Durch das ehemalige Hafenareal entwickelt sich die norddeutsche Hansestadt zum neuen Stadtquartier am Wasser. Noch heute arbeiten hier die Kaffeeröster, auch liegt hier die unbekannte Glücksschmiede des Fußballs: Bundesliga-Meisterschale, Champions-League-Pott und DFB-Pokal glänzen in einer über 185 Jahre alten Silbermanufaktur.
Wie es duftet! Intensiv, nach feinstem Arabica-Kaffee, weil der Röstmeister sein Handwerk versteht und gerade die Tür seines Cafés öffnet, um die Nachbarn mit den tausend Aromen seiner neuesten Charge zu beglücken. Und wie es stinkt! Penetrant, nach Fischmehl, weil am Fabrikenufer gerade ein Frachter seine Ladung löscht und das hier immer noch ein Hafen ist, wo es manchmal eben auch etwas strenger riecht. Die passende musikalische Untermalung liefern der sanfte Wellenschlag sowie kreischende Sturmmöwen und Steinsägen. Die einen nisten an der Mole, die anderen verwirklichen die Träume der Architekten: Die Bremer Überseestadt ist ein Ensemble aus altem Backstein und neuem Design. Und mittendrin versteckt sich auch die Schatzkammer des deutschen Fußballs.
Dornröschen erwacht: Wo einst im alten Stadthafengebiet das Herz des Handels pochte, wo erst Stückgut lagerte und sich dann Container stapelten, entwickelt sich gerade Bremens neuestes Stadtviertel. Tonnen von Südfrüchten wurden im Schuppen 1 umgeschlagen, nun schrauben hier Spezialisten an Oldtimern. Wer über den Werkstätten ein Appartement hat, kann seinen automobilen Schatz sogar per Aufzug ins Wohnzimmer stellen. Die Hochschule für Künste nutzt einen 400 Meter langen Speicher, auch Start-ups und das Hafenmuseum haben sich eingemietet. Es gibt Galerien und Einrichtungsstudios und eine kleine Marina für Freizeitskipper, dazu allerlei Cafés und Restaurants. Nebenan entstehen viele Büros und neue Wohnungen. Platz gibt es genug: Insgesamt umfasst das Areal 300 Hektar, so viel wie 420 Fußballfelder.
Das Bild rahmen aber hundert Jahre alte Getreidemühlen, Holzhändler und eine ehemalige Fabrik für Cornflakes. „Wir haben noch Umschlag im Hafen. Dabei soll es auch bleiben: Die Mischung aus Industrie, Büros und Wohnungen macht das besondere Flair aus", sagt Peter Siemering. Er hat hier an der Kaikante einst Spediteur gelernt und wirbt nun mit dem Überseestadt-Marketingverein für das neue Quartier. In Bremen ist man zwar noch nicht so weit wie in Hamburg, wo sich die nur halb so große Hafencity zum Magnet für Besucher entwickelt hat. Eine Zeitreise von der Vergangenheit in die Zukunft lohnt sich aber schon jetzt.
Im historischen Bremen, rund um den Marktplatz mit dem über 600 Jahre alten Rathaus im Stil der Weser-Renaissance und dem ebenso prächtigen Schütting, wo die Handelskammer residiert, schwelgen die städtischen Gästeführer in der Vergangenheit. Sie erzählen glorreiche Geschichten aus jenen Zeiten, in denen die Kaufleute stolz und frei und mächtig waren: Damals klauten sie der Kirche sogar den Petrusschlüssel für das neue Stadtwappen, um ohne den Segen des Erzbischofs Einlass zu finden ins Himmelreich. Den Dom in Schach hält auch der Roland, inzwischen Unesco-Weltkulturerbe: Die Figur ist seit dem Jahr 1404 das in Stein gehauene Symbol für die Macht der Händler und die Freiheit der Hansestadt, die sich seit 1.200 Jahren gegen Einmischungen von außen wehrt.
