Am Sonntag, 11. November, lädt das Saarlandmuseum zum Tag der offenen Tür. Bei freiem Eintritt kann die Schau „Slevogt und Frankreich" erkundet werden. Dr. Kathrin Elvers-Svamberk, stellvertretende Leiterin des Saarlandmuseums, gibt im Gespräch Einblicke.
Frau Elvers-Svamberk, die Ausstellung, die Sie kuratiert haben, spürt der Frage nach, inwiefern die französischen Impressionisten das Schaffen von Slevogt inspiriert haben. Gab es jemals vorher eine Ausstellung, die Slevogt mit den französischen Impressionisten zusammengebracht hat?
Seit ungefähr 120 Jahren nicht mehr. Am Anfang seiner Karriere, 1899, hat man 35 Werke in einer Berliner Ausstellung in Beziehung gesetzt mit Werken von Manet, Degas und Puvis de Chavannes.
Nun, das war zu seinen Lebzeiten …
Wir reden jetzt nicht nur vom Impressionismus, sondern vom ganzen französischen 19. Jahrhundert, weil auch Delacroix, Daumier, Courbet oder die Maler von Barbizon für Slevogt wichtig waren. Als wir uns vor zweieinhalb Jahren überlegt haben, welches ein sinnvoller und programmatisch überzeugender Beitrag des Saarlandmuseums zum Jubiläumsjahr sein kann, haben wir uns sehr gefreut, als wir festgestellt haben: Gerade unser Generalthema, den Frankreich-Bezug, hat noch nie jemand in einer Slevogt-Ausstellung oder Publikation aufgearbeitet. Das war ein Geschenk und sehr motivierend.
Eine akribisch-langwierige Recherche war vermutlich im Vorfeld nötig, aber was war die größte Schwierigkeit auf dem Weg zur Realisation?
Man ist im Sinne des vorgefassten Konzepts schon begierig, ganz spezielle Werke als Leihgabe zu gewinnen. Das kann natürlich nicht immer Erfolg haben. Es gibt Werke, die dürfen nicht reisen oder stehen aus konservatorischen Gründen nicht zur Verfügung – das ist ein Weg, der ist auch von Enttäuschungen begleitet. Nichtsdestotrotz haben wir uns doch enorm gefreut über die große Aufgeschlossenheit, mit der unseren Leihwünschen begegnet worden ist.
Sie haben – sage und schreibe – 44 Leihgeber erfolgreich angesprochen. Die Stiftung Saarländischer Kulturbesitz verfügt allerdings auch selbst über einen umfangreichen Eigenbestand an Werken von Max Slevogt. Wie kommt das?
Wir profitieren von der Sammelleidenschaft des saarländischen Unternehmers Franz-Josef Kohl-Weigand, der in seiner privaten Kunstsammlung einen großen Schwerpunkt auf das Schaffen und die Person Max Slevogt gelegt hat. Wir haben annähernd 3.000 grafische Arbeiten und rund 55 Ölgemälde, außerdem mehrere tausend Archiv-Dokumente. Der glückliche Umstand, dass wir in den Genuss dieser Privatsammlung gekommen sind, macht uns zu einem der drei Häuser in Deutschland – neben dem Saarlandmuseum geht es um das Landesmuseum Mainz und das Niedersächsische Landesmuseum Hannover – mit dem größten Slevogt-Bestand.
Das Werk, mit dem Sie die Schau eröffnen, heißt „Judith mit Selbstbildnis" von 1898/1907. Slevogt befindet sich in seinem Atelier, hat die Palette in der Hand und blickt aufmerksam-prüfend auf den Betrachter, als wollte er wissen, was man von seinem Gemälde, der barbusigen Judith, die hinter ihm aufragt, hält. Wieso sind zwei Entstehungsjahre angegeben?
Weil Slevogt dieses Bild in zwei Anläufen realisiert hat. Vor der Jahrhundertwende hat er im Sinne einer Historienmalerei eine alttestamentarische Szene komponiert, nämlich die Begegnung von Judith und Holofernes, bei der die Heldin dem Tyrannen, der ihre Stadt belagert, nach vollzogenem Liebesakt den Kopf abschlägt. Slevogt hat das Bild im Jahr 1907 nochmals vorgenommen und hat es uminterpretiert in ein Selbstbildnis an der Staffelei. Er schafft dabei eine Collage dreier Bildgattungen: das Historienbild, das Porträt und zudem das Interieur, insofern auch ein Einblick in den Atelierraum geboten wird. Es ist, wie Sie sagen: Er wendet sich im Akt des Schaffens dem Betrachter zu – und entfaltet als „Weltenschöpfer" ein Spiel mit verschiedenen Realitätsebenen.
Manets „Rue Mosnier mit Fahnen" (1878) trifft auf Slevogts „Unter den Linden" (1913). Was war ihr stärkster Eindruck, als Sie die Werke im Dialog betrachten konnten?
Zunächst einmal machten wir die Entdeckung, dass Slevogt dieses hochkarätige Werk Manets bereits ab 1904 besessen hat. Wir wissen, es hing im Salon seiner Berliner Wohnung. Es repräsentiert die Modernität, für die die Impressionisten stehen. Der ungewöhnliche Blickpunkt aus dem höhergelegenen Stockwerk führt auf die Straße als Bühne und Schauplatz des städtischen Lebens. Das Werk ist mit großer Freiheit und Spontaneität auf die Leinwand gebracht.
Die Szenerie ist von großer Bewegung geprägt. Nicht so bei Slevogt.
