Elisabeth Wehling ist Ideologie- und Sprachforscherin an der Universität von Berkeley. Sie sieht derzeit wenig Chancen für einen progressiven Wandel in den USA – den Demokraten mangele es an Köpfen und einer politischen Vision, während Präsident Donald Trump seinem Selbstbildnis treu bleibt und streng Kurs hält.
Frau Dr. Wehling, Sie lehren und forschen an der University of Califonia in Berkeley. Wie ist denn im Moment die Stimmung auf dem Campus?
Zweigeteilt. Bei uns gibt es tendenziell mehr Leute, die für demokratische Politik stehen, auch für progressive Politik. Dort gibt es meines Erachtens eine gewisse Naivität bezüglich Trump, eine authentische Hilflosigkeit. Sie prognostizieren weiterhin ein baldiges Impeachment und bei den kommenden Midterms einen größeren Erfolg der Demokraten, als man es Umfragen nach erwarten muss, auch weil Trump ihres Erachtens nach eben nicht Politik für den kleinen Mann, die „vergessenen Männer und Frauen", wie er es sagt, macht. Diese rationale Erklärweise ist irreführend, weil der kleine Mann aus ideologischen Gründen und nicht primär aufgrund materieller Interessen für Trumps Politik stimmen wird. Und dann gibt es die Trump-Supporter, eine Minderheit auf dem Campus. Diese finden Trump und seine Idee, die „soziale Hängematte auszuschütteln", gut, auch das Zurückrollen von Obamacare; die implizite Narrative dahinter: Der Abbau sozialer Infrastruktur bringt die Freiheit, für sich selbst zu kämpfen – und die Bürger strengen sich mehr an. Mein Blick: Trump bleibt in Sprache und Programmatik seiner Weltsicht treu, in der er als autoritäre Vaterfigur Sachen in die Hand nimmt, da gibt es kaum Brüche, und er hält viele Versprechen.
Hat die demokratische Partei überhaupt eine Chance, sich gegen den derzeitigen Erfolg dieser Weltsicht – Sie nennen Trumps Weltsicht „streng", geprägt von Wettbewerb, Hierarchie, Disziplin und Sozialdarwinismus – in den Midterms zu behaupten?
In Midterms geht der politische Zeiger traditionell in Richtung der Partei, die die Präsidentschaft verloren hat. Davon abgesehen sehe ich nicht, dass die Demokraten erfolgreich eine wertebasierte Kommunikation gestalten, nein. Der strengen Ideologie, konservativ bis konservativ-autoritär, steht die fürsorgliche Weltsicht, also liberal und progressiv, entgegen. Zweitere wird im politischen Diskurs derzeit vernachlässigt. Barack Obama stand für diese Weltsicht, empathisch, Kompromisse schließend, auch über Parteigrenzen hinweg. Es gibt bei den Demokraten im Augenblick niemanden, der diese Position überzeugend einnimmt: Bernie Sanders, der in den vergangenen Vorwahlen durch seine gute progressive Rhetorik bekannt wurde, hat sich mittlerweile etwas abgenutzt. Primär ist die Partei noch immer damit beschäftigt, die Wahlniederlage zu verdauen, statt eine solide progressiv-ideologische Kampagne zu fahren. Diese würde den Amerikanern in der Mitte der Gesellschaft wieder erlauben, an fürsorgliche Werte zu glauben: Empathie als Grundlage von Umweltschutz, sozialer Fürsorge, Schutzregeln in der Marktwirtschaft, und so weiter.
Wie groß ist denn dieses Wählerpotenzial der Mitte?
30 Prozent der Wähler sind ideologisch absolut flexibel. Das gab es bereits unter Ronald Reagan – die sogenannten Reagan-Demokraten, Wähler, die bis dato immer demokratisch wählten. Dann hat Reagan sie als strenge Familienväter angesprochen, und sie sind umgeschwenkt. Gleiches hat Bill Clinton damals geschafft und traditionell republikanische Wähler auf die Seite der Demokraten gezogen. Wähler, die bei der vergangenen Präsidentschaftswahl für Bernie Sanders gestimmt hätten, haben in Ermangelung einer moralisch-ideologischen Vision auf Seiten der Progressiven – und eine politische Vision ist immer moralisch-ideologisch, sonst gäbe es keinen Streit in der Politik – dann für Trump gestimmt. Diese Wähler können aber auch wieder von links abgeholt werden.
Wenn von links keine Gefahr droht, werden die Midterms dann ein Spaziergang für die Republikaner? Immerhin haben sie einen Präsidenten, der zumindest für einen Teil der Gesamtwählerschaft ein Alptraum ist. Manche sagen, er sei ein Rassist, ein Narzisst, ein Sexist, ein Macho, der sich dauernd widerspricht, ja offensichtlich lügt.
