Im Zuge der Novemberrevolution wurden nicht nur die Fürsten gestürzt, sondern das Machtvakuum in der neuen Republik wurde sogleich von Parteien ausgefüllt. Die sollten sich schnell als Meister des parlamentarischen Spiels erweisen, hatten sie im Kaiserreich doch schon reichlich Zeit zum Üben in der ungeliebten Oppositionsrolle.
Nachdem der erste Versuch, eine liberale Demokratie in Deutschland zu etablieren, in der Märzrevolution 1848 noch gescheitert war, sollten die gegen den Obrigkeitsstaat rebellierenden Aufständischen 70 Jahre später endlich erfolgreich sein. Das Reich wurde zu einer parlamentarischen Republik, in der die Parteien, die damals rechtlich gesehen nichts weiter als Vereine ohne jeglichen Sonderstatus waren, plötzlich zu den alleinigen Trägern der politischen Macht aufstiegen. Besonders pikant war, dass in der Deutschen Republik, die erst Ende der 1920er-Jahre von ihren linken wie rechten Gegnern den abwertend gebrauchten Namen Weimarer Republik erhalten sollte, mit Friedrich Ebert im Februar 1919 ausgerechnet der Vorsitzende der Sozialdemokraten zum ersten Reichspräsidenten gewählt wurde. Die Sozialdemokraten sollten eigentlich mit Bismarcks Sozialistengesetzen von der politischen Bühne verdrängt werden. Dennoch gingen sie aus der Wahl zur Deutschen Nationalversammlung im Januar 1919 mit 37,9 Prozent der abgegebenen Stimmen als klare Sieger hervor.
Junge Demokratie hatte viele Feinde
Die Geschichte der Weimarer Republik lässt sich nach ihrer Gründungsphase im Grunde in drei Abschnitte gliedern. In den Krisenjahren von 1919 bis 1923 hatte die Republik mit den unmittelbaren Kriegsfolgen, einer Hyperinflation sowie zahlreichen Umsturzversuchen und politischen Morden zu kämpfen. In den Jahren von 1924 bis 1929 erlebte sie dann eine Zeit relativer Stabilität, wirtschaftlicher Erholung sowie außenpolitischer Anerkennung und Wertschätzung. Die Weltwirtschaftskrise ab Ende 1929, die Präsidialkabinette nach dem Bruch der Großen Koalition am 27. März 1930 und der Aufstieg der Nationalsozialisten mündeten schließlich in ihren Untergang.
Gemeinsam mit der katholischen Zentrumspartei und der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) verfügte die Mehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands (MSPD) in der Nationalversammlung am Anfang über eine satte Mehrheit. Schon im kaiserlichen Reichstag hatten sich diese drei Parteien im sogenannten Interfraktionellen Ausschuss ab Juli 1917 zur Arbeitskoordination zusammengefunden. Doch die „Weimarer Koalition" und das scheinbare Bekenntnis der Mehrzahl der Wahlberechtigten zu republikfreundlichen Parteien hatten nicht lange Bestand. Die Masse der Demokratiefeinde war schlicht zu groß. Sie bewegten sich nicht nur in konservativen, militaristischen, monarchistischen, links- und rechtsradikalen Kreisen, sondern auch in weiten Teilen des gebildeten Bürgertums. Letzteres hegte massive Vorbehalte gegenüber der von ihm als „undeutsch" diffamierten Staatsform der Weltkriegs-Siegermächte. Nicht zuletzt dürften die für Deutschland extrem harten Vertragsbedingungen des Versailler Vertrags das Lager der Demokratiefeinde gestärkt haben. Eine „Demokratie ohne Demokraten" sei Weimar gewesen, so lautet eine inzwischen häufig gebräuchliche Schulweisheit.
So explizit stimmt diese allerdings nicht, weil es in der Weimarer Republik durchaus Demokraten gab. Nur waren es letztlich zu wenige, die sich für diese neue Staatsform tatkräftig eingesetzt hatten. Besonders im Militärwesen, in der Justiz und in der Verwaltung blieben die alten, republikfeindlichen Eliten am Ruder.
In der historischen Forschung wurde jahrzehntelang darüber gestritten, ob die MSPD unter Eberts Führung 1918/1919 eine reale Chance vertan hatte, um die alten Bastionen des kaiserlichen Obrigkeitsstaates restlos zu schleifen und dadurch der parlamentarischen Demokratie eine breite gesellschaftliche Basis zu schaffen. Diese Sichtweise hatte einst auch Heinrich August Winkler, der Doyen der deutschen Geschichtswissenschaft und führender Weimar-Experte, geteilt. Inzwischen ist er jedoch davon abgerückt: „Die Übergangsregierung konnte nicht ganze Gesellschaftsklassen auswechseln. Hätte sie es versucht, wäre daraus der Bürgerkrieg erwachsen, der den Sozialdemokraten aus guten Gründen als das größte aller Übel erschien und der mit Sicherheit kein Mittel war, eine Demokratie hervorzubringen."
