Vor 40 Jahren wurde von Klaus Ollinger der Verein Partnerschaftliche Erziehungshilfe ins Leben gerufen. Damit trugen er und seine Mitstreiter zu einer positiven Veränderung der Heimerziehung im Saarland bei.
Wer in der Nachkriegszeit keine Eltern mehr hatte, unehelich zur Welt kam oder dessen Eltern als „erziehungsunfähig" eingestuft wurden, der konnte schnell im Heim landen. Dort herrschten meistens strenge Ordensleute, denen aufgrund schwierigster Rahmenbedingungen nichts anderes übrig blieb, als mit harter Hand für Disziplin, Zucht, Ordnung und Gehorsam zu sorgen. Anonyme Großgruppenerziehung statt individuelle liebevolle Förderung war die Regel. Eltern blieben als „Erziehungsversager" weitgehend außen vor. Eine Rückführung der „Heimkinder" in ihre Ursprungsfamilie war im Allgemeinen weder den Einrichtungen noch den Jugendämtern ein wirkliches Anliegen.
Diese – zugegebenermaßen – plakativ dargestellte Situation der „Heimerziehung" mag an einzelnen Standorten im Saarland mal strenger, mal freundlicher gewesen sein, doch vom Grundsatz her galt die Devise: Verhaltensauffällige Kinder bleiben bis zu ihrer Volljährigkeit möglichst im Heim (damals bis zum 21. Lebensjahr), mit den Eltern hatten Heimleitung, Jugendbehörden und auch die Kinder meistens nichts mehr zu tun.
Ab den 50er-Jahren gab es bundesweit bei einzelnen Fachleuten oder Wohlfahrtsverbänden erste Überlegungen, mit familienähnlichen Gruppen und heilpädagogischen Ansätzen in der Heimerziehung zu arbeiten. Doch letztlich dauerte es bis in die 70er-Jahre, bis sich im Saarland grundlegend die Strukturen in der Heimerziehung änderten.
Neue Methoden der Sozialarbeit
Ein Pionier der modernen Eltern-Kind-Arbeit war dabei Klaus Ollinger. Er hat sich weit über das Saarland hinaus einen Namen gemacht. Wenn es um Heimerziehung und Betreuung von Kindern aus Familien mit erheblichen Erziehungsproblemen geht, gilt der Diplom-Psychologe als Institution. Einige Jahre hat der heute 75-Jährige als Erziehungs-, Ehe- und Lebensberater gearbeitet und in den 70er-Jahren im Kinder- und Jugendhospital in St. Wendel in der Heimerziehung einschlägige Erfahrungen gesammelt. 1978 gründete der Wahl-Köllerbacher mit einer Handvoll Mitstreitern und Mitstreiterinnen die Partnerschaftliche Erziehungshilfe e.V. und trug damit vor 40 Jahren zu grundlegenden Veränderungen der Heimerziehung im Saarland bei. „Mit unserem partnerschaftlichen Erziehungsansatz wollten wir neue Wege der Arbeit mit Problemfamilien beschreiten", erklärt der gebürtige Oberescher (Rehlingen-Siersburg). Grundlage dafür waren anerkannte neue Methoden der Sozialarbeit, der Pädagogik und der Psychologie.
Unterstützt wurde Klaus Ollinger in den Anfangsjahren von seiner Frau Heidrun Schanne-Ollinger, von Karl Böhm als seiner rechten Hand, Bernhard Maldener, Peter und Helga Dittscheid und vielen anderen. Sie alle hatten im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Heimerziehung erkannt, dass der totale Beziehungsabbruch der Heimkinder zu ihren Eltern oft ein großer Fehler ist und die damalige Heimerziehung eher zur Unselbstständigkeit der Jugendlichen führte.
In der 68er-Ära wurde viel über neue humanere, liberalere, dezentralere Ansätze in der Heimerziehung diskutiert. „In unserer tagtäglichen Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen wurde uns klar, dass sie alle Sehnsucht nach ihren Eltern hatten, alle ein Nest suchten. Viele fragten sich: Warum haben meine Eltern mich weggegeben? Wo komme ich her‘?"
Damals wurden auch viele Missstände in den Heimen bekannt, angefangen von Verwahrlosung und Perspektivlosigkeit der Jugendlichen über Gewaltexzesse bis hin zu sexuellen Übergriffen. „Wir feilten an Konzepten, mit denen wir die Kinder und Jugendlichen in ihrem Selbstbewusstsein, ihrer Selbstständigkeit und Beziehungsfähigkeit stärken konnten. Wir schlussfolgerten, dass sich dies am besten in kleinen Wohngruppen in enger Kooperation mit den Eltern realisieren ließe." Die Idee der partnerschaftlichen Erziehungshilfe mit einer intensiven Familienarbeit und einer wohnortnahen Betreuung der Kinder war damit geboren."
In Fischbach-Camphausen gründeten wir unsere erste Wohngruppe, in der bis zu neun Kinder und Jugendliche die Woche über mit Erziehern und Sozialpädagogen lebten", sagt Ollinger. „Gleichzeitig arbeiteten wir mit den Eltern, um ihre Erziehungskompetenz zu verbessern. Am Wochenende mussten die Kinder dann wieder in ihre Familien zurück. Mit diesem Konzept galten wir anfangs als Außenseiter."
Unterstützer fanden sie von Anfang an bei Christiane Krajewski, der damaligen Leiterin des Jugendamtes der Stadt Saarbrücken (später Ministerin für Gesundheit und Soziales) und Klaus Knappe, Leiter des damals noch bestehenden eigenen Jugendamtes des Landkreises Saarbrücken. Sehr schnell fanden auch alle anderen Jugendämter Gefallen an dieser Konzeption, sodass der ersten Gruppe in Fischbach-Camphausen 1979 eine weitere in Heusweiler folgte.
