Kristiane Kegelmann arbeitet mit Beton und Brot, Käse und Stahl. Präsentiert die Berliner Künstlerin eine ihrer essbaren Skulpturen, spielen Zeit und Vergänglichkeit eine tragende Rolle. Betrachter werden zu Akteuren, durch deren Mittun sich jedes der essbaren Kunstwerke in seiner imperfekten Vollkommenheit vollendet.
Wie ein Metallauge ist die Skulptur geformt. Spitz zulaufende Stahlbänder umhüllen das Zentrum. Der obere Bogen ist mit Lacken, Gräsern, Folie und Heu umwickelt. Auf der unteren Hälfte lagern längliche Schnitze von Heublumenkäse und ein noch jüngerer Hartkäse, hellgelb, in Stücke geschnitten. Auf der Mitte der Käse-Strecke dann ein deutlicher Stopper. Eine größere Scheibe, hellblau gefärbt, ist die Barriere. Dahinter weitere, hellblau überfärbte, teils von Folie bedeckte Schnitze. Ist das essbar oder nur noch Kunst?
Die Skulpturen von Kristiane Kegelmann werfen solche Fragen auf. Die in der Natur nur selten bei Essbarem vorkommende Farbe lässt den Betrachter zögern, verlangsamt, ruft Fragen nach Verzehrbarkeit, Verderb und Vergänglichkeit hervor. Die beiden am Sockel angebundenen Parmesan-Messer sprechen dagegen eine andere Sprache. Sie sagen: „Bitte anschneiden!" Doch, doch, das sieht aus wie Käse, schmeckt auch so. Zögerlich wandert die Hand mit dem Messer nach links, zum Hellblau. Eine Kerbe hineingeritzt – alles ist derselbe Käse, der probiert werden will. Das braucht einen Moment der Überwindung. Der Geschmack bleibt gleich, doch fühlt sich der Käse etwas staubiger im Mund an. Die Farbe „schmeckt", jedoch nur durch ihre Textur.
Warum die Skulptur der Berliner Künstlerin während des „Stadt Land Food"-Festivals in der Markthalle Neun aufgestellt wurde, legt ihr Name nahe – „Der Mantel". Kristiane Kegelmann setzt sich mit ihr mit den Themen Umhüllung, Verpackung, Schutz und auch Müll auseinander. Fragt nach Sinn, Notwendigkeit oder Nutzlosigkeit. Der Stahl umhüllt den Käse weiträumig, wenige Folienstücke und Farbe bedecken Teile des Käses eng. Ist der Käse nicht von Hause aus bereits durch seine Rinde genügend verpackt und geschützt? Wer zum Messer greift und ans Material herangeht, erfährt, wie sich die Bestandteile der Skulptur zueinander verhalten. Kurzum: Das Aufessen ist Teil des Konzepts.
Das Aufessen ist Teil des Konzepts
Und zack, schon wird aus dem distanzierten Betrachter ein Akteur. Oder, um es im „Kunst-Sprech" auszudrücken: Teil eines „partizipativen Kunstwerks", wie Kegelmann ihre Skulpturen bezeichnet. Die Werke verändern sich durchs Mitmachen, die Zeit fließt sichtbar ein. „Ich arbeite sehr materialbezogen", sagt sie. Manchmal müssen die Betrachter dem Werk erst einmal einen „Schaden" zufügen, um es erfassen oder „betreten" zu können. Bestandteile müssen entfernt, verschoben oder aufgegessen werden. Das gehört zu Kristiane Kegelmanns Arbeit unabdinglich dazu.
„Der Kampf gegen das Vergängliche ist doch etwas sehr Unnatürliches", sagt sie. „Kann es nicht gerade sehr schön und erstrebenswert sein, dass sich alles durch die Zeit verändert?" So wie in diesem Moment, als eine Betrachterin einen großen Käseschnitz aus dem Werk zieht – und widerstrebende Regungen zeigt. Ein verdutzter Blick auf das nicht eben kleine Stück Käse in der Hand: „Ist das zu groß?" und „Habe ich die Skulptur nun kaputt gemacht?", scheint sie sich zu fragen. Kristiane Kegelmann geht auf sie zu: „Schauen Sie mal, dort ist ein Messer." Die Frau schneidet sich ein kleineres Stück ab, probiert erleichtert. Das Werk darf und kann, muss aber nicht innerhalb einer halben Stunde aufgegessen sein.
Die Betrachter nähern sich vorsichtig an – es ist wie ein Tanz, eine sich mal nähernde, dann wieder entfernende Bewegung. Sie greifen nach längerer Betrachtung zu Messer und Käse, fahren vorher mit den Fingern am Stahlbogen entlang, schnuppern, schauen und probieren. Kristiane Kegelmann greift mit ihren Skulpturen nach dem Raum und in ihn hinein, allerdings eher tastend und forschend als in okkupierender „Alles meins!"-Manier. Wissend, dass sich dadurch Objekt und Raum verändern.
