Séraphine Strange arbeitet seit 2005 als Model und begeistert dabei auch viele Vintage-Fans. Im Interview spricht die Künstlerin über ihre Anfänge, modische Vorlieben, die Faszination „Vintage" und gibt viele Retro-Styling-Tipps.
Séraphine, wie bist Du zum Modeln gekommen? Und dann zur Spezialisierung auf die Bereiche Surrealismus und Vintage?
Mein fotobegeisterter Kumpel „der Natzo" hatte sich im Frühjahr 2004 ein neues Objektiv gekauft, hatte sein ganzes Equipment zufällig bei einem Besuch dabei und war irgendwie nicht davon abzubringen, es ausgerechnet durch Schnappschüsse von mir austesten zu wollen. Ich war bis dahin eigentlich extrem kamerascheu gewesen und ließ mich zunächst nur widerwillig darauf ein, fing dann aber sehr schnell Feuer, was mich selbst erstaunte. Es war ein bisschen wie ein Befreiungsschlag, als hätte ich nur auf dieses neue Medium gewartet, das mir fortan so gut ermöglichte, Seelenpuzzlestücke von mir zu kommunizieren.
Dann ging alles recht schnell: Wir trafen uns nun regelmäßig für Fotos, weitere Fotografen kamen hinzu, und bereits 2005 hatte ich meinen ersten Pay-Job für ein größeres Underground-Bekleidungslabel und diverse Veröffentlichungen.
Während ich anfangs nur alternativ bis Gothic angehaucht unterwegs war, verspürte ich sehr bald den Drang, meine anderen Facetten vor der Kamera und beim Styling auszuleben. So auch meine Vorliebe für Nostalgie, ausgelebt im Vintage-Stil, und für den Surrealismus. Ich habe schon als Kind gemerkt, dass ich die Welt ganz offensichtlich mit anderen Augen sehe als viele andere und mich dadurch oft „strange" fühle, denke, agiere oder kreiere. Daher auch „Séraphine Strange". Anders als viele Models schlüpfe ich dabei in keine Rollen, sondern weiß genau, all diese in Szene gesetzten Nuancen von mir oder einfach passierende Momente sind ein Teil von mir, stecken tief in mir. Selbst dann, wenn sie in paradoxem Widerspruch zueinander zu stehen scheinen.
Lediglich bei Pay-Jobs kommt es vor, dass ich dann auf Kundenwunsch doch auch mal Rollen verkörpere, die ich nicht oder nicht mehr bin. Aber auch das kann sehr spannend sein.
Wie sieht Dein Leben als Model und Make-up-Artist aus?
Da meine Kreativität sich auch noch weitere Kanäle wie digitale Bildbearbeitung, Gesang, Schauspiel, Schreiberei gesucht hat und da ich ja auch noch andere Verpflichtungen habe, bin ich nicht dauernd als Model und Make-up-Artist unterwegs. Aber irgendwas ist schon jeden Monat los und ab und zu ist dazu auch mal eine Reise nach Barcelona, Delft oder Paris dabei.
Was fasziniert Dich am Vintage-Stil?
Die charmante Nostalgie.
Was, würdest Du sagen, zeichnet einen guten Vintage-Look aus?
Dass man bei aller Vorliebe für diesen Stil sich selbst treu bleibt. Und dass man einzelne Details nicht versucht, modern zu verschlimmbessern. Eine H&M-Strumpfhose wird niemals so aussehen wie echte Nylons, die sich in leichten Falten ums Bein schmiegen.
Hast Du Vorbilder bezüglich Deines Vintage-Stils? Wer oder was inspiriert Dich?
Meine Uroma, generell alte Familienalben, Film-Noir-Streifen, auch die Serie „Mad Men" fand ich damals ziemlich inspirierend.
Du hast auf Deinen Fotos immer sehr aufwendige Make-ups und Frisuren. Wirst Du für Shootings und Auftritte immer von Profis gestylt oder schminkst und frisierst Du Dich auch oft selbst?
