Der Brexit wird, ganz gleich wie er aussehen mag, Folgen haben für die Wirtschaft und für die Menschen auf beiden Seiten des Ärmelkanals. Für das Saarland ist Großbritannien neben Frankreich der wichtigste Handelspartner. Iris Scherer-Wunn ist die Brexit-Beraterin der IHK Saarland. Sie rät Unternehmen dringend zu einem „Plan B".
Wie wichtig ist Großbritannien für die saarländische Wirtschaft?
2017 exportierten saarländische Unternehmen Produkte im Wert von rund 2,2 Milliarden Euro nach Großbritannien, insbesondere der Automotive-Bereich und die pharmazeutische Industrie. Im Gegenzug importierte das Saarland Waren für rund 912 Millionen Euro, vor allem die Bekleidungsindustrie. Die Exporte waren bereits im ersten Halbjahr 2018 um knapp 20 Prozent rückläufig. Der Brexit sorgt also schon seit längerer Zeit für eine allgemeine Verunsicherung in der Wirtschaft.
Wie viele Unternehmen aus dem Saarland haben direkte Geschäftsbeziehungen zu den Briten?
Wir zählen etwa 60 Unternehmen mit Niederlassungen beziehungsweise Produktionsstätten unterschiedlicher Größenordnung im Saarland, die direkte Wirtschaftsbeziehungen zu Großbritannien unterhalten. Die werden sich sicherlich, allen voran die großen Betriebe, mit den Folgen des Brexits auseinandersetzen. Aber vom Brexit sind wesentlich mehr Unternehmen betroffen, zum Beispiel spezialisierte Zulieferunternehmen oder Betriebe, die Halbwaren zur Weiterverarbeitung an Kunden außerhalb Großbritanniens liefern, die wiederum erst dann an die Briten exportieren. In der globalisierten Welt kommen zum Beispiel die Rohstoffe aus Südamerika, werden im Saarland zu Halbprodukten weiterverarbeitet, dann in ein europäisches Land zur Endmontage geliefert, um letztlich von dort aus nach Großbritannien exportiert zu werden. Das ist viele Jahre gelebter Wirtschaftsalltag. Die Unternehmen sind gut beraten, sich ihre Lieferketten ganz genau anzuschauen, sich zu fragen, wo sie in der Kette stehen, um dann die nötigen Schlüsse zu ziehen. Die Unternehmen brauchen nämlich im internationalen Handel ein Präferenzdokument, das heißt einen Nachweis darüber, woher das Produkt stammt. Das gilt auch für die weiterverarbeiteten Produkte. Das hat auch mit Zulassung, Gewährleistung und Produkthaftung zu tun.
Wie bereiten sich die Unternehmen Ihrer Meinung nach im Saarland auf den Brexit vor?
Aus unserer Erfahrung ist da noch viel Luft nach oben, ausgenommen die Großunternehmen, die sich intensiv mit der Brexit-Frage und deren Folgen auseinandersetzen. Vielleicht liegt es daran, dass viele Unternehmen glauben, dass es nicht ganz so schlimm kommen wird. Oder es fehlt an entsprechendem Personal und Wissen, sich gezielt mit dem Brexit zu beschäftigen, zum Beispiel mit Zollerklärungen, Lizenzen, Bescheinigungen und Genehmigungen, Rechtsfragen zu Verträgen, Steuern, Gewährleistungspflichten, Serviceverträgen und so weiter. Das gilt verstärkt für kleinere und mittlere Unternehmen. Schließlich kostet die Beschäftigung mit dem Brexit den Unternehmer Zeit und Geld. Sie können natürlich auch Dienstleister wie Zollagenten damit beauftragen. Die IHK Saarland steht als Beratungspartner für alle diese Fragen ihren Mitgliedsunternehmen ebenfalls zur Verfügung.
Was bietet die IHK als Dienstleistung rund um den Brexit an, und was empfehlen Sie?
Wir haben Informationsblätter erstellt, arbeiten gemeinsam mit den örtlichen Zollbehörden wie dem Hauptzollamt zusammen, beraten persönlich, führen eine Online-Umfrage zur Betroffenheitsanalyse durch, informieren gemeinsam mit der deutsch-britischen Handelskammer und der Standortagentur über den Brexit und die Folgen. Außerdem gibt es einen Arbeitskreis Außenwirtschaft, und ab Januar starten wir Einsteigerkurse für den Umgang mit Zollformalitäten. Viele kleinere und vor allem jüngere Unternehmen, die nur in die EU exportieren, werden das wahrscheinlich gar nicht so genau wissen, weil es ja bisher nicht notwendig ist.
