Bildungspolitik ist manchmal ein seltsames Pflänzchen
„Wie man’s spricht!" Haben Sie schon mal diese Antwort bekommen, nachdem Sie jemanden gefragt hatten, wie man etwas schreibe? Bei Wörten wie „an" und „in" mag das funktionieren. Bei allem, was ein wenig komplexer ist, nicht. Selbst das Wörtchen „und" spricht man anders, als man es spricht, nämlich „unt". Schließlich existiert im Deutschen die sogenannte Auslautverhärtung, dank derer stimmhafte Konsonanten am Silben- und Wortende stimmlos werden.
Nun habe ich als studierter Phonetiker vermutlich ein etwas anderes Verhältnis zu Lauten (also zu den Tönen, nicht zu den Musikinstrumenten). Aber so oder so ist „Wie man’s spricht" keine sinnvolle Antwort. Wir sind uns nicht bewusst, was wir wie aussprechen. Zum Glück, möchte man sagen, denn ansonsten wären wir heillos überfordert.
Als Schüler, der 2002 sein Abitur machte, hat sie mich noch voll erwischt: die sogenannte Rechtschreibreform. Einige Änderungen waren einleuchtend. Dass man nun nicht mehr „daß", sondern „dass" schreibt, zum Beispiel. Dass es aber immer noch „Fuß" und „Straße" heißt. Die Länge des Vokals entscheidet. Nach einem Langvokal bleibt das „ß" bestehen. Easy.
Bei den Kommaregeln wurde eher die „Wir-können-über-alles-reden-Methode" eingeführt. Die wenigsten wissen heute verbindlich, welche Kommata man setzen muss, welche man setzen darf und so weiter. Aber das ist nicht das eigentliche Problem.
Diese marginalen Änderungen „Reform" zu nennen, ist schon eher ein Problem. Das war bestenfalls ein Reförmchen. Eine winzige Anpassung. Grundlegend reformiert wurde da nix. Und – um auf unser „wie man’s spricht" zurückzukommen – weder vorher noch nachher konnte man am Klang der Wörter erkennen, wie sie geschrieben werden.
Schauen wir uns unsere Wörter doch einmal genauer an. Wie würden Sie folgenden Buchstaben aussprechen: „E"? Vermutlich wie am Anfang des Wortes „Elefanten", richtig? Jetzt achten Sie mal auf das zweite „E" in „Elefanten". Das klingt ganz anders. Gemerkt? Und das dritte „E" spricht man, streng genommen, gar nicht. Wir sagen eher „Elefantn".
Das waren nicht einmal alle Varianten eines „E". Und dann haben wir ja auch noch ein paar andere Vokale und Konsonanten, nicht wahr …
Ich möchte mich nicht zu sehr in die Bildungspolitik einmischen, aber wie sinnvoll ist es allein angesichts dieses klitzekleinen Beispiels, dass Kinder in der Schule nach der Methode „Lesen durch Schreiben" (auch bekannt als „Schreiben nach Gehör") Rechtschreibung erlernen? Oder besser gesagt: nicht erlernen. Nun könnte man denken: Es ist doch nicht tragisch, wenn ein Kind das Wort „vielleicht" „fiilaischt" schreibt. Richtig, ist nicht schlimm. Man versteht ja, was gemeint ist. Wobei es natürlich schon seltsam ist: Entscheidet sich der Schüler dafür, das Wort „vielleicht" als „pppppp" zu interpretieren, ist es ja auch nicht falsch, denn falsch gibt es nicht. Er kann immer behaupten „pppppp" gehört zu haben. Diese Methode, so ihre Verfechter, fördere die Freude am Schreiben.
Zumindest in den ersten beiden Schuljahren, möchte ich da gerne ergänzen. Wenn die großen Ferien dann nämlich vorbei sind, lauern die Lehrer bereits hinter den Pulten, den Rotstift im Anschlag … Und ab jetzt wird das Wort „vielleicht" exakt so geschrieben: „v-i-e-l-l-e-i-c-h-t". Und jede Abweichung gibt Punktabzug. Setzen, sechs! Sie verstehen.
Es geht hier weniger um Rechtschreibung als um Anstand: Wäre es nicht sinnvoller, Kindern von Anfang an das nötige Werkzeug an die Hand zu geben, anstatt sie an der Nase herumzuführen?
Treiben wir es doch auf die Spitze: Warum machen wir statt Schreiben nach Gehör nicht auch Mathematik nach Lust und Laune? Ich fordere, dass in den ersten beiden Schuljahren Rechenergebnisse nicht mehr unbedingt Zahlen sein müssen. 2 + 2 ist dann nicht mehr 4, sondern „&§", „Kraltsmümpf", „Schripotzl" oder gar „Der da hinten hat–, Oh! Ein Schmetterling, Beachvolleyball!" Alles kann, nichts muss.
Ich weiß nicht, ob ich genügend Unterstützer für meine Sache finde. Aber wir sollten es wagen. Sie wissen schon: der Freude am Rechnen wegen. Und wenn die Kids in die dritte Klasse kommen, dann rächen sich die Lehrer an ihnen für ihre mathematischen Verfehlungen in den ersten beiden Schuljahren. Vielleicht mit einem „Rächenschieber". Wer weiß …