Jung, idealistisch, progressiv: Viele demokratische Studentinnen und Studenten an der Universität von Los Angeles organisieren sich, protestieren oder engagieren sich nach der Wahl des neuen Präsidenten politisch. Doch die Interessen sind individuell, die Kräfte daher stark zersplittert.
Blau war die Farbe des Abends. Oliver Ma hatte sich für dieses Ereignis ausschließlich blaue Kleidung zurechtgelegt: eine blaue Hose, ein blaues Shirt. Es war der Abend des 8. November 2016, und wäre es nach Oliver gegangen, wäre um 8 Uhr abends Hillary Clinton zur ersten Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt worden sein. Aber Clinton wurde nicht gewählt. Sondern der republikanische Kandidat. „Gegen 10 Uhr abends habe ich angefangen zu realisieren, was vor sich geht. Ich war so geschockt, ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen."
Fassungslos, empört und traurig
Fassungslos, schockiert, empört, traurig – so beschreibt Ma rückblickend die Gefühle der Wahlnacht und der darauffolgenden Tage. In Berkeley und den Nachbarstädten Oakland und Richmond fanden spontane Demonstrationen statt. Schüler und Studenten verließen den Unterricht, um sich auf dem Campus der Universität zu versammeln. In Artikeln ist zu lesen, dass einige von ihnen weinten, sich aneinander festhielten. Einige fanden die richtigen Worte, um öffentlich ihre Gefühle auszudrücken. Andere riefen: „Das ist nicht mein Präsident".
Aber Oliver Ma sieht nicht nur den Schock: „Die Wahl Trumps hat etwas Gutes hervorgebracht." 2016 hat Oliver an zwei Kampagnen für die Demokraten gearbeitet, derzeit ist er Autor für die Studentenzeitschrift „Berkeley Political Review". Geboren und aufgewachsen in China, wollte er in Berkeley studieren, mit politisch aktiven Studenten, die eine Meinung haben. Berkeley ist bekannt für eine liberale Haltung, hier entstand in den 60er-Jahren die Free-Speech-Bewegung für freie Meinungsäußerung, hier wurde gegen den Vietnamkrieg protestiert.
Als Oliver im Sommer 2015 in Berkeley anfing, war er zunächst enttäuscht: Von allzu viel Aufbruchsstimmung war anfangs nichts zu spüren. „Aber als Trump gewählt wurde, hat sich alles verändert. Die Leute engagieren sich jetzt, gehen auf die Straße und reden über Politik." Mit Trump als Präsidenten hätten vor allem die Jungen realisiert, dass sie sich einbringen müssten.
Die Demonstrationen hielten an. Der erste Höhepunkt: der Women’s March am 21. Januar 2017, einen Tag nach der Amtseinführung Trumps. Wenn die Menschen heute auf die Straße gehen – für mehr Rechte von Migranten, gegen Polizeigewalt oder für eine andere Umweltpolitik – schwingt nun immer Kritik an Trumps Person mit. „Nicht mein Präsident" wird weiterhin skandiert. Auf Schildern wird gefordert: „Grab them by the midterms!", packt sie bei den Zwischenwahlen. Eine Anspielung auf eine Tonaufnahme auf der zu hören ist, wie Donald Trump sagt, man könnte Frauen zwischen die Beine fassen und alles mit ihnen machen. Nun soll Trump selbst gepackt werden: von den US-Bürgern an der Wahlurne.
Doch nicht jeder Demokrat geht auf die Straße. Aasim Yahya sagt zum Beispiel: „Ich habe die Zeit nach der Wahl genutzt, um zu verstehen, was diese Wahl für mich, meine Familie und meine Gemeinschaft bedeutet." Yahya ist Muslim, 18 Jahre alt und steht am 6. November zur Wahl für das kalifornische Parlament. Seine Art von Protest ist politisches Engagement. Wie Oliver Ma glaubt auch er, dass die Wahl Trumps in gewisser Weise ein Segen gewesen sei. Die Jugend sehe jetzt die Bedeutung von Politik und Aktivismus.
„Es gibt eine alte Vorstellung von sozialen Bewegungen, dass Menschen auf die Straße gehen, wenn sie keinen anderen Ausweg sehen. Für viele Menschen sind die Proteste eine Möglichkeit, sich zusammenzutun und ihre Meinung öffentlich zu zeigen", erklärt Kenneth Andrews. Andrews ist Soziologe und erforscht an der Universität von North Carolina soziale Bewegungen. Ende des Jahres wird er ein Magazin veröffentlichen, das sich ausschließlich mit Protesten seit der Wahl 2016 befassen wird.
Die Proteste gegen Trump, seine Regierung, seine Aussagen und Handlungen sind keine geeinte Bewegung – es sind verschiedene Ströme und Interessensgruppen, für bessere Waffenkontrollen, für die Einhaltung der Klimaziele, für bewusste Familienplanung, die sich im Widerstand gegen den Präsidenten vereinigen.