Wir kooperieren ebenso mit unserem Dachverband DIHK und tauschen uns mit den benachbarten IHK aus. Allen Unternehmen empfehle ich an dieser Stelle das Online-Tool des DIHK unter www.ihk.de/brexitcheck. Dort können betroffene Unternehmen in einem ersten Schritt selbst checken, ob und inwieweit sie vom Brexit betroffen sind.
Es dauert nicht mehr allzu lange bis zum Brexit. Reicht die Zeit noch aus, um sich vorzubereiten?
Die Zeit muss reichen. Politik und Wirtschaft sehen ja jetzt erst selbst, wohin die Reise des Brexits geht. Wir sollten trotzdem nicht in Panik oder Hektik verfallen und alle Pferde scheu machen, aber es ist dringend geboten, sich mit dem Thema nun konkret auseinanderzusetzen und einen Plan B in der Schublade zu haben. Sprich, was passiert, wenn der harte Brexit Wirklichkeit wird? Das sollte unbedingt zur Chefsache im Unternehmen erklärt werden. Es reicht nicht aus, wenn sich beispielsweise nur der Einkauf oder der Versand im Unternehmen mit dem Brexit auseinandersetzen. Wie steht es um den gewerblichen Rechtsschutz? Wie sieht künftig ein Servicevertrag mit Großbritannien aus? Kann ich die Mitarbeiter einfach so ins Land schicken? Wer kennt sich im Unternehmen mit Zollformalitäten aus? Das und vieles mehr muss vorher geklärt sein. Es wartet noch viel Arbeit auf uns alle, wenn Großbritannien für die EU ein Drittland wird.
Zeigen Sie doch mal die Folgen konkret auf.
Großbritannien ist mit einem Volumen von 89 Milliarden Euro der drittwichtigste Güter-Exportmarkt Deutschlands. Gleichzeitig betragen die Importe aus dem Vereinigten Königreich 38 Milliarden Euro. Schätzungsweise 185.000 Wirtschaftsbeteiligte nur auf Seiten der Briten sind ab dem Brexit gehalten, zum ersten Mal eine Zollanmeldung abzugeben. Allein für Deutschland rechnet man mit 60 Millionen zusätzlicher Zollanmeldungen und 4,2 Millionen zusätzlich abzufertigender Lkw in Dover und dem Eurotunnel – die anderen Mitgliedstaaten noch nicht einbezogen.
Die IRU (World Road Transport Organisation) hat errechnet, dass allein durch die Erledigung von Zollformalitäten, die im Schnitt nur zwei Minuten länger dauern dürften, es zu Staus von mindestens 27 Kilometer Länge auf beiden Seiten der Grenze tagtäglich kommen wird.
Abgesehen von möglichen Zoll- oder Mehrwertsteuerabgaben auf beiden Seiten werden Lieferungen allein schon durch die längeren Abfertigungszeiten deutlich teurer werden. Beschaffungskanäle beziehungsweise Just-in-time-Fertigungsanlagen, insbesondere in der Automotivebranche, und auch der Internethandel stehen auf dem Spiel.
Es geht ja nicht nur um Waren und Dienstleistungen, sondern auch um den freien Personenverkehr. Wie viele Briten leben im Saarland?
Nach Angaben des statistischen Bundesamt leben 630 Briten im Saarland. Sie alle würden verwaltungstechnisch behandelt wie Personen aus Drittländern. Gleiches gilt für die Saarländer in Großbritannien. Und das in einem Europa, das eigentlich zusammenwachsen sollte. Ob der Brexit und die Folgen allen Briten bei der Abstimmung 2016 so bewusst waren , mag bezweifelt werden. Wir können nur hoffen, dass sich alle Beteiligten zusammenraufen und eine tragbare Lösung für beide Seiten finden, damit Wohlstand und Fortschritt gesichert werden. Der wirtschaftliche Schaden dürfte immens sein, auf britischer Seite wohl noch höher als hierzulande, wie namhafte Wirtschaftsinstitute vorausberechnet haben.