Zu 80 Prozent übernehme ich das inzwischen selbst, aber ich freue mich auch immer wieder, mich von wunderbaren Visagisten und Maskenbildnern wie Linda Biewald, Ilka von Queen of Fools oder Tanja Akbuga von Rougerie Hair & Make-up stylen zu lassen.
Du trägst auch immer extravagante Kleider, Kostüme und Accessoires. Wirst Du von Designern ausgestattet oder kaufst und nähst Du auch viel selbst?
Vieles stammt tatsächlich aus dem Nachlass meiner lieben Uroma. Ansonsten sind einige Leihgaben dabei, aber ich unterstütze gerade auch kleinere Labels gerne durch meinen Kauf. Ich schäme mich ehrlich gesagt oft fremd für die inzwischen leider salonfähige Schmarotzer-Mentalität mancher Models und Fotografen. Gerade bei meinen surrealeren Projekten lege ich aber auch oft selbst Hand an und kreiere Accessoires.
Ich shoppe gern bei Beron, Bibian Blue, Chocolat Paderborn, Crystal und Sage, King Louie, Les Incroyables, Mademoiselle Tambour, Marlenes Töchter, Pavy-Creations, Savage-Wear, Schnittmuskel, Vecona Vintage, Vive Maria und anderen befreundeten oder mir sympathischen Kleinunternehmern, statt bei riesigen Ketten oder marktführenden Onlineshops. Hiermit mag ich übrigens auch alle aufrufen: Bitte unterstützt unsere kleinen lokalen Selbstständigen! Sie brauchen uns, und außerdem steckt meist viel mehr Herzblut und Originalität in ihren Stücken.
Meist zählen rote Lippen, ein markanter Lidstrich und lange, perfekt getrennte Wimpern zum Pflichtprogramm bei Vintage-Styles. Hast Du Tipps für den perfekten Lidstrich?
Ich ziehe ihn gern mit einem im Kühlschrank gekühlten Kajal leicht vor, bevor ich den Dip-Eyeliner von Manhattan auftrage, so kann ich alles ganz leicht korrigieren, bevor es ernst wird. Wichtig ist, dass die äußeren Enden dabei nicht absaufen, sondern einen freundlichen Schwung nach oben machen, sonst wirkt es müde oder trist. Ich persönlich halte den universell perfekten Lidstrich für Quatsch. Jeder hat unterschiedliche Augenformen und -lider, und die möchten nun mal nicht alle gleich betont werden. Stehen die Augen zum Beispiel eng beieinander, sollte man einen Lidstrich nur außen auftragen. Stehen die Augen weit auseinander, kann man ihn hingegen fast katzig noch etwas über die inneren Augenwinkel hinaus nach innen auftragen. In jedem Fall hilft ein dreigeteilter Spiegel, mit dem man sich seitlich sehen kann.
Wie bekommst Du so tolle Wimpern?
Da muss ich mich wohl bei meinem Dad bedanken, der hat die gleichen Wimpern. Ich tusche sie einfach nur mit wasserfester Wimperntusche. Lash Extensions hatte ich noch nie, Kunstwimpern habe ich früher öfter benutzt, heute nur noch auf Kundenwunsch, da sie die eigenen Wimpern auf Dauer schwächen. Bei Kunstwimpern hatte ich witzigerweise sehr gute Erfahrungen mit Wimpern und Kleber von der Eigenmarke von Dm statt teurer Markenprodukte. Ich habe dabei nie Einzelwimpern verwendet.
Die klassische Frisur der 40er nennt sich Victory Roll. Dafür wird die vordere Haarpartie als „reverse roll" nach innen gedreht. Bei zwei Rolls ergibt sich so ein „V" für Victory – klassisch amerikanisch. Wie formt man sich selbst am besten Victory Rolls?
Ich mache das grundsätzlich mit den Fingern, aber da muss jeder seinen Weg finden. Bei mir zieht sich das so durch, dass ich gern direkt mit den Händen arbeite. Was mir hilft, ist, wenn ich das Deckhaar der gewünschten Strähne leicht toupiere – die Unterseite der Strähne nicht! Das landet dann beim Eindrehen innen und verhindert, dass alles wieder auseinanderrutscht. Außerdem niemals das Haarspray vor dem Eindrehen auftragen, das gibt eine heillose Kleberei. Auch ist es besser, die Haare am Tag des Stylings nicht zu waschen, sondern ein, zwei Tage zuvor. Die Haarnadeln halten am besten, wenn man zwei übereinander kreuzt.