Daneben unterscheiden sich die Proteste gegen Trump in zwei anderen Punkten von anderen Bewegungen, erklärt Andrews: die hohe Mobilisierung von Leuten und der friedliche Protest. Im Gegensatz zu früheren Protesten der Occupy-Bewegung oder „Black Lives Matter" habe es sehr wenig Ausschreitungen, Verhaftungen oder Blockaden gegeben. Andrews glaubt, die Friedlichkeit des Protestes trage zur hohen Mobilisierung bei – Familien mit Kindern könnten demonstrieren gehen, ohne Tränengaseinsätze fürchten zu müssen. So ließe sich eine breite Basis bilden, um das Repräsentantenhaus bei den Zwischenwahlen im November „zurückzuerobern".
Das erste Treffen der Demokraten auf dem Campus in Berkeley, den Cal Democrats, sei nach der Wahl brechend voll gewesen, erzählt Timothy Etter, Politikstudent und zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit der Cal Democrats. Allerdings habe dieser Andrang nicht angehalten – es gebe zu viele progressiv denkende Studentengruppen auf dem Campus. Dennoch hat sich für die Campus-Demokraten etwas geändert: „Früher haben wir vor allem Debatten zu nationalen Themen organisiert. Wir sind progressiver geworden und kümmern uns jetzt auch um lokale Themen. Wir wollen uns darauf konzentrieren, Dinge zu erledigen." Aktuell unterstützen die Cal Democrats einen Senatskandidaten und mehrere Kandidaten für den Gemeinderat von Berkeley.
Oliver, Timothy und Aasim sind Ausnahmen. Weil sie sich als Studenten politisch engagieren. Denn laut einer Studie der „Washington Post" von April sind die meisten Demonstranten älter, weiß, gut gebildet und vermögend. Das stellt auch Andrews fest: Viele Organisatoren von Protesten seien Frauen mittleren Alters aus der Mittelschicht und waren schon vorher politisch aktiv. Einer von fünf Amerikanern war bereits auf einer Demonstration, seit Trump gewählt wurde, von denen 19 Prozent nie zuvor demonstriert haben.
„Wir machen Schritte zurück"
Proteste allein werden aber kaum genügen, um die Wahl im November zu beeinflussen. „Das ist der fehlende Teil des Puzzles: Wir wissen nicht, inwieweit die Proteste die Menschen beeinflussen, politisch aktiv zu werden", resümiert Andrews.
Im Juni veröffentlichte das Public Religion Research Institute eine Studie, dass nur 28 Prozent der 18- bis 29-Jährigen mit großer Sicherheit zu den Zwischenwahlen gehen werden. Andere Studien zeigen zwar andere Ergebnisse, aber die Zahlen zeigen: Auch, wenn die jungen Wähler grundsätzlich Demokraten bevorzugen – eine verlässliche Basis scheinen sie nicht zu sein. In Kalifornien sollte der Wahlerfolg den Demokraten trotzdem sicher sein. In dem Staat sind fast 45 Prozent registrierte Demokraten, die unabhängigen 25 Prozent tendieren eher dazu, ihre Stimme einem Demokraten als einem Republikaner zu geben.
Oliver Ma ist optimistisch. Er glaubt, der Aufbruch der jungen Generation hält noch an und könnte sich auf die Zwischenwahlen übertragen. Ja, es seien vor allem aktuelle Themen, die seine Mitstudenten diskutieren – nicht die Zwischenwahlen. „Im Juni war es die Familientrennung, davor die Steuern, jetzt ist es Kavanaugh." Aber die Menschen würden anfangen, zwei und zwei zusammenzuzählen: „Wenn wir wollen, dass diese Themen nicht mehr hochkommen, dann muss das Repräsentantenhaus wieder demokratisch werden." Während 2016 noch niemand von seinen Freunden und Kommilitonen davon sprach, wählen zu gehen, würden sie sich jetzt gegenseitig daran erinnern, sich für die Wahl registrieren zu lassen.
Oliver Ma selbst aber ist in den vergangenen zwei Jahren vor allem pessimistischer geworden: „Als junger Student bist du Idealist, du glaubst, die Dinge werden immer besser, das lehrt dich die Wissenschaft. Seit 2016 wird der Fortschritt, den die USA unter Obama gemacht haben, demontiert. Wir machen Schritte zurück statt nach vorne." Mit einem blauen Sieg im November könnte es wieder einen kleinen Schritt nach vorne gehen.
Hinweis der Redaktion: Unsere Autorin hat versucht, auch mit republikanisch gesinnten Studenten an der Universität über ihr politisches Engagement zu sprechen. Diese jedoch haben abgelehnt.