Trotz einer wechselvollen Geschichte und eines antiquierten Namens: Es gibt ihn noch, den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Er soll das Gedenken an die Opfer von Krieg und Gewalt bewahren. In Berlin geht man dabei auch moderne Wege: An Gräbern soll Geschichte erlebbar und ein friedliches Miteinander möglich werden.
Ortstermin in Berlin-Schöneberg. In einem alten Bürogebäude öffnen zwei junge Frauen lächelnd die Tür. Anne-Susann Schanner (32) und Sophie Hollop (26) kommen gleich auf den Punkt. „Ja, wir wissen, dass alleine der Name ‚Volksbund‘ altbacken und unsexy klingt", sagt die studierte Historikerin Schanner. „Aber das, was wir machen, ist wichtig und vor allem modern", ergänzt ihre Kollegin Hollop. „Wir bringen junge Menschen an die Gräber von Gefallenen, Kriegsopfern oder Maueropfern. Damit machen wir Geschichte erlebbar und zeigen: Im Tod sind alle gleich." Das habe einen ungemeinen Versöhnungscharakter. Schanner: „Wir leisten klassische Friedenserziehung!" Schanner und Hollop sind Bildungsreferentinnen beim Berliner Landesverband des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Der wurde im Jahr 1919 als eingetragener Verein mit humanitärem Auftrag gegründet. Sein Zweck damals und heute: Gräber deutscher Kriegstoter im In- und Ausland zu erfassen, zu erhalten und zu pflegen. Schanner: „Bei Ausgrabungen zum Beispiel in Russland werden noch heute immer wieder Skelette von deutschen Soldaten gefunden. Durch ihre Dienstmarken sind sie eindeutig zu identifizieren." Selbst in Städten wie Berlin und Köln fände man immer noch Skelette. „Da wird einem der Schrecken eines Krieges immer wieder bewusst."
Jugendliche erleben den Schrecken des Krieges
„Genau diesen Schrecken wollen wir auch den jüngeren Schülern näherbringen", ergänzt Sophie Hollop. „Für die sind ja Themen wie Krieg und Gewalt meist ganz weit weg. Aber genau das versuchen wir, erlebbar zu machen." Das laufe meist nach einem festen Fahrplan ab. Nach einer Einführung im Unterrichtsraum gehe man auf Friedhöfe mit Kriegsgräbern. „Die gibt es in Berlin ja praktisch überall, auch direkt in der Nähe der jeweiligen Schule", weiß Hollop. „Da merken auch die Kleinsten: Hier geht es um den Tod." Mit dem hätten die meisten Schüler ja schon in irgendeiner Art und Weise Kontakt gehabt. „Und wenn es nur der Tod des geliebten Goldhamsters war, das sensibilisiert dann fürs Thema."
Das Bildungsangebot des Volksbundes richtet sich an Schülergruppen aller Jahrgänge. Von einigen Unterrichtsstunden bis zu einer ganzen Woche ist alles drin. „Was wir aber auf jeden Fall vermeiden, ist typischer Frontalunterricht", erklärt Anne-Susann Schanner und fügt gleich ein typisches Beispiel an: „Vor einigen Wochen haben wir uns dem Thema Kriegsgräberstätten und Denkmäler gemeinsam mit den Schülern fotografisch genähert." Mit einer Fotografin habe man einen Friedhof besucht und Bilder aus völlig ungewohnten Perspektiven gemacht. Das führe dazu, dass sich auch junge Menschen für das Thema Tod durch Gewalt öffnen. „Die meisten sind wirklich total bei der Sache. Oft bekommen wir als Feedback, dass sie dann zu Hause mit ihren Eltern über die Themen sprechen wollen." Dann führt der Weg nicht selten mit der klassischen Frage „Was war eigentlich damals mit Opa?" in die eigene Familiengeschichte.