Wie sieht für Dich das perfekte Vintage-Make-up für den Winter aus? Kannst Du Schminktipps und Tipps für die optimalen Farbtöne geben?
Das kommt natürlich auf Teint, Augen- und Haarfarbe an. Aber bei meinem ehemals schwarzen und jetzt braunen Haar, der blassen Haut und den blaugrünen Augen mag ich den typischen Schneewittchen-Look. Ich verzichte dazu auf den typischen Lidstrich, um den Fokus auf die knallroten oder auch mal dunkelweinroten Lippen zu legen. Die Blässe betone ich noch mit hellem Puder, auf den Wangen trage ich runde Rougebäckchen passend zur Lippenfarbe auf und darüber auf die Wangenknochen kommt etwas Highlighter. Die Augenlider erhalten in der Mitte einen kleinen Silberglanz, die inneren Augenwinkel werden mit weißem Lidschatten leicht aufgehellt und an den Außenseiten der unteren Wimpernkränze trage ich unter den Wimpern hellbraunen Kajal in einer feinen Linie auf. Danach tusche ich die Wimpern und das war es auch schon.
Wie sieht Deine Beauty-Routine aus?
Bestimmt in vielem nicht sonderlich anders als bei anderen auch. Allerdings verwende ich, bevor ich schlafen gehe, immer ein naturkosmetisches Reinigungspeeling, um Make-up zu entfernen und die Poren zu öffnen und trage danach ein hochwertiges Oliven- oder Kokosöl aufs angefeuchtete Gesicht auf. Das pflegt nicht nur die Haut, sondern polstert sogar das Unterhautgewebe auf und wirkt so schlaffer, faltiger Haut entgegen. Cremes oder Ähnliches benutze ich fast nie. Überhaupt habe ich seit Längerem fast alles auf Naturkosmetik umgestellt. Meine Zahnbürste ist derzeit aus Bambus. Mal sehen, ob ich dabei bleibe.
Welches sind Deine Lieblings-Vintage-Outfits für den Winter?
Ich liebe zum Beispiel die kuscheligen, wollenen Rollis von Beron (www.missberon.de), dicke Norwegerkleider oder Dufflecoats und trage voller Stolz die Hüte, die Handschuhe, den Muff und die Handtaschen, die mir meine geliebte Uroma vermacht hat. Sie war eine der wertvollsten, stilbewusstesten und humorvollsten Seelen, die ich kennenlernen durfte und es ist erstaunlich, wie ähnlich unser Geschmack teilweise ist. Das kommt auch perfekt meinem Boykott der heutigen „Primark-Deichmann-Wegwerf-Gesellschaft" entgegen. Ich kaufe nur, was mir langfristig gefällt und repariere dann immer erst lieber, statt ständig hirnlos neu zu konsumieren.
Mit welchen Accessoires kann man ein schönes winterliches Vintage-Outfit zaubern?
Außer den schon angeführten Dingen mag ich da auch gern Ohrenwärmer, einen verträumten, übergroßen Strickschal und dicke tannengrüne, wollweiße oder rote Wollstrumpfhosen.
Womit bist Du aktuell beschäftigt? Und was steht bei Dir an?
Derzeit arbeite ich als Social-Media-Managerin für ein Start-up, das zuckerfreie Schokoriegel herstellt und betreue ebenfalls den Account meines Mannes, Enno Personal Training. Ansonsten sind da die ein oder anderen Drehs für diverse TV-Formate, bezahlte und manchmal freie Shootings, ab und an ein Surreal-Make-up-Job oder ich widme mich der digitalen Bildbearbeitung und diesen Monat steht ein Musikvideo-Dreh mit Heilemania für die Farmer Boys an, worauf ich mich riesig freue und eventuell zeitnah ein neues Musikprojekt mit mir als Stimme.
Séraphine bei Facebook: www.facebook.com/seraphine.strange.official.site