Das saudische Königshaus rückt beim Verschwinden eines Journalisten ins Zwielicht
Noch ist nichts bewiesen. Noch umranken Verdachtsmomente und Hypothesen das rätselhafte Verschwinden des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi im Konsulat seines Landes in Istanbul. Doch die Indizien aus türkischen Polizei- und Geheimdienstkreisen weisen zunehmend auf Saudi-Arabien als Drahtzieher einer gezielten Tötungs-Aktion hin. Genauer gesagt: auf den Kronprinzen Mohammed bin Salman. Kritiker sind ihm verhasst. Jamal Khashoggi war ein solcher – er kreidete dem Thronfolger in seinen Kommentaren zunehmend autoritäres Gebaren an.
Sollten sich die einzelnen Puzzle-Teile am Ende zum Gesamtbild eines saudischen Killer-Kommandos zusammensetzen, wäre dies ein ungeheuerlicher Akt von Staats-Terrorismus. Bislang steht nur fest, dass Khashoggi am 2. Oktober das Konsulat in Istanbul betreten hatte. Die Saudis behaupten, er habe das Gebäude noch am gleichen Nachmittag verlassen. Dass sie trotz Videoüberwachung keine Anhaltspunkte hierfür liefern können, zieht ihre Argumentation massiv in Zweifel.
Angesichts der anschwellenden internationalen Skepsis bereitet Riad offenbar eine PR-Version vor, die das Königshaus aus der Schusslinie bringen soll. Die Botschaft: Das Verhör Khashoggis im Konsulat in Istanbul sei aus dem Ruder gelaufen. Eine unbeabsichtigte Eskalation habe sich angebahnt, die in einen tragischen Unfall gemündet sei. Selbst US-Präsident Donald Trump gibt dieser Version anscheinend seinen Segen. Er habe mit dem saudischen König Salman telefoniert, der eine Beteiligung seiner Regierung an dem Fall rundum abgestritten habe. Es habe sich für ihn so angehört, als könnten „vielleicht schurkenhafte Killer" am Werk gewesen sein, deutet Trump die neueste Interpretation aus Riad. Eine Art Persilschein für den König.
Besser macht dies die Sache nicht, zumal keine harten Fakten und Beweise vorliegen. Es ist an der Zeit, deutlich kritischer Richtung Riad zu blicken. Zu lange hat sich die westliche Öffentlichkeit von Mohammed bin Salman – kurz: MbS – blenden lassen. Mit spektakulären Schritten hat es der 33-Jährige geschafft, sich das Image eines dynamischen Reformers zu verpassen. Er kippte im Juni das Autofahr-Verbot für Frauen, er errichtete eine Unterhaltungs-Industrie. Ein Quantensprung für das wahhabitische Königreich, in dem eine strenge Auslegung des sunnitischen Islams Staatsreligion ist. Und: Er entwarf eine mutige Vision für die Diversifizierung der ölbasierten Wüstenwirtschaft hin zu erneuerbaren Energien, Metallverarbeitung oder petrochemischer Industrie.
Doch nach innen regierte der Kronprinz mit eiserner Faust. Menschrechtsaktivisten wie der Blogger Raif Badawi kommen hinter Gitter. Abweichende Ansichten werden mit der Monarchisten-Keule unterdrückt. Eine behutsame Öffnung in Richtung mehr Meinungsfreiheit findet nicht statt.
Der Kronprinz hat sich auch außenpolitisch in ein Freund-Feind-Denken verbissen. Im Jemen ist er Anführer eines Vernichtungskrieges gegen die schiitische Minderheit der Huthis. Diese – so die Saudi-Logik – werde vom Iran finanziert, dem großen Rivalen um die Vorherrschaft in Nahost. Auch mit Blick auf den Golfstaat Katar kennt Mohammed bin Salman nur eines: isolieren, bekämpfen, niederhalten.
MbS fühlt sich stark und unantastbar, weil US-Präsident Trump von ihm angetan ist. Für Trump zählt in erster Linie, dass Saudi-Arabien der weltgrößte Käufer amerikanischer Rüstungsgüter ist. Aufträge über mehr als 110 Milliarden Dollar wurden bereits unterzeichnet.
Die Europäer sollten sich dieser Linie nicht anschließen. Dem außer Kontrolle geratenen Kronprinzen müssen Grenzen gesetzt werden. So steht im Koalitionsvertrag der „Groko", dass an alle „unmittelbar" am Jemenkrieg Beteiligten keine Waffen geliefert werden sollen. Kein Land ist „unmittelbarer" in den Krieg verstrickt als Saudi-Arabien. Doch die Bundesregierung prüft immer noch jeden Einzelfall, auch für Riad.
Auch in der Wirtschaft gibt es Hebel. So hat der Kronprinz vom 23. bis zum 25. Oktober zu einer Konferenz „Davos in der Wüste" nach Riad geladen, um Investoren anzulocken. Viele Firmenchefs und Finanzmanager haben wegen der Causa Khashoggi bereits abgesagt. Das sind die richtigen Signale, solange die Saudis nicht zur völligen Aufklärung des Falls beitragen – und sich entlasten.