Ein weiterer Bildungsschwerpunkt ist der internationale Austausch. Unter anderem an den vier Jugend- und Bildungsstätten des Volksbunds in Deutschland, Frankreich, Belgien und den Niederlanden. Jede von ihnen liegt auf einem Gelände mit deutschen Kriegsgräbern. Neben der Arbeit bei der Grabpflege steht vor allem internationale Verständigung und Bewusstseinsbildung im Mittelpunkt. Anne-Susann Schanner: „Da kann man den jungen Menschen an den Kriegsgräbern hautnah vermitteln, welche Auswirkungen Krieg und Gewaltherrschaft wirklich haben." Das sei gerade heute, in Zeiten besorgniserregender politischer Entwicklungen überall auf der Welt, extrem wichtig: „Wir versuchen mit internationalem Dialog dagegenzuhalten." Immer getreu dem Volksbund-Motto: „Versöhnung über den Gräbern – Arbeit für den Frieden."
Doch diese selbst definierte Rolle war über viele Jahre umstritten, der Volksbund wurde lange Zeit nicht als Bestandteil der Friedensbewegung wahrgenommen. Das beweist ein Blick in die Geschichte: Die Gründergeneration des Volksbundes bestand größtenteils aus Soldaten des Ersten Weltkrieges. Außerdem unterblieb nach dem Zweiten Weltkrieg eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle im Nationalsozialismus. Bis 2007 wurden immer wieder Stimmen von Kritikern laut, die dem Volksbund vorwarfen, dass Alt- und Neonazis Mitglieder oder sogar Mitarbeiter seien. Der Volksbund distanzierte sich immer wieder von diesen Vorwürfen und schloss zum Beispiel 2008 mehrere NPD-Landtagsabgeordnete aus, die im Laufe des Jahres Mitglied geworden waren. Begründung: Die Mitgliedschaft in der NPD sei „mit den Zielen des Volksbundes unvereinbar".
Mit Rechtsextremen will der Volksbund nichts zu tun haben
Zurück in die Zentrale des Volksbundes in Berlin-Schöneberg. Hier scheinen die Vorwürfe aus der Vergangenheit völlig unangebracht. Anne-Susann Schanner und Sophie Hollop betonen immer wieder die Wichtigkeit von Bildungsarbeit und Friedenserziehung als zentrale Säulen ihrer Arbeit. „Wir erforschen, erhalten und pflegen Kriegsgräberstätten, um sie als Lernorte der Geschichte und Mahnmale für den Frieden erlebbar zu machen", sagt Anne-Susann Schanner. „Wir setzen dabei eigens entwickelte didaktische Materialien ein." Die pädagogischen Ziele hinter dieser Arbeit: „Junge Menschen sollen die Fähigkeit entwickeln, über sich selbst und andere nachzudenken, persönlich Anteil zu nehmen und eine eigene Position zu beziehen." Das sind auch Leitlinien für zusätzliche Angebote wie Ausstellungen oder Workshops. Außerdem wirbt der Volksbund für sogenanntes History Caching: Per Handy und GPS reisen die Jugendlichen dabei spielerisch in die Vergangenheit.
Finanziert werden der Volksbund und seine Projekte vorwiegend aus Erstattungen der Bundesregierung, aus Nachlässen, Sammlungen, Mitgliedsbeiträgen und Spenden. „Doch gerade die Zahl der Spender nimmt immer weiter ab", sagt Sophie Hollop. Vor allem deswegen, weil es immer weniger Menschen gibt, die den Zweiten Weltkrieg noch miterlebt haben. „Deshalb sind auch wir zunehmend in Sachen Fundraising unterwegs. Das wird in Zukunft noch dramatischer werden. Bislang haben wir Glück: Die meisten unserer Projekte werden noch öffentlich gefördert."
Wichtig bleibt die Arbeit allemal, gerade auch die, die sich an Multiplikatoren richtet, die täglich mit den Jugendlichen zu tun haben – die Lehrer und Referendare. Schanner: „Letztes Jahr sind wir mit einigen Referendaren ins französische Verdun gefahren, das war extrem bewegend." Während des Ersten Weltkrieges lieferten sich 1916 in der Schlacht um Verdun deutsche und französische Truppen eine grausame und verlustreiche Schlacht. Einiges vom Schrecken des Ersten Weltkriegs lässt sich vor Ort viel unmittelbarer erleben als es beim Blick ins Geschichtsbuch je der Fall sein wird. Das wirkt dann fort, so Anne-Susann Schanner: „Wir konnten viele der angehenden Lehrer überzeugen, wie wichtig unsere Arbeit ist."