Jedes Jahr bringt der Bund der Steuerzahler ein Schwarzbuch heraus, das die öffentliche Verschwendung von Steuergeldern anprangert. Ob es um überteuerte Dachkonstruktionen, aus dem Ruder gelaufene Baukosten oder um Planungsfehler geht – bei einer Tour durch Berlin mit dem „Schwarzbus" kommt alles an die Öffentlichkeit.
Nördlich des Berliner Hauptbahnhofs wächst ein neuer Stadtteil – die Europa-City. Hier sollen 6.000 Wohnungen und Büroarbeitsplätze für 10.000 Menschen entstehen. Eine Fußgängerbrücke über den Berlin-Spandauer-Schifffahrtskanal wird das neue Quartier mit dem gegenüberliegenden Moabit verbinden. Bauherr: das Land Berlin. Doch noch bevor der erste Bagger anrückte, war das Projekt schon eine Million teurer als ursprünglich geplant. Der Grund: Bei dem Ausschreibungswettbewerb hatte ein Entwurf den Zuschlag bekommen, der zwar nur 1,8 Millionen Baukosten vorsah. Doch als die Fachleute genauer hinsahen, stellten sie fest, dass in dem kühnen Architektenplan weder Schwingungsdämpfer noch Brückenwiderlager berücksichtigt waren. Die Stahlbrücke hing auf dem Papier buchstäblich in der Luft.
Alexander Kraus, Vorsitzender des Bundes der Steuerzahler Berlin, lässt den Entwurf herumgehen. Großes Kopfschütteln ist die Reaktion der rund 40 interessierten Bürger, die an der „Schwarzbus-Tour" durch die Hauptstadt teilnehmen. In einem dunkel gestrichenen Bus geht es von „Tatort" zu „Tatort". Alexander Kraus will aufdecken, wo nach Meinung seiner Organisation in Berlin Steuern verschwendet werden. Gleich am Start der Tour in der Masurenallee geht es um die geschätzten Kosten für eine neue Wartehalle am Zentralen Omnibus-Bahnhof (ZOB). Innerhalb von drei Jahren seien die Kosten von 14,3 Millionen auf 37,3 Millionen Euro gestiegen. „Das ist das 2,6-fache", ruft Kraus in das Bus-Mikrofon. Nicht viel anders, aber im dreistelligen Bereich, ging es bei der Sanierung der Staatsoper zu, die zwar eröffnet, aber bekanntlich immer noch nicht ganz fertig ist. Im Oktober 2013 sollte sie 239 Millionen Euro kosten. Im Februar 2018 war man bei 439 Millionen Euro angekommen.
Wartehalle 2,6 mal so teuer wie geplant
Worin liegt die Ursache für diese Fehlkalkulationen? Beim Steuerzahlerbund nennt man drei Gründe. Erstens die Konkurrenz um die Finanzen. Wenn eine begrenzte Summe zu vergeben ist, etwa eine Milliarde Euro, würde jeder Bieter, der davon ein Stück abhaben will, seine Planung so ansetzen, dass er vom Kuchen etwas abbekomme. Das geschehe durchaus in Abstimmung mit der Konkurrenz: Gehst Du günstiger ran, tue ich es auch – dann haben wir nämlich beide eine Chance, berücksichtigt zu werden.
Zweitens: Während der Bauphase äußern die öffentlichen Bauherren – und das sind meist höhergestellte Politiker oder Prominente – immer neue Wünsche, die über die ursprüngliche Planung hinausgehen, die sie aber gern berücksichtigt hätten. Und Wünsche oder Bedürfnisse haben die Bauherren viele, sei es zur Akustik, zu den verwendeten Materialien oder andere Details. Da man ja die Änderungen nicht selbst bezahlen muss, sondern dem Steuerzahler in Rechnung stellen kann, haben solche Extrawünsche für den Bauherrn keine Konsequenzen. „Nur ein Plan, in den von vornherein alles eingearbeitet ist und an den sich während der Bauphase alle halten, kann diesem Aufstocken ein Ende machen", meint der Steuerzahlerbund in seinem Schwarzbuch.