Der Ansatz der Partnerschaftlichen Erziehungshilfe e.V., den Kindern einen festen Familien-Alltag mit gemeinsamem Kochen, Essen, Freizeitaktivitäten, Aufräumen und Schularbeiten zu ermöglichen und gleichzeitig die Eltern in Gesprächskreisen, Alltagsbegleitung und gemeinsamen Ausflügen zu stärken, setzte sich über die Jahre durch. Heute sind partnerschaftliche Erziehungsmethoden selbstverständlich.
Neue Wohngruppe in Schiffweiler
Viele damalige Kritiker meinten, dass es unverantwortlich sei, die Kinder wieder in Kontakt zu ihren schwierigen Eltern zu bringen. „Doch für die Kinder und Eltern war genau dieser Ansatz gleichermaßen entlastend", erklärt die stellvertretende Einrichtungsleiterin Helga Dittscheid, die außerdem seit über 30 Jahren im Vereinsvorstand ist. „Dass wir Eltern nicht mehr als Störfaktoren betrachtet haben, sondern ihnen und auch den Kindern das Gefühl gaben, dass sie mit unserer Hilfe gemeinsam ihre Probleme bewältigen können, hat ihnen gezeigt: Wir haben nicht versagt, nicht als Eltern und nicht als Familie. Manche Kinder bezeichneten unsere Wohngruppe gerne als ‚Sportinternat‘, um in der Schule besser erklären zu können, warum sie nicht bei ihren Eltern wohnen. Das half anfänglich gegen die Stigmatisierung als Heimkind."
Im Laufe der vergangenen 40 Jahre hat der Verein Partnerschaftliche Erziehungshilfe – bis heute unter dem Vorsitz von Klaus Ollinger – mit rund 100 Mitarbeitern Wohn-und Tagesgruppen in Köllerbach (nach Umzug aus Heusweiler), Riegelsberg, Saarbrücken, Sulzbach, Bildstock, Püttlingen-Ritterstraße und Saarlouis gegründet. Über 500 Kinder und deren Eltern wurden in dieser Zeit betreut. Ganz aktuell entsteht in Schiffweiler eine neue Wohngruppe. Die Leitung/Verwaltung ist kürzlich von Köllerbach nach Riegelsberg in ein altes Bauernhaus gezogen.
„Neben den Wohngruppen haben wir unsere Angebote ausgeweitet. Wir kooperieren mittlerweile intensiv mit Förderschulen, bieten ambulante Erziehungshilfen, Nachbetreuung und familientherapeutische Begleitung sowie betreutes Wohnen in Einzelfällen an", erklärt Joachim Hubig. Der Diplom-Sozialpädagoge ist seit 2003 Nachfolger von Klaus Ollinger als Einrichtungsleiter. „Bei allem bleiben wir unserem Credo treu: Die Woche über betreuen wir die Kinder in verschiedenen Settings, überwiegend im Rahmen unserer Einrichtungen. An den Wochenenden leben die Kinder in der Regel in ihren Elternhäusern; sie und ihre Angehörigen bekommen aber bei Bedarf auch dort Unterstützung und Betreuung, etwa in Krisensituationen. Was sie bei uns an Regeln und Strukturen gelernt haben, transportieren die Kinder häufig schnell und erfolgreich am Wochenende in ihre Familienstruktur. Wir betreuen möglichst wohnortnah, integrieren die Eltern und die Familien durch regelmäßige Elterngruppengespräche – neben der Einzelarbeit – in unser Betreuungsangebot, binden die Minderjährigen vor allem durch die wöchentlichen Gruppengespräche in die Planung und Reflexion unserer Arbeit ein und schaffen so zugleich eine Plattform für Beteiligung und Beschwerde." Hubig führte einerseits die bestehenden und bewährten Grundstrukturen und Leitideen fort und entwickelte andererseits zusammen mit den Koordinatoren der einzelnen Bereiche und allen Mitarbeitern sowie den Vereinsmitgliedern und dem Betriebsrat behutsam und mit Augenmaß weitere Hilfeformen, so im ambulanten Bereich, in Kooperationsprojekten mit Förder- und Regelschulen, mit anderen Trägern der Jugendhilfe und sonstigen staatlichen Institutionen.
Betreuung möglichst nah am Wohnort
„Wenn wir auf unsere 40-jährige Tätigkeit zurückblicken, können wir sagen: Mehr als zwei Drittel der von uns betreuten Kinder haben einen Schul- und Berufsabschluss geschafft und führen ein ganz normales, eigenverantwortliches Leben in stabilen Beziehungen. Einzelne unserer Schützlinge haben höhere Schulabschlüsse und beruflich Karriere gemacht. Nur wenige Kinder mussten länger in unseren Einrichtungen bleiben, weil die familiäre Struktur sich nicht gebessert hat. Manche mussten auch vollstationär untergebracht werden."
„Traurig macht unsere Mitarbeiter das Schicksal derer, die aus dem familiären Kreislauf von Sucht, Arbeitslosigkeit, Gewalt und Obdachlosigkeit nicht herausgefunden haben", gibt der Diplom-Psychologe Marc Eckerle, dritter Vorsitzender des Vereins, zu bedenken. „Aber auch das gehört zum Leben von Psychologen, Therapeuten und Sozialarbeitern, dass wir nicht alle retten können. Doch Vorstand und Einrichtungsleitung der Partnerschaftlichen Erziehungshilfe stellen einstimmig fest, dass die Erfolge, die die Anfangskritik als ungerechtfertigt erscheinen lassen und den Ideen und Konzepten Recht geben, überwiegen.