Das Wien der ausgehenden 30er-Jahre: In der poetischen Adaption des preisgekrönten, gleichnamigen Romans „Der Trafikant" von Robert Seethaler wird der junge Franz Huchel als Zeitschriftenverkäufer mit der Liebe zur böhmischen Konkubine Anezka und der Freundschaft zu Sigmund Freud konfrontiert.
Ein guter Trafikant verkauft nicht einfach nur Tabak und Papier, sagte Otto Trsnjek und kratzte sich mit dem hinteren Ende der Schreibfeder an seinem Beinstumpf. Ein guter Trafikant verkauft Genuss und Lust – und manchmal Laster!", heißt es in Robert Seethalers warmherzigen Roman. Kriegerisch kaltherzig präsentiert sich dagegen die sozialpolitische Situation unter dem drohenden Damoklesschwert der baldigen Nazidiktatur. Mittelpunkt, Herz und Hirn dieses grandios gesetteten Filmdramas ist die „Trafik", ein kleiner Zeitungs- und Tabakladen in Wien nahe des Praters und in der Nachbarschaft des mittlerweile 82-jährigen Professors Sigmund Freud.
Genüsse befeuern den Alltag
Der gerade einmal 17-jährige Franz Huchel (Simon Morzé) verlässt auf strenge Order seiner Mama Margarete (Regina Fritsch) im Spätsommer 1937 seine Heimat, das Salzkammergut am Attersee in Oberösterreich, um als Tabaklehrling in der Metropole Wien sein Glück zu versuchen. Hier führt Mutterns Ex-Lover Otto Trsnjek (Johannes Krisch) die kleine Tabak-Trafik. In der Lehre lernt der aufgeweckte Bub schnell nicht nur die alltäglichen Abläufe, sondern auch in den Zeitungen das Wissen und die Weisheiten des Lebens. Zur täglichen Klientel zählt auch der „Deppendoktor", Sigmund Freud (Bruno Ganz), der „Köpfe innen drin repariert", wie die Leute auf der Straße deuten. Franz brennt vor Neugierde und sucht Rat. Er ist nämlich unsterblich verschossen in die geballte Erotik der erfahreneren Varietétänzerin Anezka (Emma Drogunova), die „mit den himmlischsten Rundungen und der schönsten böhmischen Zahnlücke von ganz Wien", wie im Buch zu erfahren ist. Doch ihr obskurer Lebenswandel als Konkubine und ihre häufige Abstinenz verunsichern das Landei. Und auch sein von Selbstzweifeln zerrissener neuer Freund Freud ist auf dem Gebiet „Jugend forscht in Sachen Lust" eine ähnlich unprofessionelle Instanz. Er weiß aber in einer Szene zu berichten, dass „es mit den Frauen wie mit den Zigarren" sei, „wenn man zu feste an ihnen ziehe, verweigern sie den Genuss."
Die grausamen Genüsse des alltäglichen Lebens befeuern indes andere – Adolf Hitler und seine schneidigen Truppen. Die sind nämlich just einmarschiert. Die ersten An- und Übergriffe, Schmierereien mit Schweineblut, wie „Judenfreund" und zerborstene Schaufensterscheiben können die beiden Trafikanten noch ertragen und ihre Ideale konservieren. Doch dann verschwindet Otto in den Verhörkellern der Gestapo und die jüdische befreundete Familie Freud flüchtet ins Londoner Exil. Franz wagt sich auf lebensgefährliches Terrain ...
Auf absolut sensibel-sicherem Terrain bewegt sich Regisseur und Co-Drehbuchautor Nikolaus Leytner mit seiner ergreifenden Gesellschaftsparabel. Er entfaltet dabei ein pointiertes Gefühl für den soziokulturellen Hintergrund, bebildert mit sepiafarbenen Tönungen die Sorgen und Nöte, Sehnsüchte und Wünsche der Menschen, die unter den Eruptionen und Erosionen der Nazis darben.
Dialogstarke Adaption
Wie in besten „DDR"-Zeiten wird der liebe Nachbar zum verräterischen Feind und selbst im entfernten, sonst so unberührten Heimatflecken am Attersee wabern braune Wolken über das Land. Darin bettet Leytner die persönliche Biografie und seine Fantasmagorien ein, denn Franz ist ein Träumer, der sich durch heroische Gedankenfluchten schützt. Auf Anraten seines väterlichen Freundes Freud dokumentiert er dieses surreale Wunschdenken und drapiert es dann ins Schaufenster der Trafik, um es zu kommunizieren. Die berührende Beziehung zum weisen Kosmopoliten Freud fokussiert die dialogstarke Literaturadaption. Es spiegeln sich Triebe, Taten und Träume, das Ich, das Über-Ich und das Es wider. Eros und Thanatos grüßen ebenso plakativ auf der Leinwand.
Die Chemie schlägt ohnehin Purzelbäume zwischen dem Jungmimen Simon Morzé und seinem sehr menschlich agierenden Alter Ego, der Charakterfilmikone Bruno Ganz. Ganz genau stand auch übrigens der jetzige Kinotitel „Trafikant" schon 1784 in einem Brief von Kaiser Joseph II. an seinen Kanzler, den Grafen Kolowrat. Darin erließ der Herrscher nicht nur das Tabakmonopol, sondern wies auch ausdrücklich an, „Trafiken ausschließlich an Soldatenwitwen, Kriegsinvalide oder Verarmte zu vergeben".
Eine weise Entscheidung und eine würdige Bezeichnung für ein wunderbares Kinohighlight.