In einer immer lauter werdenden Welt verlieren wir unsere Fähigkeit zuzuhören. Warum das nicht trivial ist und wie Sie zu einem guten Zuhörer werden können.
Versuchen Sie sich einmal an das letzte Gespräch zu erinnern, das Sie geführt haben. Wie viel Prozent davon haben Sie gesprochen und wie viel Prozent haben Sie mit Zuhören verbracht? Wer viel redet, wer also deutlich mehr als 50 Prozent der Gesprächszeit damit zubringt, seine eigenen Inhalte und Informationen zu verbreiten, behält die Oberhand – soweit die allgemeine Annahme. Beobachten können Sie das beispielsweise in Diskussionen, in Sitzungen oder auch bei Fernsehshows wie dem TV-Duell, bei denen der Redeanteil gemessen wird.
Überzeugen können, sich durchsetzen, eloquent und informativ sein: Das sind die Schlagwörter, die meist gemeint sind, wenn irgendwo von „Kommunikationsstärke" die Rede ist. Wir leben in einer Zeit, in der es vor allem die lauten Performer sind, die geschätzt werden – nicht die stillen Zuhörer. Das Zuhören ist zu der Gesprächskompetenz geworden, an der es am radikalsten mangelt und die am meisten unterschätzt wird.
80 Prozent der Deutschen finden Zuhören wichtig
Wenn Sie jetzt noch einmal an Ihr letztes Gespräch denken: Was schätzen Sie, an wie viel Prozent von dem, was Ihr Gegenüber Ihnen erzählt hat, Sie sich noch erinnern? Haben Sie ihm richtig zugehört oder sind Sie vielleicht irgendwann abgeschweift und haben über andere Dinge nachgedacht – Ihren Arbeitstag, die Einkaufsliste, Probleme zu Hause? Oder haben Sie sich schon damit beschäftigt, wie Sie auf das Gesagte reagieren werden, was Ihre Einwände sein könnten, wie Sie Ihre Argumente am besten vorbringen, ob das gut ankommt oder ob Sie anders formulieren könnten? Versuchen Sie eine ehrliche Einschätzung zu finden, wie viel Prozent der Zeit, Sie Ihrem Gegenüber tatsächlich zugehört haben und wie viel Zeit Sie mit sich selbst beschäftigt waren.
Forscher haben herausgefunden, dass wir uns kurz nach einem zehnminütigen Vortrag maximal an die Hälfte der Inhalte erinnern. 48 Stunden später haben wir davon noch einmal 50 Prozent vergessen – es bleibt maximal ein Viertel des Gesagten übrig. „In unserer immer lauter werdenden Welt verlieren wir unsere Fähigkeit zuzuhören", so Julian Treasure, einer der bekanntesten Kommunikationsexperten. „Und das ist nicht trivial. Bewusstes Zuhören schafft Verständnis. Eine Welt, in der wir nicht zuhören können, ist ein ganz unheimlicher Ort."
80 Prozent der Deutschen gaben in einer Studie des Institutes von Allensbach an, dass vor allem Zuhören für Sie zu einem guten Gespräch gehöre. Nur Vertrauen wurde noch höher bewertet (81 Prozent). Gleichzeitig halten aber nur 16,5 Prozent der Arbeitnehmer ihre Chefs für gute Zuhörer. Eine Studie der Harvard Business School konnte gar zeigen, dass Menschen umso „tauber" werden, je mächtiger sie werden. Die Probanden wurden mit zunehmender Macht unwilliger zuzuhören und immuner gegenüber Empfehlungen und Ratschlägen – ganz gleich, ob diese von Experten, Kollegen oder Mitarbeitern kamen.
Dabei ist der Zuhörer, so hat es schon Immanuel Kant erfasst, „ein schweigender Schmeichler". Wer anderen Menschen zuhört, signalisiert nicht nur Respekt und Wertschätzung, er hilft dem Gegenüber und sich selbst auch, sich besser zu fokussieren. Ein guter Zuhörer erfährt mehr und kann deshalb bessere Entscheidungen treffen und er ist besser darin, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Zuhören ist auch eine große Quelle des Lernens. 85 Prozent unseres Wissens haben wir Wissenschaftlern zufolge durch Zuhören gelernt. „Ich glaube, der Mensch muss bewusst zuhören können, um verbunden in Raum und Zeit zu leben und vor allem im gegenseitigen Verständnis. Ich glaube, wir sollten Zuhören schon in der Schule lehren", fasst es Julian Treasure zusammen.
Wie also kann man ein guter Zuhörer werden? Besonders gut eignet sich die Technik des aktiven Zuhörens, die der amerikanische Psychotherapeut Carl Rogers entwickelt hat. Dabei geht es vor allem darum, sich in die Gefühls- und Gedankenwelt des Gegenübers hineinzuversetzen. Im besten Falle kann man dem Anderen signalisieren, dass man nicht nur verstanden hat, was er sagt, sondern auch, wie er es meint und wie ihm dabei zumute ist. Voraussetzungen dafür sind echtes Interesse am Gegenüber und die aktuelle Bereitschaft zum Zuhören. Wer gerade mit anderen Dingen beschäftigt ist, sollte ein solches Gespräch also besser verschieben.
Zuhören bedarf Übung
Im ersten Schritt vermittelt man dem Gegenüber, dass man jetzt für ihn da ist und Zeit und Interesse hat, ihm zuzuhören. Dazu ist es wichtig, Störquellen wie Telefone oder hereinplatzende Personen zu meiden. Im zweiten Schritt geht es um ein inhaltliches Verständnis. Der Zuhörer fasst dabei die Kernaussagen seines Gegenübers in seinen eigenen Worten zusammen und prüft dabei die inhaltliche Übereinstimmung und ob Missverständnisse entstanden sind. Bei der dritten Stufe geht es darum, Gefühle und Gefühlsvermutungen zu verbalisieren, um ein vollständiges Verständnis zu erlangen. Das könnte etwa lauten „… und darüber hast du dich ganz schön geärgert". Vielleicht stimmt das Gegenüber dann zu, vielleicht ist sein Ärger aber auch schon verflogen und ist vor allem enttäuscht oder hat ein ganz anderes Gefühl. Die dritte Stufe ist nicht immer angebracht und ist im Wesentlichen davon abhängig, in welchem Verhältnis man zueinander steht. Das Verbalisieren von Gefühlen setzt immer ein Vertrauensverhältnis voraus, und während es in persönlichen Beziehungen ganz normal ist, kann es zum Beispiel in einem Arbeitsverhältnis fehl am Platze wirken.
Beim aktiven Zuhören ist es wichtig, den anderen ausreden zu lassen und nicht dazwischenzuquatschen. Versuchen Sie, Ihr Gegenüber zu seiner eigenen Lösung kommen zu lassen und ihn nicht zu belehren. Nachfragen können sehr hilfreich sein, genauso wie die Körpersprache des Gesprächspartners zu beobachten. Außerdem ist es empfehlenswert, Blickkontakt zu halten und auch Pausen oder Kritik erst einmal auszuhalten ohne gleich etwas zu sagen.
Zuhören ist eine Fähigkeit, die wir lernen können und die, wie alle anderen Fähigkeiten auch, etwas Übung bedarf. Sie schafft nicht nur Verständnis, sondern eröffnet uns auch neue Welten. Oder wie der Dalai Lama es einst formulierte: „Wenn Sie reden, wiederholen Sie nur, was Sie schon wissen. Wenn Sie zuhören, haben Sie die Chance etwas Neues zu lernen." Vielleicht probieren Sie es bei Ihrem nächsten Gespräch einfach einmal aus.