einzubringen, sodass das Spiel zur Realität wird, oder vielmehr die Grenzen fließend werden. Das erlebe ich aber in den hiesigen Ausbildungsstätten eher selten, und wird deshalb meist unmittelbar, wenn ich mich für einen Auftrag an einer Hochschule buchen lasse, zum Thema.
Lernt man viel Theoretisches oder auch viel Praktisches?
An sich lernt man beides. An einer üblichen Schauspielschule ist der Stundenplan vollgepackt. Meist steht alles auf dem Plan, was die Anforderungen des Berufes mit sich bringen. Improvisation, Szenenstudien, Monologarbeit, Akrobatik, Fechten, Musik, Körperschulung, Stimmbildung und so weiter.
Hugh Jackman wird von vielen Schauspiellehrern als ein herausragendes Beispiel für Schauspielkunst angesehen. Warum ist das so?
Diese Frage bringt mich arg in Verlegenheit, denn ich muss zugeben, dass mich andere Schauspieler mehr beeindrucken, aber er ist mit Sicherheit ein sehr guter und vielseitiger Schauspieler.
Was macht einen guten Schauspieler aus?
Die Kriterien, die einen guten Schauspieler ausmachen, sind nur bedingt auflistbar, denn ab einem bestimmten Punkt mischen sich da je nach Betrachtungsweise persönliche Erwartungen und auch persönlicher Geschmack hinein. Das ist ähnlich schwierig, wie zu bestimmen, was nun letztendlich zum Beispiel einen sehr guten Maler oder Musiker ausmacht. Natürlich gibt es grundsätzlich ein paar Verbindlichkeiten, um die kein Schauspieler herumkommt, etwa das handwerkliche Vermögen, seine Stimme und seinen Körper zu beherrschen, verschiedene Spielarten und Stile wechseln zu können, selbstständig und künstlerisch eine Rolle entwickeln und kreieren zu können, im Sinne der vorgegebenen Fakten des Stückes oder des Skripts eigene, wahrhaftige Entscheidungen treffen und umsetzen zu können, und einige Dinge mehr. Aber dann lösen sich Kriterien langsam auf, denn jeder Künstler hat auch ein eigenes spezifisches Talent, das der andere Künstler nicht hat und umgekehrt. Für mich persönlich stehen die Fähigkeit zu wahrhaftigem Spiel und die Fähigkeit, sich zu verwandeln, ganz oben auf der Liste.
Würden Sie sagen, dass Hugh Jackman all diese Kriterien erfüllt?
Natürlich nicht alle, das wäre nicht möglich, so etwas wie den absoluten „kompletten" Schauspieler gibt es nicht. Im Sinne der Verwandlungskunst spielt Herr Jackman sicher nicht in derselben Liga wie zum Beispiel ein Daniel Day-Lewis oder ein Jack Nicholson.
Welche Voraussetzungen sollte man schon mitbringen und welche Qualifikationen muss man entwickeln, um ein guter Schauspieler zu werden?
Ganz am Anfang steht die brennende Leidenschaft für diesen Beruf. Ohne diese unbedingte Leidenschaft hält man es nicht lange durch in diesem Metier, dafür gibt es einfach viel zu viele Hindernisse und Stolpersteine. Dann natürlich Fantasie, die Lust und die Fähigkeit, sich in imaginäre Umstände hineinzuversetzen und wahrhaftig zu leben, zu erleben, und auszudrücken. Der Wille und der Wunsch, ein Schicksal oder eine Geschichte mit dem Publikum zu teilen, die Konzentration und Disziplin, sich
unentwegt weiterzuentwickeln, die Liste ist lang …
Wie sticht man aus der Masse hervor?