Es ist gute Tradition, dass das Land, wenn es republikanisch regiert wird, in den Midterms ein Stück nach links rückt. Die Demokraten sollten aber weniger Budget auf das Beschädigen des Gegners als auf den Aufbau einer eigenen attraktiven Vision verwenden. Dann müssten sich auch die Republikaner mehr anstrengen. Es gibt außerdem mittlerweile richtig gute Forschung darüber, wie Menschen inkohärente Aussagen oder Lügen ihrer politischen Führungsfiguren wahrnehmen – nämlich gar nicht, wenn sie von der betreffenden Person vollends ideologisch überzeugt sind. Ihr Gehirn ignoriert widersprüchliche Aussagen dann einfach. Es hat, wenn man so will, die rosarote Ideologiebrille auf. Und die Wähler aus der Mitte, die Trump zugeneigt sind, sind seit den Präsidentschaftswahlen beständig demselben Narrativ ausgesetzt – Trump habe gegen die Elite, das politische Establishment in Washington gewonnen. Jetzt stilisiert er die Medien zur nächsten Elite, gegen die er antritt – im Namen der ‚echten’ Bürger und Bürgerinnen. Die Erzählung ändert sich also nicht, sie hat nur neue Protagonisten.
Wir in Deutschland neigen dazu, uns vor allem moralisch über Trumps Gebaren aufzuregen. Auch die deutsche Politik hebt, zuletzt Außenminister Maas, gelegentlich den moralischen Zeigefinger. Funktioniert das?
Zunächst: Die Zeiten sind vorbei, in denen wir uns auf dem Gedanken ausruhen konnten, in einer sozial und menschlich anständigen, wohlwollenden und offenen Demokratie zu leben. Das zeigen alleine hierzulande schon die Bilder aus Chemnitz, die Erfolge der AfD, die übrigens eine in mancher Hinsicht ähnliche Weltsicht wie Donald Trump hat, der Versuch, die gemeinsamen freien Rundfunkmedien zurückzurollen. Bezogen auf die USA: Trump ist niemand, dem man Grenzen setzen kann, indem man ihn beurteilt. Seine gesamte strenge Weltsicht beruht darauf, dass er – nur er – die Autorität hat, andere zu beurteilen oder abzuurteilen. Menschen können demnach nach Wertigkeit beurteilt werden, das nennt sich Moralische Ordnung: Manche Menschen sind besser als andere, Reiche besser als Arme, Männer besser als Frauen, Weiße besser als Nichtweiße. Dies bemisst sich nicht an internen, sondern immer externen Werten, sprich Geld und Macht, Geschlecht oder Hautfarbe. Indem man Trump nun aus nicht-strenger Sicht moralisch beurteilt, beurteilt man ihn nach internen Werten: Empathie, Wohlwollen, Solidarität und Mitgefühl beispielsweise. Diese aber sind für die Trump’sche, sozialdarwinistische Weltsicht kein Kriterium. Insofern sitzt Trump bei seiner Wählerschaft immer am längeren Hebel, denn er hat das höchste Amt im Staat erreicht – er ist der mächtigste Staatschef der Welt, nach Ansicht der USA. Er ist Multimillionär. Er ist ein Mann, weiß und mit 1,90 Metern auch noch ziemlich groß.
Trump überträgt diesen Sozialdarwinismus auch auf die Außenpolitik. Wird seiner Partei das während der Kongresswahlen helfen?
Bei seiner Wählerschaft auf jeden Fall. Nationalismus empfindet er als „sozial", denn sozial ist, wenn andere ihn nicht unterstützen müssen wie das bei Multilateralisten wie Deutschland der Fall ist. Daher auch seine wohlwollende Haltung gegenüber anderen, nationalistisch und autoritär auftretenden Staatschefs wie Erdogan, Putin oder gar Kim Jong Un. Gespräche, Kompromisse und Zusammenarbeit empfinden Anhänger der strengen Ideologie als naiv und geradezu asozial, weil man Abhängigkeiten schafft. Deutschlands Aufnahme der Flüchtlinge 2015 wird von Trump daher konsequent als Schwäche ausgelegt. Hier schließt sich auch der Kreis zur AfD, die genauso denkt.
Halten Sie diese Entwicklung und den US-Präsidenten für gefährlich?
Ich halte im Moment viele internationale Politiker für gefährlich für das menschliche, das wohlwollende und gütige Miteinander. Donald Trump bricht mit all diesen Idealen. Republikaner und Demokraten hoben schon immer hervor, dass sie ideologisch unterschiedlich sind, aber in der Regel galt bei beiden Camps, dass man das gesellschaftliche Miteinander trotz aller Unterschiede hochhält. Dem steht Trump jetzt diametral gegenüber. In der Außenpolitik stört er durch seine Selbstherrlichkeit das diplomatische Miteinander. Der dünne sozialpolitische Boden, auf dem die US-Gesellschaft seit jeher stand, wird ihr durch die Politik der jetzigen Administration weiter entzogen werden. Jetzt schon leiden und sterben Menschen in den USA etwa aufgrund fehlender medizinischer Versorgung, während die Regierung soziale Infrastruktur ungeachtet dessen weiter abbaut. Deshalb halte ich ihn für gefährlich.