„Ich bin keine Bildhauerin im klassischen Sinne, aber ich denke und arbeite skulptural", umreißt die 27-Jährige ihre Herangehensweise. Sie sorgt mit ihren gleichermaßen greifbaren wie ambivalenten Werken seit drei Jahren in Berlin für Aufsehen. „Ich forme und arbeite mit essbaren, das heißt, mit organischen und vergänglichen Stoffen wie beispielsweise Blüten, Früchten und Gemüse sowie mit anderen sehr unterschiedlichen Materialien wie Beton und Stahl."
Die finden sich teils in ihrem Atelier im Prenzlauer Berg, das durchaus Anklänge an eine Küche hat, wieder. Oder sie fertigt die Stahlelemente etwa in einer Kreuzberger Metallbauwerkstatt in den von ihr entworfenen Formen.
In ihren Werken trifft Beständiges auf Vergängliches. In ihrer Arbeit „Pain" aus dem Jahr 2017 brachte sie etwa von Hand gefertigtes Sauerteigbrot mit Beton zusammen. „Beide Stoffe sind vielseitig und kostengünstig einsetzbar, weshalb sie in der Welt so viel Einsatz finden. Gleichzeitig ähneln sie einander in der Porung und in ihrer Äußerlichkeit", formuliert es Kegelmann in einem Ausstellungstext. „Doch stehen beide Stoffe für sehr unterschiedliche Emotionen. Brot als etwas Nährendes, etwas Warmes, Einladendes. Beton als etwas Kühles, Feuchtes, Abweisendes."
Sind Brot, Käse, Schokolade, Kräuterstaub oder Butter beispielsweise von einem Werk „abgegessen" oder haben sich durch Wärme, Luftfeuchtigkeit und Vermischung mit anderen Substanzen verändert, ist der Prozess beendet. Es gibt also nur die zwei Laib Heumilchkäse für „Der Mantel" in der Markthalle Neun, die Ursula Heinzelmann vom „Stadt Land Food"-Festival und die „Gläserne Molkerei" als Material-Sponsor zur Verfügung stellten. „Egal was passiert, ich lege nie nach. Das Werk lebt von der Veränderung", sagt Kegelmann. Allenfalls hänge sie ein Foto von der Skulptur, wie sie zuvor war, auf.
„Das Werk lebt von der Veränderung"
Die Struktur des Objekts im Raum verändert diesen: In einer Arbeit, deren Entstehungs- und Präsentationsprozess sie in einem Video dokumentiert hat, wird der essbare Teil von einer „Waage" genommen. Die in einer Art Mobile in den Raum gehängten metallenen Träger geraten in eine andere Balance und in eine neue Ordnung. „Das vermeintlich „Vollständige" muss zum Teil abgetragen, entnommen, erlebt und tatsächlich verinnerlicht werden, um an ‚den Kern‘ zu gelangen. ‚Der Kern‘, wie ich ihn verstehe, ist die Vollkommenheit in der Unvollkommenheit", umreißt Kegelmann ihre Position. Dieses Stadium war in der Markthalle Neun bereits nach einem von zwei Tagen erreicht: der Käse aufgegessen, das Kunstwerk per Leerstelle vollendet.
Das Essbare ist geschätztes und bestimmendes Element in einem Kegelmann‘schen Werk. Doch keineswegs geht es ihr um eine dekorative Überhöhung von Lebens- oder Genussmitteln. Man möge bitte auf gar keinen Fall Begriffe wie „essbare Kunstwerke", „Tortenkünstlerin" oder „süße Kunst" verwenden, gibt sie Journalisten mit auf den Weg. Nun ist es kein Geheimnis, dass Kegelmann eine berufliche Vergangenheit in der Patisserie-Branche hat.
Doch alte Etiketten kleben gut, selbst wenn in den vergangenen drei Jahren die künstlerische Auseinandersetzung mit verschiedensten Materialien zunehmend im Fokus stand. Sie illustrierten den Weg hin zur Abstraktion und zum konzeptionellen Ansatz.
So ist das „Tortologische Objekt" aus diesem Jahr, das sie anlässlich der Geburtstagsausstellung „Too early" für den Künstler Banksy fertigte, auch eine Abrechnung mit der beruflichen Vergangenheit mit künstlerischen Mitteln. Dreiecke und Bänder aus Aluminium, Glas und Acryl vereinten sich mit Bienenwachs, Nussbisquit, Rhabarber, Cassis und einer Mousse.
Die Gäste fanden ein „tortologisches" Objekt vor, das in seiner Mitte hohl und ohne „Torte" gestaltet war. Kegelmann entwischte den Erwartungen mit Hintersinn und Dekonstruktion des Konzepts „Torte". Das „unvollkommene Ganze", wie es Kegelmannn nennt, enthüllte sich einmal mehr.