15 Jahre nach dem letzten Flug einer Concorde häufen sich die Nachrichten über eine baldige Rückkehr der Überschall-Passagierflugzeuge. Neben solventen Privatfirmen hat neuerdings auch die Nasa ein ambitioniertes Pilotprojekt gestartet.
Der 24. Oktober 2003 galt lange Zeit als Ende der kommerziellen Überschallfliegerei, denn an diesem Tag wurden letztmals Passagiere mit einer Concorde transportiert. Gut drei Jahre zuvor hatte es Ende Juli 2000 den katastrophalen Absturz einer Air-France-Maschine mit insgesamt 113 Todesopfern gegeben. Doch letztlich war keineswegs dieser Unglücksfall für die Einstellung des Flugbetriebs durch British Airways und Air France verantwortlich. Zwar waren nach 27 Betriebsjahren ohne größere Vorkommnisse infolge des einen verheerenden Crashs gewisse Sicherheitsbedenken geweckt worden. Doch das eigentliche Problem der zivilen Luftfahrt mit Überschallflugzeugen war deren Unwirtschaftlichkeit wegen immensem Treibstoffverbrauch von 16,7 Litern pro 100 Passagierkilometern und nicht ausreichender Kundennachfrage nach Transatlantik-Tickets für zuletzt 10.000 Dollar pro Strecke. Die dafür als Gegenleistung gebotene Zeitersparnis – die rund 2.200 Kilometer pro Stunde schnelle Concorde brauchte von Paris nach New York oder von New York nach London gerade mal gute drei Stunden – war selbst Begüterten auf Dauer offenbar zu wenig. Damit nicht genug, kam auch noch das gravierende Lärmproblem hinzu. Wegen der dröhnenden Triebwerke und des ohrenbetäubenden Überschallknalls durfte die Concorde nur über dem Ozean auf Überschallgeschwindigkeit – also jenseits von „Mach 1", der einfachen Schallgeschwindigkeit von rund 1.200 Kilometern pro Stunde, – beschleunigen und hatte zuletzt in fast allen Ländern ein Landeverbot.
Für 2023 Erste Flieger geplant
Der lukrative Traum vom ultra-schnellen Business-Jet zwischen amerikanischer Ost- und Westküste war schon ganz früh geplatzt, als die US-Luftsicherheitsbehörde 1973 zivile Überschallflüge über den USA verboten hatte. Es blieben der Concorde, deren Entwicklung stolze 17 Milliarden Dollar gekostet hatte, also nur ganz wenige Flugrouten und kaum mehr Einsatzmöglichkeiten. Rund 3,8 Millionen Reisende wurden mit der Concorde bis zu ihrem Ende befördert.
Es ist schon etwas verwunderlich, dass in unserer immer schnelllebigeren Zeit ausgerechnet bei Flugreisen dem Zeitfaktor in den vergangenen Jahren offenbar keine große Bedeutung beigemessen wurde. Nach dem Ende der Concorde, deren russische Vorgänger-Variante Tupolew TU-144 ihren Betrieb bereits 1978 eingestellt hatte, setzten die großen Flugzeughersteller Airbus und Boeing ihr Hauptaugenmerk nicht auf Geschwindigkeit, sondern auf Umweltverträglichkeit mit Minimierung von Lärm und Kerosinverbrauch, Erhöhung des Sitzkomforts und Ausbau des Bordunterhaltungsprogramms. Die Reisegeschwindigkeit bewegt sich derzeit im Schnitt bei 900 Kilometern pro Stunde, weswegen Flüge heute wegen Spritsparvorgaben im Prinzip genauso lange dauern wie in den 1950er-Jahren.
2015 wurde die weltweite Öffentlichkeit allerdings mit Nachrichten überrascht, wonach prominente Unternehmen offenbar an einer Neuauflage der zivilen Überschallflugzeuge arbeiten. In den USA hatten Boeing und Lockheed Martin im Rahmen eines High-Speed-Forschungsprojekts der Nasa Modelle für künftige Überschallflieger entworfen. Airbus war eine Kooperation mit der US-Firma Aerion Corporation eingegangen, die ein überschallschnelles Geschäftsflugzeug namens „AS2" entworfen hatte. Die japanische Raumfahrtbehörde Jaxa meldete die Forschung an einem lärmarmen Überschalljet. Angesichts der immensen Entwicklungskosten eines veritablen Concorde-Nachfolgers schienen das aber alles nur mehr oder weniger seriöse Vorspiele zu sein. Konkrete Pläne für die tatsächliche Realisierung eines neuen Überschallflugzeuges ließen sich daraus nicht ableiten.
Doch dann sorgte plötzlich im Sommer vergangenen Jahres das US-Start-up-Unternehmen Boom Technology mit der Info für Furore, dass es für seinen bis zu 55-sitzigen Überschalljet bereits 76 feste Bestellungen von fünf Fluggesellschaften erhalten habe. Das Projekt scheint auf seriösen Füßen zu stehen und verfügt dank Investoren wie dem Milliardär und Industrie-Mogul Richard Branson, der mit seiner Virgin Galactic auch schon im Weltraum-Tourismus engagiert ist, auch über beträchtliche finanzielle Ressourcen. Erste Flüge mit der kleineren Testversion XB-1, genannt Baby Boom, die eine Höchstgeschwindigkeit von rund 2.700 Stundenkilometern oder mehr als doppelte Schallgeschwindigkeit erreichen soll, sind schon für Ende dieses Jahres geplant. 2023 sollen die ersten Maschinen ausgeliefert werden – zum Stückpreis von voraussichtlich 200 Millionen Dollar. An den schon seit 1976 geltenden Flugzeug-Geschwindigkeitsrekord des US-Kampfbombers Lockheed SR-71A Blackbird mit sagenhaften 3.529 Stundenkilometern kann der zivile Jet aber nicht herankommen.
