Er gibt Vergessenen einen Namen und die Erinnerung an sie zurück. Michael Friedrichs-Friedlaender ist Metallkünstler und fertigt seit 13 Jahren Stolpersteine.
Pling, Pling. Bis auf die sich kurz hintereinander wiederholenden Geräusche ist es ruhig in der Werkstatt von Michael Friedrichs-Friedlaender. Mit einem Gehörschutz auf dem Kopf steht er nach vorne gebeugt an einer Richtplatte, greift sich zielsicher einen der vor ihm aufgereihten Metallstifte und setzt ihn auf ein Stück Messing. Pling. Sein Blick geht kurz auf einen Zettel mit dem Namen über dem Arbeitsplatz, dann hat er bereits einen Stift für den nächsten Buchstaben in der Hand. Pling.
Was für einen Außenstehenden eintönig aussehen mag, ist für ihn eine Herzensangelegenheit. Michael Friedrichs-Friedlaender fertigt Stolpersteine. Mehr als 63.000 hat er seit 2005 schon gemacht. Damals wurde der Metallplastiker und Bildhauer von Gunter Demnig, dem Initiator des Erinnerungsprojektes, gefragt, ob er nicht einige Stolpersteine herstellen könne. 128 Stück für Berlin. Als sie fertig waren, fragte Demnig: „Willste die machen, die ich nicht schaffe?" Lange musste Michael Friedrichs-Friedlaender da nicht überlegen. Er fühlt sich als einer aus der Generation mit den unbeantworteten Fragen, also hat er sich als Jugendlicher mit dem dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte beschäftigt. Und auch heute lässt es ihn nicht los, wenn er Buchstabe für Buchstabe das Leben eines Menschen ins Metall schlägt. Tot ist nur, wer vergessen wird, heißt es in einem Trauerspruch aus dem 19. Jahrhundert. Mit den Stolpersteinen wird an die vielen Opfer des Nationalsozialismus erinnert, die sonst für immer namenlos bleiben würden. „Den Namen ‚Stolperstein‘ finde ich schon mal gut und die Bescheidenheit, die ihn ausmacht", sagt Michael Friedrichs-Friedlaender, „man muss sich verneigen, um ihn zu lesen."
Aber zuerst muss er beschrieben werden. Dafür hat er sich eine spezielle Technik ausgedacht. „Damit es zentrisch ist, fange ich in der Mitte an und gehe dann nach beiden Seiten, links und rechts." Die Namen und die Texte bekommt er geliefert. „Ich stempele kyrillisch, griechisch, mehr als 20 Sprachen." Allein in Deutschland gibt es an 1.265 Orten Stolpersteine, der 70.000. wurde kürzlich in Köln verlegt. Dazu kommen zahlreiche im Ausland, etwa in Belgien und der Ukraine, in Norwegen und Italien, sogar in Argentinien.
Mit seiner Erfahrung als Bildhauer hat er auch die Betonmischung geändert, sie trocknet nun schneller. Und auch die Messingplatten lassen sich nicht mehr so leicht ablösen. „Der Materialwert ist gering. Wer die Steine klaut, ist ganz eindeutig auf der rechten Spur unterwegs."
In der Werkstatt stapeln sich nicht nur Paletten mit Stolpersteinen, in den Regalen und Ecken finden sich auch einige der Stücke, die Michael Friedrichs-Friedlaender als Künstler geschaffen hat. „Da steht eine meiner Würfelserien. Hier ist eine Fischhaut verarbeitet, dort die Umdruckwalze einer alten Zeitungsdruckmaschine, und da ist mundgeblasenes Glas in den Metallblock eingelassen. Das war für eine Ausstellung in Schweden." Er streicht über das Metall. „Das sind Herausforderungen, da ist es gut, wenn man das Handwerk beherrscht." Und das hat er von der Pike auf gelernt. Obwohl er aus einer Künstlerfamilie kommt, wollten die Eltern, dass er „was Handwerkliches" macht. Lust auf Schule hatte er sowieso nicht mehr, und so kam er eines Tages mit einem Lehrvertrag als Maschinenbauschlosser nach Hause. Später ging er dann doch noch mal zur Schule, machte Abitur und studierte Maschinenbau in München, seiner Heimatstadt. Statt zu büffeln, besuchte er aber lieber die Pinakothek und das Haus der Kunst, die waren gleich neben der Uni.
„Die Nachfrage ist ungebrochen"
Später nutzte er die Gelegenheit, ins damalige West-Berlin zu gehen, und landete in einem der ersten besetzten Häuser am Klausener Platz. Zusammen mit den dort wohnenden Künstlern baute er Lampen für das KaDeWe und Dekorationen für den Presseball. „Meine handwerklichen Fähigkeiten kamen mir da sehr zugute, die Inspiration stammte von den älteren Kollegen", erzählt er, „das war die Ausbildung, die ich mir gewünscht habe. Ich denke dreidimensional, sehe die Sachen im Kopf, kann sie drehen, ich brauche keine Zeichnungen." Am Klausener Platz gründete er mit einem Freund eine eigene Werkstatt, zog dann später in den Wedding.
Nach der Wende fragte ihn eine befreundete Künstlerin, ob er nicht nach Buch kommen wolle. Dort konnte er für wenig Geld einen großen Platz mieten – ideal, um größere Stücke zu gestalten. Als das Gelände privatisiert wurde, richtete er sich eine Werkstatt an seinem Wohnhaus ein. Gleich neben seiner Frau, die auch Künstlerin ist, Mode entwirft und an dem Stolperstein-Projekt mitarbeitet. Seit er die Stolpersteine macht, bleibt für die künstlerische Arbeit keine Zeit mehr. „Das mache ich gerne, denn das ist eine unglaublich gute Aufgabe. Ich arbeite von Sonntagmorgen bis Freitagabend, der Sonnabend ist nur für die Familie."
Aber ein bisschen fehlt sie ihm doch, die künstlerische Arbeit. Wenn er ein Stück herzeigt, fahren die Finger fast zärtlich über das Metall. „Speziell Eisen ist für mich ein total lebendiges Material, weder spröde noch sonst was. Man kann es kalt bearbeiten oder warm. Wenn ich da mit Feuer rangehe, habe ich das Gefühl von einem Dialog, der mit dem Abstrahlen von Wärme einhergeht. Wenn man mit dem Material umgehen kann, dann ist es handzahm." Und schon schleppt er einen Würfel an. „Den habe ich aus einer Platte herausgeschnitten und wieder zusammengeschweißt. Mit dem Schweißbrenner zeichne ich wie mit einer Kerze im Eisen", erklärt er und fährt mit der Hand über die rissigen Strukturen. „Was wunderschön ist – mit Feuer kann man Metall auch färben. Gehe ich mit der Flamme drüber und lasse es anlaufen, habe ich das Gefühl, das Metall ist lebendig."
Aber nun hat er sich den Stolpersteinen verschrieben. „Ich mache über 5.000 Steine im Jahr, die Nachfrage ist ungebrochen." Ihn berühren auch die Geschichten, die hinter jedem Stein stecken. Beim Verlegen der Steine treffen sich Menschen, die sich aus den Augen verloren oder noch nie gesehen haben. „Für mich gibt es nichts Besseres", sagt er und spannt eine neue Platte ein.