Schwarzmalen? Das will man beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) keineswegs. Wirklich gut ist die Stimmung in Zeiten des Brexits aber auch nicht. BDI-Chef Dr. Joachim Lang hofft auf ein Ausstiegsabkommen mit Übergangszeit. Denn noch weiß ja niemand, worauf er sich eigentlich vorbereiten soll.
Herr Dr. Lang, womöglich heißt es ja demnächst „No Deal". Was hieße ein harter Brexit für die deutsche Industrie?
Alles, was wir in den Jahrzehnten der EU mit Großbritannien an Verträgen ausgehandelt haben, würde von heute auf morgen nicht mehr gelten. Was dann jeder Bürger in Europa sofort mitbekommen würde: Wir hätten plötzlich wieder Grenz- und Zollkontrollen. Für den EU-Binnenmarkt wäre das eine Katastrophe – und für die industrielle Fertigung erst recht.
Da wird oft „just in time" produziert – Produkte entstehen aus Teilen, die genau dann geliefert werden, wenn sie gebraucht werden. Hätten die Grenzkontrollen nicht auch Einfluss auf die Produktionsabläufe?
Ganz genau. Das Fiasko wäre so groß, dass einige Unternehmen mittlerweile schon angekündigt haben: Sollte es zu solchen Grenzkontrollen kommen, würden sie ihr Werk erst mal für ein paar Wochen schließen. In dieser Schließzeit würde man dann die Bestellketten neu organisieren – ohne Nachschub an Material kann nicht produziert werden. Denn mit Grenzkontrollen muss ein Hersteller die gesamte Prozesskette neu denken. Das kostet Zeit und vor allem auch Geld. Das kann so weit gehen, dass man dann auch darüber nachdenken wird, ob man nicht seine Produktion woandershin verlagert.
Aber es geht ja nicht nur um industrielle Fertigung. Wie steht es denn um den Logistikbereich?
Selbstverständlich wäre diese Branche Hauptleidtragender eines harten Brexits mit Grenzkontrollen. Das betrifft natürlich die Automobilhersteller, die Schwerindustrie, aber auch den Bereich verderblicher Waren. Die Pharmafirmen oder die Lebensmittelindustrie sind also genauso betroffen. Sie alle schicken ihre Waren hin und her, und die Fuhrunternehmer rechnen mit jeder Minute in dieser Logistikkette. Langwierige Grenzkontrollen würden dieses komplexe System zusammenbrechen lassen.
Wenn die Auswirkungen so dramatisch sind: Sollte nicht die EU mehr Zugeständnisse machen?
Zunächst einmal war es ja der Wunsch der Briten, die Europäische Union zu verlassen. Das heißt, dann muss auch die britische Seite konkrete Vorschläge machen, wie sie sich zukünftig die Geschäftsbeziehungen vorstellt. Die Europäische Union und auch wir als Industrie müssen dann kommentieren, ob diese Vorschläge auch praktikabel sind. Es muss am Ende funktionieren, darauf kommt es an. Da müssen dann im Detail sicherlich alle Beteiligten flexibel sein.
Was wäre denn ein absolutes „No Go" für die deutsche Industrie? Ein Thema werden ja auch zukünftige Zölle zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich sein …
Ach, wissen Sie, wir wollen ja eigentlich überhaupt keine Zölle. Wir haben einen Binnenmarkt und eine Zollunion. Alles, was davon abweicht, ist schlecht!
Gerade ringen alle um einen Brexit mit Übergangsfrist. Aber bringt das etwas – der Austritt wäre doch nur aufgeschoben?
Na, bei einem solchen Abkommen wäre zumindest der Schaden für die Industrie zunächst einmal begrenzt, da dann ja zunächst der Status quo gilt. Der Warenverkehr würde also nach dem 29. März kommenden Jahres erst mal weiterlaufen. Dies würde uns zumindest Zeit verschaffen, um uns dann auf die Zeit danach vorzubereiten, von der wir aber gar nicht wissen, wie sie aussehen soll. Denn momentan wird ja nicht nur über ein Ausstiegsabkommen plus Übergangsphase verhandelt, sondern die Gespräche drehen sich auch darum, wie die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen Großbritannien und der EU zukünftig aussehen sollen. Das ist wichtig, das würde auch uns zur Orientierung dienen. Doch daraus dann ein Abkommen zu machen, wird sehr lange dauern. Wir haben Zweifel, dass dieser Prozess tatsächlich bis zum Ende des Jahres 2020, also dem Ende der Übergangsphase, zu schaffen ist.
Was empfehlen Sie als Industrieverband denn in Anbetracht dieser komplizierten Gemengelage Ihren Mitgliedsunternehmen?
So wie bisher: sich auf den schlechtesten aller Fälle vorzubereiten. Damit man dann, wenn es besser laufen sollte, einen positiven Effekt hat, und nicht von einer negativen Entwicklung überrascht wird.
„The worst case" als Empfehlung für eine bessere Zukunft?
Genau. Und das Beste wäre, wenn wir tatsächlich diese Übergangsphase bekämen, denn dann könnten wir erst mal so weitermachen wie bisher. Dann hätten wir auf jeden Fall die Rechtssicherheit bis zum Ende des Jahres 2020, das wäre für alle ein großer Gewinn.
Ganz anders gefragt: Das Wunder geschieht – und der Brexit findet überhaupt nicht statt …
Der Schaden wäre trotzdem relativ hoch. Wir haben Unternehmen, die sehr viel Geld investiert haben, um sich auf den Brexit vorzubereiten. Diese Kosten entstehen ja schon allein durch den Umstand, dass der einzelne Unternehmer in seinem Betrieb schauen muss: Wie weit bin ich vom Brexit überhaupt betroffen? Dafür müssen Mitarbeiter abgestellt oder externe Firmen beauftragt werden, die zum Beispiel die Zulieferketten überprüfen.
Die Kosten sind schon jetzt gewaltig, aber noch hat sie niemand zusammengerechnet. Es gibt Unternehmen, die reden über solche Investitionen, andere machen dies nicht. Insgesamt hat die Idee des Brexits auf allen Seiten schon sehr viel gekostet. Doch unvorbereitet in den Brexit zu gehen, dürfte noch erheblich teurer werden.
Haben denn die letzten Vor-Brexit-Monate auch irgendetwas Gutes gebracht?
Es gibt aus den letzten Monaten ganz gewiss eine sichere Erkenntnis, die vermutlich mittlerweile auch die größten EU-Kritiker mit uns teilen: Die Europäische Union hat sehr, sehr viele positive Aspekte. Bei allen Ungereimtheiten, die da ins Feld geführt wurden und werden, überwiegen insgesamt doch die Vorteile des jahrzehntelangen europäischen Miteinanders.