Mit einer eigenständigen Künstlerpersönlichkeit, die eben nicht nur sehr gut spielen kann, sondern darüber hinaus mit großer Hingabe und selbstbestimmter Kreativität ausgestattet ist. Aber natürlich gibt es auch Schauspieler, die aufgrund des besonderen Typs oder Aussehens Karriere machen, oder aus anderen Gründen. Genauso, wie man definitiv sagen kann, dass eine wirkliche Künstlerseele nicht automatisch Karriere macht.
Und warum sticht Hugh Jackman so aus der Masse hervor?
Schwer zu sagen. Er erfüllt für viele einen besonders attraktiven Typus von Mann. Er ist sehr gut und professionell, er kann Rollentypen verkörpern, die andere nicht in dieser Weise erfüllen können, zumindest aus Sicht von den Studios, die ihn buchen, um ein paar mögliche Gründe zu nennen.
Hugh Jackman ist Theater- sowie Musical-Darsteller und spielt auch in den großen Hollywood-Filmen mit. Wie unterscheidet sich das Schauspiel in den Bereichen Theater und Film (Kino/TV)?
In Hinsicht auf den Anspruch auf Wahrhaftigkeit gar nicht, in Hinsicht auf Raum und Form fundamental. Die Arbeitsweisen und meist die Texte sind unterschiedlich, die verschiedenen Räume vor der Kamera oder vor dem Publikum im Theater stellen unterschiedliche Anforderungen an den Schauspieler.
Wie erlangt man eine solche Vielseitigkeit?
Arbeit, Arbeit, Arbeit, Arbeit!
Würden Sie sagen, dass Hugh Jackman in einem Bereich stärker als in den anderen ist?
Ich nehme ihn persönlich vor allem in seinen Stärken bezüglich des Musicals und der Marvel-Verfilmungen wahr, in psychologischen Dramen konnte ich ihn bislang nicht herausragend erleben, aber ich habe keinen Einblick in Hugh Jackmans Karriereplanung und seine
Vorlieben.
Was haben Hollywood-Schauspieler, was andere nicht haben?
Wie schon erwähnt, zeichnen sich viele Hollywood-Schauspieler besonders durch das hohe Maß der Identifizierung mit der Rolle aus, aber das haben auch Schauspieler hierzulande. Man darf bei diesen ganzen Vergleichsversuchen nicht vergessen, dass Hollywood und zum Beispiel der deutsche Filmmarkt zwei komplett unterschiedliche Baustellen sind, das fängt schon bei der Höhe der Budgets an, die den Filmproduktionen zur Verfügung gestellt werden, und geht weiter in die Weise, wie Stoffe entwickelt und geschrieben werden, und noch mehr Bedingungen der Filmindustrie an sich, die den Schauspielern ganz unterschiedliche Möglichkeiten bieten.
Gehen solch bekannte Schauspieler eigentlich noch zu Castings oder werden Rollen für sie geschrieben und Drehbücher zugeschickt?
Auch Stars gehen zu Castings oder Auditions, wie der Begriff in den USA lautet. Natürlich sind bestimmte Topstars von vornherein auf Listenplatz Nummer eins, oder sogar der Anlass für die ganze Produktion. Aber man bleibt nicht automatisch Star, weil man es mal geworden ist. Es gibt nur sehr wenige Stars, die ihren Status über zwei Dekaden hinaus halten konnten.
Wie bekommen Sie persönlich Ihre Rollen?
Über das tägliche Einmaleins des Schauspielers: Akquise, Agentur, Leute kennenlernen, selbst kreieren, das ist ein
Neverending Process.
Wie sehen Ihr Leben und Ihr Tagesablauf als Schauspieler und Coach aus?
Es gibt keine fixen Tagesabläufe wie in einem Handwerksberuf zum Beispiel. Und auch keine fixen Zeiten. Arbeit kann eine Stunde am Tag bedeuten oder quasi 24 Stunden. Nach einem Monat Leerlauf oder zwei oder drei kann man sich plötzlich vor lauter Arbeit nicht retten, es bleibt also aufregend!