Drittens sind Baumängel ein Hauptgrund für Kostensteigerungen – und da sei der BER geradezu exemplarisch, so Kraus. Ob es sich um zu kurze Rolltreppen, vergessene Kabelschächte, fehlende Brandschutzwände oder zu schwere Deckenventilatoren handelt, immer musste umfangreich nachgebessert und neu gebaut werden. Die Gründe dafür, dass sich das Desaster über Jahre hinschleppte und weiter hinzieht, liegen nach Ansicht des Steuerzahlerbundes im fehlenden Controlling. Alexander Kraus: „Der Grundfehler war, keinen Generalunternehmer zu beauftragen, sondern das Projekt in die Hände von Politikern zu geben." Zwar gebe es eine Gesellschafterversammlung mit Vertretern der zuständigen Behörden, die Kontrollrechte hat und weisungsbefugt sei. „Aber im Aufsichtsrat sitzen die Chefs der Gesellschafter – und das geht nicht." Bis heute ist denn auch niemand aus dem Aufsichtsrat und der Geschäftsführung für die Schäden haftbar gemacht und zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt worden.
Der BER aber ist erst die letzte Station der „Schwarzbus-Reise". Nach dem Ausflug in den Norden schlängelt sich der Bus jetzt durch die Baustellen am Hauptbahnhof. Kraus zeigt auf die neu gebauten Dächer für den Trambahnhof, doppelt gekrümmte Schalen aus Leichtbeton. Kostenpunkt 1,03 Millionen Euro. Optisch schön, aber teuer, meint er. Eine Wirtschaftlichkeitsprüfung sei nicht für notwendig gehalten worden.
Weiter geht es zur Charité. Dort hängt gegenüber dem Haupteingang des Bettenhauses die „Goldene Stunde", polierter Edelstahl, golden glänzend, acht Meter Durchmesser: Kunst am Bau. Kostenpunkt 450.000 Euro. Die Skulptur stellt eine Uhr ohne Ziffern da – die hängen weit entfernt im Innenhof der Notaufnahme. Wie bei jedem öffentlichen Bauprojekt muss in Berlin ein Prozent der Baukosten für Kunst ausgegeben werden. Das ist Vorschrift. Der Steuerzahlerbund stört sich daran. Kraus: „Wir fordern, dass Kunst am Bau grundsätzlich nicht länger finanziert wird. Zumindest so lange, wie Berlin das Geld besser für andere Dinge ausgeben sollte." Zumal ursprünglich für die „Goldene Stunde" nur 280.000 Euro angesetzt waren.
Späte Extrawünsche und Baumängel
Noch ein paar ältere Fälle lässt Alexander Kraus aus dem fahrenden Bus Revue passieren: Da ist die Lichtinstallation in der Unterführung des Neuköllner S-Bahnhofs – „Licht, Farbe, Rhythmus" und 411.000 Euro teuer. Einstmals blaue Glaspaneele auf Fußbodenhöhe sollen beim Durchfahren grün aufleuchten – davon ist heute, nach sieben Jahren, nichts mehr zu sehen, weil das Glas schwarz geworden ist vor Schmutz. Oder die Installation „Die Welle": Auf dem Mittelstreifen der Sonnenbrücke in der Sonnenallee entstand eine Kunstinstallation aus 480 Stahlpollern. Durch ihre unterschiedliche Höhe ergibt sich auf einer Länge von rund 50 Metern eine Wellenform. Auf der Welle „schwimmen" ein überlebensgroßer Schwimmer und eine Schwimmerin aus bemaltem Aluminium. „Die Welle" soll den Übergang von den Gewerbe- und Industrieflächen in den dicht bewohnten Innenstadtbereich verdeutlichen.
Auch mit den neuen Parklets in der Bergmannstraße ist der Steuerzahlerbund nicht zufrieden: zu enge Verkehrsführung, zu teuer, eine Einladung zu nächtlichen Partys für das touristische Feiervolk. Dabei sitzt man sehr gut auf diesen hölzernen Bänken und hat dabei sogar noch ein Tischchen vor sich. Wie bei der Kritik an der „Goldenen Stunde" drängt sich hier der Verdacht auf, dass der Steuerzahlerbund auch eine populistische Seite hat.
Als die Gruppe am Schluss auf dem zugigen Gelände des BER vor der verschlossenen Halle steht, sagt einer spontan: „Was für eine Geldvernichtung!" Zwei Wachleute vertreiben sich im Schatten unter der Treppe auf der ersten Ebene die Zeit. Sonst hört und sieht man auf dem riesigen Gelände nichts und niemand.
Doch halt: Seit dem 1. September sind die riesigen Parkhäuser links und rechts der Freifläche zum Eingang belegt. 8.000 nagelneue VW Golf, die den neuen Prüfzyklus noch nicht absolviert haben, stehen hier und warten auf ihre Zulassung. Den Flughafenchef Engelbert Lütke-Daltrup freut es: Verdient er doch rund eine Million Euro an Parkgebühren. Das deckt fast die Kosten für einen Tag BER-Unterhalt ab. Der unfertige Flughafen verschlingt jeden Tag 1,3 Millionen Euro.