Der Fußball erfreut sich in den USA immer größerer Beliebtheit. Die Universitäten suchen auch in Deutschland nach Talenten. Den Saarländer Julius Becker hat es nach Tampa verschlagen.
An der Wand seiner Studentenbude hängen Trikots. Eines davon ziert die Rückennummer 36. Diese Zahl trug Julius Becker vor rund einem Jahr, als der damalige A-Jugendliche im Saarlandpokalspiel für die erste Mannschaft des 1. FC Saarbrücken in Riegelsberg ran durfte.
Die Vergangenheit ist mittlerweile fast unendlich weit weg. Mehr als 7500 Kilometer, um genau zu sein. Im Oktober 2018 sitzt der 19-Jährige an seinem Schreibtisch in Tampa/Florida. Die Kommunikation läuft via Facetime. Der junge Mann aus Orscholz ist gut gelaunt und braun gebrannt. Kein Wunder: Lebt Becker doch seit einigen Wochen an einem Ort, an dem das Thermometer selbst in den Winter-Monaten nur selten die 20-Grad-Marke unterschreitet. Der Fußballer aus Leidenschaft studiert am dortigen College Betriebswirtschaftslehre. Zum Internet-Interview mit unserem Magazin hetzt er aus einer Klausur. „Es ist eine absolut neue Welt. Natürlich habe ich als Jugendlicher Englisch gelernt und das auch oft gesprochen. Wenn man dann in einer anderen Landessprache plötzlich auch Klausuren schreiben muss, ist das schon eine andere Hausnummer. Aber die Dozenten nehmen ein wenig Rücksicht, manche Fachbegriffe kann ich auf Deutsch schreiben."
Julius Becker ist in den USA, um zu studieren und um Fußball zu spielen. Seit einigen Jahren suchen amerikanische Universitäten verstärkt nach Talenten in Deutschland. Dass es Becker in die USA verschlug, hat allerdings eher mit seiner eigenen Familie zu tun. Sein Cousin ist der erst kürzlich zurückgetretene, langjährige Tennisprofi Benjamin Becker, der ebenfalls aus Orscholz stammt: „Ich habe ihn im Sommer 2015 in Dallas besucht, dort trainierte er ja seit Jahren und hatte dort auch seinen Lebensmittelpunkt. „Es ist eigentlich eine ganz witzige Geschichte, weil Benny damals einen Anruf erhielt und für den Davis Cup nachnominiert wurde, weil einer der Zverev-Brüder verletzt war. Also musste er sofort trainieren und er hat mich zum College in Dallas mitgeholt, wo das Trainingsgelände war. Ich war total beeindruckt von der Infrastruktur und schon damals ist bei mir der Gedanke gereift, in den USA zu studieren." Zu der Zeit war Julius noch im Nachwuchsleistungszentrum der TSG Hoffenheim aktiv.
Heimweh ist manchmal ein Thema
Der Werdegang des jungen Orscholzers glich zunächst dem vieler Talente. Seine Begabung fiel schon zu dem Zeitpunkt auf, als er noch für die Jugend des SV Mettlach spielte. Schon mit 14 flatterte eine Einladung zur Junioren-Nationalmannschaft ins Hause Becker. „Ab da war klar, dass ich nicht weiter in Mettlach spielen kann. Also bin ich im Winter nach Saarbrücken gewechselt, wie das fast alle in dem Alter machen und im Sommer nach Kaiserslautern." Mit diesem Wechsel stellten sich allerdings erste Rückschläge ein. Eine Knieverletzung setzte ihn lange außer Gefecht, zudem lief es auch im Internat „nicht rund". Als die TSG Hoffenheim Interesse anmeldete, musste Becker nicht lange überlegen. „Das ist das Nonplusultra für Talente. Aber dort habe ich gemerkt, wie groß die Konkurrenz ist. Von 30 packt es einer, nach einem schlechten Spiel kann es vorbei sein."