Selbst Links-Parteien waren völlig uneins
Auffällig am neuen parlamentarischen System war die Tatsache, dass fast alle politischen Parteien schon eine Vergangenheit in der Kaiserzeit hatten – auch wenn sie nun unter neuen Namen oder durch Zusammenschluss vormals eigenständiger Gruppierungen beziehungsweise verschiedenster Parteiflügel daherkamen. Von daher kann von einer unerwartet großen politischen Kontinuität der frühen Weimarer Jahre gesprochen werden. Allerdings war die Konzentration auf eine ganz bestimmte Klientel oder auf ein spezifisches Sozialmilieu charakteristisch. So hatte die Zentrumspartei natürlich vor allem die Katholiken im Blick, die Sozialdemokraten selbstverständlich die Arbeiter. In den Wirren der Novemberrevolution hatte die MSPD zur Aufrechterhaltung oder besser gesagt zur Wiederherstellung der staatlichen Ordnung die Zusammenarbeit mit der deutlich linker ausgerichteten Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) gesucht, die sich im April 1917 von der Mutterpartei abgespalten hatte. Ebert gelang es sogar, die USPD zum Eintritt in Übergangsregierung, auch Rat der Volksbeauftragten genannt, zu überreden. Aber das Bündnis sollte recht schnell scheitern, weil die MSPD keinesfalls dazu bereit war, ein Rätesystem sowjetischen Vorbilds in Deutschland zuzulassen, während die Mehrheit der USPD mit der Diktatur des Proletariats durchaus geliebäugelt hatte. Hier war vor allem der von Karl Liebknecht geführte Spartakusbund, der sich 1917 der USPD angeschlossen hatte, die treibende Kraft. Aus dem Spartakusbund sollte am 1. Januar 1919 die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) hervorgehen, die es sich sogleich zur Aufgabe gemacht hatte, die Revolution in Deutschland nach sowjetischem Vorbild weiterzuführen. Ein weiterer Knackpunkt, der ganz entscheidend zum Bruch der sozialdemokratischen Kooperation beitrug, war die Forderung der USPD zur möglichst umgehenden Verstaatlichung wichtiger industrieller Großbetriebe.
Mit den Weihnachtskämpfen 1918 drohte die Revolution aus dem Ruder zu laufen. Eine zum Schutz der Regierung gebildete Marinedivision, die wegen ausstehendem Sold gemeutert und die Reichskanzlei besetzt hatte, sollte von regierungstreuen Truppen entwaffnet werden. Diese erlitten eine vernichtende, blutige Niederlage. Das führte die Schutzlosigkeit der Regierung vor Augen, da diese über keine eigenen militärischen Einheiten verfügte. Die USPD verließ aus Protest gegen die Militärattacke auf die Meuterer die Regierung, die danach nur noch aus Vertretern der MSPD bestand. Am 4. Januar 1919 löste die von der Regierung Ebert angeordnete Ablösung des USPD-Mitglieds Emil Eichhorn als Berliner Polizeipräsidenten eine neue Revolutionswelle aus – den sogenannten Spartakusaufstand, den die Regierung durch Freikorps-Verbände unter Leitung des MSPD-Mitglieds Gustav Noske, der sich selbst als „Bluthund" bezeichnet hatte, mit brutaler Gewalt niederschlagen ließ. Die wenige Tage später erfolgte Ermordung der KPD-Ikonen Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg sollte die Ursache für die Unversöhnlichkeit zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten während der Weimarer Republik werden.
Die SPD blieb bis 1932 stärkste Kraft
Eberts MSPD musste sich für die Arbeit in der Nationalversammlung und für den im Juni 1920 konstituierten Reichstag neue Partner im bürgerlichen Lager suchen. Die aus der Fortschrittlichen Volkspartei (FVP) und dem linken Flügel der Nationalliberalen hervorgegangene DDP, deren Hauptakteure Friedrich Naumann und Walter Rathenau glühender Anhänger der parlamentarischen Demokratie waren, setzte sich vehement für die Etablierung des Völkerbundes ein. Prominente DDP-Mitglieder waren ganz entscheidend an der Ausgestaltung der Weimarer Verfassung beteiligt ‒ einem mehr als beachtlichen Werk, dessen größter Schwachpunkt die Position des Reichspräsidenten, die ähnlich stark wie die eines Kaisers war, sein sollte.
Auch die Zentrumspartei bekannte sich zum republikanischen Verfassungsstaat. Die Bayerische Volkspartei (BVP), die im Freistaat die dominierende politische Kraft werden sollte, lehnte jegliches Bündnis mit der MSPD ab, war aber für rechtsbürgerliche Koalitionen offen. Die Deutsche Volkspartei (DVP) unter Gustav Stresemann, aus dem rechten Flügel der Nationalliberalen und Teilen der FVP hervorgegangen, stand als Partei der Schwerindustrie, des Großbürgertums und des gewerblichen Mittelstandes der neuen Staatsform anfänglich indifferent bis ablehnend gegenüber. Nach kurzzeitigem Arrangement mit der Republik wechselte die DVP zur rechts-nationalen Seite.
Das rechte Lager der Republikfeinde wurde angeführt von der Deutsch-nationalen Volkspartei (DNVP), die konservativ-monarchistisch ausgerichtet war und als Vertretung der ostelbischen Großagrarier und der Großindustrie galt. Unter Alfred Hugenbergs Führung sollte sie die im Februar 1920 gegründete Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSADP) eines Adolf Hitler später in rechtsbürgerlichen Kreisen erst hoffähig machen. Die USPD konnte zwar bei den Reichstagswahlen 1920 stolze 17,6 Prozent erringen, wurde danach jedoch zunehmend von der KPD, der linken Bastion der Demokratiegegner, marxistisch überholt. Ihr linker Flügel wechselte zur KPD, die verbliebenen Teile vereinigten sich 1922 mit der MSPD. Diese nahm danach wieder ihren Namen SPD an und sollte bis 1932 stärkste politische Kraft der Republik bleiben, auch wenn sie meist nur in der Opposition bürgerliche Minderheitsregierungen von Zentrum, DDP oder DVP tolerieren konnte.