Laut Kalkulationen von Boom könnte der Ticketpreis in der Business Class angesiedelt sein, was für die Strecke von London nach New York etwa 2.500 Dollar bedeuten würde. Realistischer scheint hingegen ein Ticketpreis um die 5.000 Dollar zu sein. Die bisher gewohnten Flugzeiten verspricht Boom mit seinem Jet halbieren zu können. Dieser soll ausschließlich Fensterplätze entlang eines Mittelgangs aufweisen und aus Gewichtsgründen auf Betten verzichten. Genaue Angaben zum Treibstoffverbrauch sind bislang ebenso wenig bekannt wie die Lösung des Lärmproblems. Boom hat zwar verlauten lassen, dass seine Jets etwa 30 Prozent leiser als die Concorde sein werden. Aber ob das letztlich für die Erteilung einer Start- und Landeerlaubnis ausreichen wird, bleibt abzuwarten. Wenn der Boom-Jet ein Erfolg werden sollte, könnte er den Markt der Privatjets kräftig aufmischen. Womöglich könnte er auch für große Airlines als Imageprojekt interessant werden, weil dann noch so luxuriöse Kabinen in viel langsameren Flugzeugen an Attraktivität verlieren könnten.
Form contra Funktion
Megastarke Konkurrenz hat Boom jüngst durch die Nasa bekommen, die im Frühjahr dieses Jahres die Bestellung eines eigenen Überschall-Passagierflugzeugs beim US-Rüstungskonzern Lockheed Martin bekannt gegeben hatte. Im Rahmen eines Budgets von 274,5 Millionen Dollar soll das Unternehmen bis spätestens Ende 2021 den Prototypen namens X-Plane konstruieren, der in einer Höhe von 16 Kilometern rund 1.500 Stundenkilometer schnell fliegen können soll. Die Nasa möchte den Prototypen selbst ausführlich testen, ab 2022 beispielsweise über ausgewählten US-Städten, um zu überprüfen, ob der Jet tatsächlich – wie von der Nasa versprochen – ohne Überschallknall fliegen kann.
Untersuchungen, wie dieses Problem womöglich aus der Welt geschafft werden könnte, hatte die Nasa schon seit 2005 gemeinsam mit dem Unternehmen Gulfstream Aerospace aufgenommen. Auf dieser Basis war man zu der Erkenntnis gekommen, dass die ideale Form eines Überschall-Flugzeuges die einer dünnen, langen Stecknadel wäre. Da das für den Passagier-Transport nicht sonderlich praktikabel sein kann, musste nach einem Kompromiss zwischen Form und Funktion gesucht werden – mit langer Bugnadel, extrem schlankem Rumpf, geschwungenen Delta-Flügeln und speziellen Oberflächen.
Dank dieser Flugzeugform möchte man verhindern, dass die Schallwellen bei Überschallgeschwindigkeit vor dem Jet und am Heck verdichtet werden und dadurch den Knall auslösen, der nicht nur beim Durchbrechen der Schallmauer, sondern während des gesamten Überschallflugs auftritt. Der Knall solle gewissermaßen in viele kleine Einheiten aufgeteilt werden, was auf der Erde nur noch als leichtes Rumpeln in der Lautstärke einer zuschlagenden Autotür wahrnehmbar sein soll. Auch die Nasa geht von einer Halbierung der gewohnten Flugzeit aus und setzt auf Triebwerke, die deutlich leiser sind, weniger Abgase ausstoßen und weniger Treibstoff verbrauchen als die der Concorde. Erste Preisvorstellungen für die einfache Strecke von London nach New York liegen bei 5.000 bis 6.000 Dollar. Wohl kaum was für Otto Normalverbraucher, auch wenn die Nasa das ganz anders sieht: „Die Vision der Nasa ist eine Zukunft, in der ein kommerzieller Überschalltransport für einen großen Teil der reisenden Öffentlichkeit verfügbar und erschwinglich ist."
Daneben gibt es noch eine Reihe weiterer interessanter Player auf dem neuen Überschall-Jet-Markt. Beispielsweise das US-Unternehmen Spike Aerospace, dessen fensterloser Jet Spike S-512 mit einer Reisegeschwindigkeit von 1.700 Stundenkilometern 18 Passagiere transportieren soll. Auch Spike Aerospace hat verkündet, dass seine Maschine den Überschallknall vermeiden könne. Erste Überschallflüge sollen 2021 stattfinden, die Auslieferung der ersten Flugzeuge ist für 2023 geplant. Auch Aerion möchte mit seinem 1.400 Kilometer pro Stunde schnellen „AS2" ab 2025 in den regulären Flugverkehr eintreten, erste Tests sind für das Jahr 2023 vorgesehen.
Und im Sommer hatte auch Boeing die Entwicklung eines auf 150 Passagiere ausgelegten Hyperschallflugzeugs mit einer Geschwindigkeit von 6.200 Kilometern pro Stunde angekündigt. Es soll allerdings frühestens in 20 Jahren einsatzfähig sein.