Genau. Bei „Unter den Linden" sehen wir, dass die Gesamtauffassung der Szene konventioneller ist als bei Manet.
Obwohl es später entstand.
Ja. Slevogt schaute aus einem oberen Stockwerk auf die kaiserliche Militärparade, die im Vorjahr des Kriegsausbruchs als großes Volksfest begangen wurde. Die Menschenmassen erscheinen als völlig gegenstandsfreie wüste Farbtupfer. Ein Charakteristikum, das seinen Ursprung in der Kunst der französischen Impressionisten hat.
Delacroixs „Tiger, ein Mädchen zerreißend" (1856) und Slevogts „Tiger im Dschungel" (1917) ziehen den Betrachter, jedes auf seine Weise, in den Bann. Ist die dramatische Szene einer literarischen Vorlage entlehnt?
In der französischen Kunst und Literatur des 19. Jahrhunderts galt das Morgenland als faszinierendes Sinnbild des „Fremden". Man stellte sich den Orient als geheimnisvollen, märchenhaften Lebensraum vor, als Ort des Staunens und der Wunder, an dem Pracht und Reichtum großer Grausamkeit gegenüberstehen. Zeitlebens hat Slevogt sich für Orientszenarien begeistert, schon als junger Mann schuf er Illustrationen zu „Ali Baba" oder den Geschichten aus „1001 Nacht". Er ist 1914 auch selbst nach Ägypten gereist. Eigentlich sollte dieses Werk von Delacroix jetzt in New York sein. Habe ich Ihnen das erzählt?
Noch nicht.
Bis vor Kurzem hing es in der großen Delacroix-Retrospektive, die im Louvre zu sehen war. Diese Ausstellung ging im Anschluss en bloc weiter ins Metropolitan Museum – bis auf dieses Bild und noch ein weiteres Exponat, denn beide hatten wir bereits frühzeitig für Saarbrücken angefragt. Natürlich zeigen wir diese zwei Delacroix-Werke jetzt mit besonderem Stolz!
Sie platzieren die grafische Kunst von Slevogt gleichwertig neben den Ölgemälden. Welchen Stellenwert nehmen die Papierarbeiten im Gesamtschaffen des Künstlers ein?
Slevogt war ein begnadeter Zeichner, ein ehrgeiziger Karikaturist und Illustrator. Er beschritt auch innovative Wege der Buchillustration. Seine überbordende Fantasie hat sich in tausenden Blättern niedergeschlagen. Es gibt ein genuin grafisches Kapitel in der Ausstellung, in dem es speziell um Slevogts Auseinandersetzung mit den meisterhaften französischen Illustratoren und Karikaturisten geht.
Bei der Weltausstellung 1889 in Paris hat Slevogt Manets „Olympia" gesehen. Er wusste, dass Manet 1865 mit dem Frauenbildnis einen Skandal entfacht hatte. Stimmt es, dass Slevogt auch einmal einen Skandal ausgelöst hat?
Nicht nur einen. Man darf mit Recht die Frage stellen, ob Slevogt nicht bereits das strategische Vorgehen von Manet clever fand und dessen Prinzip der Provokation für sich aktiviert hat. Es gibt eine Darstellung der mythologischen Figur Danaë, eine Geliebte des Göttervaters Zeus. Zeus nähert sich ihr in Form eines Goldregens. Dieser Stoff wurde über die Jahrhunderte von vielen großen Künstlern thematisiert. Slevogt hat in seiner modernen Interpretation eine wenig gefällige junge Frau in einer drastischen Verkürzung dargestellt, vor ihr eine sitzende Kupplerin, die die Goldtaler in ihrer schmutzigen Schürze auffängt. Slevogt wurde genötigt, das „anstößige" Bild 1899 aus der Ausstellung der Münchner Secession zu entfernen. Mit solchen Bilderfindungen hat er sich den Spitznamen „Slevogt der Schreckliche" erworben.
Tatsächlich entdeckt man in der Saarbrücker Schau eine „Olympia" von Manet, die dem Saarlandmuseum gehört. Was für ein Blatt ist das?
Manet sah in der Grafik mit ihren hohen Auflagen ein willkommenes Instrument, seine in Öl gemalten Kompositionen einem breiteren Publikum bekannt zu machen, selbst wenn keine Möglichkeit bestand, das Originalgemälde in Paris zu studieren.
Slevogt hat sich 1914 freiwillig als Kriegsmaler gemeldet. Was lässt sich aus diesen Werken ablesen?
Eigentümlicherweise hat sich Slevogt von dieser Euphorie anstecken lassen, die auch viele deutsche Künstler und Intellektuelle erfasst hat. Slevogt wollte seinen Beitrag zu diesem Krieg leisten, auch wenn er mit seinen 46 Jahren aufgrund verschiedener Krankheiten als untauglich galt. Er ist an die belgische Westfront gekommen und wurde dort von dem Grauen und Elend überwältigt. Nach drei Wochen hat er den Dienst quittiert.
Was wir sehen, sind Bestandsaufnahmen des Frontalltags: Einblicke in Lazaretträume, eine zerstörte Kirche, gefallene Soldaten. Slevogt hat festgestellt und auch ausgesprochen, dass das Sterben und Grauen keinen Ort finden kann in seiner Kunst. Den Tod konnte und wollte er nicht gestalten.
Wie würden Sie Max Slevogt als Künstlertypus, als -persönlichkeit beschreiben?
Er war ein Augenmensch. Seine Aufgabe hat er darin gesehen, die Welt, wie sie ihm vor Augen stand, in all ihrer Pracht und Schönheit zu feiern.