Dem Gymnasiasten dämmert, dass es für die ganz große Fußball-Karriere wohl nicht reichen wird. Nach einem durchwachsenen Jahr in der B-Jugend-Bundesliga lässt er sich zum Kooperations-Verein nach Walldorf ausleihen, um Spielpraxis zu sammeln und vor allem, um in Sinsheim sein Abitur abzulegen. „Im letzten Schuljahr noch einmal zu wechseln, hätte gar keinen Sinn gemacht", sagt Becker, der im Sommer 2017 schließlich zum FCS zurückkehrte. „Schon damals waren die USA-Pläne relativ konkret, aber ich wollte noch einmal ein Jahr zu Hause spielen und leben und mir vor allem in Ruhe Gedanken über meine Zukunft machen." Für einen Moment sah es sogar so aus, als könnte er den Sprung in den Profikader der Blau-Schwarzen schaffen. Er spielte im Pokal, trainierte bei der Ersten mit und machte sich Hoffnungen auf eine Teilnahme am Wintertrainingslager. Als sich Cheftrainer Dirk Lottner schließlich für einen anderen U19-Spieler entscheidet, war Becker klar, dass der Zug ohne ihn abfahren würde. „Ich bin niemandem böse. Ich kenne das Geschäft und weiß, dass es überall Verantwortliche gibt, die Entscheidungen treffen müssen."
Interessenten gibt es dennoch. Peter Tretter, Trainer des FK Pirmasens, bemüht sich sehr und die Option, Regionalliga-Fußball mit einem BWL-Studium zu verbinden, ist so schlecht nicht. „Ich kann mich relativ gut selbst einschätzen. Die Regionalliga hätte ich mir zugetraut, alles andere wäre sehr schwer geworden. Auf der anderen Seite habe ich mein Elternhaus bereits in jungen Jahren verlassen und viel in den Fußball investiert. Außerdem hatte ich ja das Beispiel meines Cousins, den es ebenfalls in die USA gezogen hat."
Nach vielen E-Mails und vielen Gesprächen fiel schließlich die Entscheidung für Tampa. Dort spielt Becker nun in der zweiten College-Liga für die Tampa Spartans, die Universität bezahlt 60 Prozent des Studiums. Der Rest ist leistungsbezogen. Zwar sind die Resultate seines Teams bisher unter den Erwartungen geblieben, aber der junge Saarländer ist oft zum Einsatz gekommen und konnte sich in die Torschützenliste eintragen. Dadurch kann das Stipendium bis zum Ende des ersten Jahres auf 80 Prozent ansteigen. „Der Leistungsdruck ist schon da, nicht nur sportlich, sondern auch, was das Studium anbetrifft", sagt Becker, „wir müssen hier auch Hausaufgaben machen und Tests schreiben." Vom typisch amerikanischen Studentenleben hat er noch nicht viel mitbekommen. Während der Vorbereitung absolvierte sein Team zwei Trainingseinheiten pro Tag, zudem standen Kondition und Krafttraining auf dem Programm. „Aber es ist schon ein wenig so, wie man es aus dem Fernsehen kennt. Die Universität ist eine Stadt innerhalb der Stadt und es gibt tatsächlich solche Rituale wie die Aufnahme in Bruderschaften und Ähnliches." In seinem Team spielen fünf weitere Deutsche, was laut Becker dazu führt, „dass das Heimweh nicht zu groß wird. Ich würde aber lügen, wenn ich sagen würde, dass das gar kein Thema ist." Mit seinen Eltern, den beiden Brüdern oder seinem anderen Cousin, dem CDU-Pressesprecher Manuel Kerber, hält er über Internet engen Kontakt. „Obwohl ich schon als Kind von zu Hause weg bin, habe ich eine große Bindung zu meiner Heimat. Die Möglichkeit, meinen älteren Bruder sonntags auf dem Fußballplatz zu sehen und dabei wie alle anderen auch eine Wurst zu essen und ein Bier zu trinken, das fehlt mir schon."
Die erste Reise zurück in die Heimat ist für die Weihnachtsferien geplant. Das Abenteuer USA ist zunächst auf vier Jahre angelegt. So lange wird Julius brauchen, um seinen Bachelor-Abschluss zu machen. Was danach kommt? „In den USA ist es so, dass sich die Unternehmen die Studenten von der Uni aussuchen. Ich kann mir aber auch vorstellen, hier noch zwei drei Jahre Fußball auf hohem Niveau zu spielen und einfach mal zu schauen, was noch geht." Langfristig, so erzählt Becker, ist aber eine Rückkehr nach Deutschland geplant. „Ich möchte irgendwann eine Familie gründen und das sollte schon in Deutschland geschehen. Aber das sind Dinge, die noch in ferner Zukunft liegen." Schließlich befindet er sich erst am Anfang eines Abenteuers.