Der Präsident twittert ohne Unterlass: Professor Wolfgang Schweiger, Experte für Onlinekommunikation an der Universität Hohenheim in Stuttgart, ist davon überzeugt, dass die online verbreiteten Tiraden Donald Trumps ihre Wirkung nicht verfehlen.
Herr Prof. Schweiger, Donald Trump führt über Twitter einen regelrechten Krieg gegen die Medien – macht er sich durch dieses Medium nicht unglaubwürdig?
Ich glaube, das hängt von der Zielgruppe ab. Bei seinen Fans kommt das gut an, weil er seine Botschaften über soziale Medien wie Twitter an den klassischen Medien vorbei und ungefiltert verbreiten kann. Seine Anhänger nutzen ohnehin eher parteinahe Medien wie Breitbart oder Fox News. Damit erreicht er genau die Zielgruppe, die er ansprechen will.
Kann ihm das nicht langfristig schaden?
Ich glaube nicht, dass Donald Trump langfristig strategisch plant. Ich denke, das sind tatsächlich sehr authentische Ausbrüche, die aus der Situation heraus kommen. Wir wissen ja, dass er morgens erst mal seine Fox-News-Morgensendung sieht und dort einen Großteil der Aufreger des laufenden Tages bezieht. Ich glaube, der Rest ist ihm relativ egal. Der Erfolg gibt ihm leider Recht.
Trump twittert, die Welt reagiert – setzt man so heute Schwerpunkte in der Weltpolitik?
Offensichtlich. Aber das bestätigt mich in meiner Beobachtung der vergangenen Jahre, dass wir in einer Transformationszeit sind, was öffentliche Informationen betrifft.
Das müssen Sie erklären.
Wir müssen alle lernen, mit diesen neuen Kanälen, die uns zur Verfügung stehen, umzugehen, mit den neuen Konstellationen, wo jeder schnell mal in die Öffentlichkeit mit einer extremen Aussage kommen kann. Ein Präsident, der ständig irgendetwas raushaut, und dass das von Millionen Menschen gelesen wird, von den Medien aufgegriffen und weiter mit Reichweite versorgt wird, das ist eine ganz neue Konstellation.
Wie sollten wir damit umgehen?
Eine Lehre wird sein, dass man nicht alles auf Dauer ernst nimmt und ständig beobachtet, was Trump so von sich gibt. Andererseits: Er ist der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Da schaut man natürlich auf jedes Wort.
Er scheint sich ein bisschen darin zu sonnen.
Das kann sicher sein, klar. Die ständige Resonanz auf seine Aussagen thematisiert er selber. Es gab zuletzt eine Äußerung, er wisse ja, dass sich alle ständig auf seine Äußerungen stürzen. Er füttert die Öffentlichkeit, aber auch die Medien ständig mit so etwas. Diese populistischen und extremen Aussagen im Sinne von Reichweiten, das bestätigt ihn natürlich in seiner Art zu kommunizieren.
Was macht diese Art mit uns, wenn der Präsident einer Weltmacht nahezu ausschließlich über einen schnelllebigen Social-Media-Kanal kommuniziert?
Ich glaube, die erste Reaktion war, dass man sich gerade im Ausland, auch bei uns in Deutschland große Sorgen gemacht hat, was das für ein Irrer als Präsident ist. Diese Frage ist sicher nicht unberechtigt. Aber man sollte das gelassener sehen und nicht jeden Tweet gleich wieder interpretieren und sich fragen, was er damit meint. Generell fällt auf, dass öffentliche Debatten im Netz selten von analytischer Tiefe geprägt sind.
Woran liegt das?
Leider muss man auch den journalistischen Medien häufiger mal vorwerfen, dass da oft oberflächlich berichtet wird. Wenn dann Debatten in den sozialen Medien mit einem kurzen Tweet oder Post abgehandelt werden, wird es natürlich noch oberflächlicher. Viele Aufreger im Netz sind nicht sonderlich bedeutungsschwanger und entpuppen sich als ziemlich irrelevant. Wir sollten in der öffentlichen Debatte einen Gang zurückschalten und etwas gründlicher diskutieren. Ob dieser Wunsch unter den Bedingungen der sozialen Medien allerdings möglich ist, ist schwer zu sagen.
Lässt sich aus den Tweets lesen, wie Trumps Anhänger ticken?
