Internationaler Druck und der Geld-Hebel: Diese Sprache verstehen die Saudis
Eines steht fest: Die saudische Regierung hat beim Umgang mit der Wahrheit im Fall des getöteten Journalisten Jamal Khashoggi unglaubliche 180-Grad-Pirouetten gedreht. Man weiß nicht, über was man sich mehr wundern soll – die Kaltschnäuzigkeit des Königshauses, dessen Jetzt-versuchen-wir-mal-den-Rest-der-Welt-für-dumm-zu-verkaufen-Mentalität oder die Brutalität des Verbrechens im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul.
Erst empört alles abstreiten, dann eine „Schlägerei" mit Todesfolgen fabrizieren und schließlich Krokodilstränen vergießen: Die saudische Führung hat im Khashoggi-Skandal sträflich versagt. Die Festnahme von 18 Beamten ist ein Bauernopfer. Zu durchsichtig der Versuch, Phantom-Szenarien aufzubauen, um den Kronprinzen Mohammed bin Salman aus der Schusslinie zu nehmen. Der 33-Jährige, bekannt unter dem Kürzel MbS, führt in Riad de facto die Geschäfte.
MbS ist wegen seines aufflackernden Temperaments berüchtigt. Die Details, die Polizei und Ermittlungsbehörden in der Türkei durchsickern ließen, verdichten sich zu einer belastenden Indizienkette gegen den starken Mann in Riad. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sprach am Dienstag von einem „bösartigen, barbarischen Mord".
Saudi-Arabien ist eine absolute Monarchie. Daraus leitet MbS das Recht ab, Andersdenkende auszupeitschen oder einzusperren. Länder mit einem eigenen außenpolitischen Kurs wie etwa Katar werden mit einem Boykott bestraft. Gegen die schiitischen Huthi-Rebellen im Jemen führt Saudi-Arabien einen Vernichtungsfeldzug mit vielen zivilen Opfern. Wagt es ein Diplomat, Kritik an derartigen Aktionen zu üben wie Ex-Außenminister Sigmar Gabriel, wird der eigene Botschafter abgezogen. Widerspruch ist für MbS ein aggressiver Akt, eine gefühlte Kriegserklärung.
Die Tötung von Jamal Khashoggi markiert eine Wegscheide in den internationalen Beziehungen. Nach dem Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen von 1963 müssen Konsulate und Botschaften den eigenen Staatsangehörigen „Hilfe und Beistand" leisten. Wenn Regierungsvertreter einen Bürger des eigenen Landes in einer konsularischen Vertretung töten, ist dies Staats-Terrorismus. Geht dies ohne Konsequenzen durch, ist die Welt nur noch eine Arena, in der das Gesetz des Dschungels gilt. Das muss unter allen Umständen verhindert werden.
Der Kronprinz und seine Getreuen agieren allerdings nicht im luftleeren Raum. US-Präsident Donald Trump schafft ein Klima, das rücksichtslose Haudrauf-Politiker begünstigt. Er hält große Stücke auf Mohammed bin Salman. Es ist kein Zufall, dass ihn seine erste Auslandsreise im Mai 2017 nach Saudi-Arabien führte. Der Schwerttanz in Riad, bei dem Trump inmitten der Scheichs selig lächelte, zeigt: Das Lebensgefühl, wie die mächtigen Männer im Orient die Dinge bewegen zu können, liegt ihm. Die Aussicht, dass die Saudis den USA Waffen im Wert von 110 Milliarden Dollar abkaufen, macht seinen Blick vollends milde. „America First": Es zählt, was im eigenen Land Arbeitsplätze schafft. Der Rest ist Nebensache. Das Wohlwollen des Präsidenten hat MbS als Freifahrtschein aufgefasst. Er dachte, er sei unantastbar.
Trumps Sympathie für Saudi-Arabien hat einen tieferen Grund. Sie deckt sich mit seiner Vorliebe für autoritäre Politiker-Typen, die durchregieren können. Das trifft auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin ebenso zu wie auf den chinesischen Staatschef Xi Jinpin oder Nordkoreas Diktator Kim Jong-un.
Die eigenen wirtschaftlichen Interessen lassen Trump mit Blick auf die Menschenrechte einknicken. Zwar verlangt er von den Saudis mehr Aufklärung bei den Vorgängen im Konsulat von Istanbul. Doch der Tadel klingt halbherzig. Anders die Signale aus Deutschland: Die Bundesregierung legt die Waffenexporte ins Königreich einstweilen auf Eis; zu wünschen wäre allerdings, dass andere Staaten nachziehen. Siemens-Chef Joe Kaeser hat seine Teilnahme an einer großen Investorenkonferenz in Riad („Davos der Wüste") abgesagt, bei der die Saudis dringend benötigte Milliarden für ihre Modernisierungs-Projekte eintreiben wollten. Eine Reihe von Spitzenmanagern aus verschiedenen Ländern hatte bereits vorher abgewunken. Internationaler Druck und der Geld-Hebel: Das ist die Sprache, die das Königshaus versteht. Nur so lässt sich eine zweite Katastrophe wie im Fall Khashoggi vermeiden.