Natürlich. Wer für populistische Aussagen empfänglich ist, hat schon ein gewisses Profil. Es hängt ab vom formalen Bildungsgrad, der politischen Informiertheit, dem Nachrichtenwissen, dem Verständnis von politischen Strukturen und Prozessen. Wer nicht versteht, wie komplex das Politikgeschäft ist, wie schwierig es ist, Kompromisse zu finden, wird für populistische Aussagen empfänglich sein. Es kommt hinzu: Je frustrierter, verärgerter und extremer die Menschen ticken, desto eher sind sie für diese Aussagen empfänglich. Und das ist auch das Profil der Trump-Wähler, das wir da sehen.
Nichts gegen Twitter – aber auch die Sprache, die Trump nutzt, sorgt immer wieder für Entsetzen.
Das haben wir in Deutschland bei der AfD auch. Das ist ein stetiger Versuch, Dinge zu sagen, die früher unsagbar waren, und damit ein Tabu zu brechen. Damit Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu bekommen, die eigenen Fans zu begeistern, die Fans der gegnerischen Seite wieder mal zur Weißglut zu bringen und zu unsachlichen Äußerungen zu verleiten. Das verstärkt die Polarisierung in der Gesellschaft. Es ist das alte populistische Spiel, was da gespielt wird. Deshalb ist die Aufgabe der journalistischen Medien so eine wichtige, weil sie solche Äußerungen nicht ungefiltert und unkommentiert weitergeben sollten, sondern das Ganze einordnen und erklären sollten, dass es ein Tabubruch ist, den es vorher nicht gab.
Sehen Sie absehbare Folgen dieser Art von Politik auch auf die Gesellschaft generell?
Natürlich. Wir sehen ja, wie erfolgreich einzelne Populisten nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch in europäischen Ländern sind. Italien ist das neueste Beispiel. Es ist für Populisten sehr einfach, über Social-Media-Plattformen ständig einen neuen Aufreger zu produzieren, einfachste Instinkte in der Bevölkerung zu wecken. Es gelingt dort, mit einfachsten Schuldzuweisungen oder sonstigen Mechanismen zu arbeiten. Das bietet sich an, und entsprechend erfolgreich sind solche Akteure im Moment. Eine Folge ist auch die Polarisierung unserer Bevölkerung.
Das behandelt auch eine Studie, die Sie demnächst als Buch veröffentlichen.
Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Bürger 25 Prozent ihrer Nachrichten aus algorithmisch personalisierten Kanälen beziehen, die in Filterblasenverdacht stehen. Also aus Facebook, Google, Youtube und anderen Nachrichtenangeboten, die man personalisieren kann. Besonders bei Niedrig- und Mittelgebildeten und den etwas Älteren führt das zu extremeren Meinungen und Polarisierung.
Und wie sieht es mit der Beeinflussung der Politik aus?
Die Hauptherausforderung besteht für nicht-populistische Parteien und Politiker darin, ihre Positionen in dieser Netzöffentlichkeit und der Gesamtöffentlichkeit überzeugend vorzutragen. Sie müssen es schaffen, mit nüchternen und faktenbasierten Aussagen Aufmerksamkeit zu erregen. Denn es ist einfacher, Halbwahrheiten oder Lügen als Aufreger zu verbreiten, als bei der Wahrheit zu bleiben. Die oft drögen Prozesse politischer Entscheidungsfindung aufmerksamkeitsstark zu verkaufen, ist die große Herausforderung, vor der eigentlich alle stehen. Eine wichtige Rolle spielen dabei Journalisten. Sie dürfen sich keinesfalls verleiten lassen, im Netz mit emotionalisierenden und halbwahren Nachrichten Reichweite zu machen. Nur indem sie wahrheitsgemäß, solide und kritisch gegenüber den Mächtigen berichten, können sie den Vertrauensverlust in Teilen der Bevölkerung bekämpfen. Dass manche journalistische Medien, wie zum Beispiel „Focus", online auch mit fragwürdigen Mitteln um Reichweite kämpfen, ist ein Warnsignal.
Zurück zu Trump: EU-Kommissionspräsident Juncker feierte kürzlich, dass man überhaupt über Handelszölle verhandelt. Sind wir da inzwischen zu eingeschüchtert?
Trump hat selbst mal gesagt, dass er absichtlich eine Kampfrhetorik verwendet, um Gegner einzuschüchtern und optimale Verhandlungsergebnisse zu erzielen. Wenn er denn eine Strategie hat, dann besteht sie darin, durch eine sehr martialische Sprache Gegner einzuschüchtern. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass das auch bei verhandelnden Politikern funktioniert und nicht nur bei uns in der Öffentlichkeit.