Besucher sind dagegen willkommen. Die Einheimischen machen sich aber über sie lustig, wenn Touristen nach ihrer Tour durch das Fachwerkviertel Schnoor und die Klinkerpracht der Böttcherstraße mit ihren Märchenhelden posieren. Wer am Wahrzeichen der Stadt, der Skulptur der Bremer Stadtmusikanten, die Beine des Esels mit zwei Händen streichelt, hat zwar einen Wunsch frei. Wer aber nur eine Hand verwendet, outet sich nach Bremer Lesart selbst als einer.
Silberbesteck für die Zarenfamilie
Der größte Wunsch der Ratsherren war in den 90er-Jahren, die Hafenbecken an der Weser neu zu beleben. Das war bitter nötig: „1966 legte hier ein Frachter aus den USA an und setzte den ersten Container ab", erzählt Andreas Heyer, Chef der Bremer Wirtschaftsförderung. Damit begann der Abstieg, weil die immer größeren Schiffe es nicht mehr die Weser hinauf schafften und ihre Fracht bald nur noch in Bremerhaven löschten, näher an der Küste. Der Überseehafen wurde schließlich 1998 kurzerhand zugeschüttet, um zwischen den Becken des Europa- und Holzhafens Platz für Neues zu schaffen.
Das ist gelungen: Im Schuppen 2 produziert Birgitta Rust nun Obstbrände, Liköre und Nussgeiste. Im gleichen Gebäude hat auch ein über 185 Jahre alter Meisterbetrieb eine neue Heimat gefunden. Der Name der Manufaktur ist Liebhabern von handgemachten Luxusprodukten ein Begriff: Koch und Bergfeld ist einer der ältesten Silberhersteller in Deutschland. Was hier in der Werkstatt gefertigt und poliert wird, möchte jeder Profikicker einmal in seiner Karriere in den Händen halten. Millionen von Fußballfans hoffen und bangen jeden Spieltag, dass das von ihnen unterstützte Team am Ende der Saison mit den funkelnden Prunkstücken die Ehrenrunde im Stadion laufen wird. Denn ob Bundesliga-Meisterschale, DFB-Pokal oder Champions-League-Pott: Die legendären Siegestrophäen tragen alle die Handschrift der Bremer Glücksschmiede.
Wer sich die Nase an den riesigen Schaufenstern platt drückt, sieht eine Werkstatt aus dem 19. Jahrhundert. „Die Walzstühle, Zieh- und Werkbänke stammen noch aus der Gründerzeit", erklärt Florian Blume, Chef von Koch & Bergfeld Corpus. Zu ihren Glanzzeiten lieferte die 1829 entstandene Manufaktur Koch und Bergfeld ihr Silberbesteck nicht nur an betuchte Kunden in der Region, sondern sogar an die Zarenfamilie in Russland. Inzwischen wurde die Firma in verschiedene Geschäftsfelder aufgeteilt und verkauft. Die Messer und Gabeln mit dem berühmten Namen werden unter anderer Regie gestanzt. Blume und seine 14 Mitarbeiter fertigen jedoch noch heute in Handarbeit die Korpusware: Edle Kandelaber, Services, Tabletts und Zierbecher. An Meisterstücken – originale Schiffsmodelle für Reeder und Jachtbesitzer – wird besonders lange gefeilt. Doch auch die berühmten Trophäen für den Sport sind eine Kunst für sich.
Silberschmiedemeister Stefan Sieben verlötet gerade Zuschnitte von Silberblech zu einem Pokal, der dem riesigen Pott der Champions League verdächtig ähnlich sieht. Um die Ecke steht noch das Holzmodell, über das der Experte das Edelmetall geformt hat. „Wir drücken und walzen, ziselieren und verstiften das Silber. Doch erst zum Schluss, mit dem aufwendigen Schleifen und Polieren, bekommt es seinen edlen Glanz." Entsteht hier gerade im Geheimen eine neue Version des Wanderpokals? Real Madrid und der FC Barcelona, Ajax Amsterdam und der AC Milan, der FC Liverpool und natürlich Bayern München haben schließlich bereits Original-Trophäen im Schrank. Wer den Titel fünf Mal holt oder drei Mal in Folge, darf den Pott nämlich dauerhaft behalten.
„Falsch geraten", meint Stefan Sieben. „Ich produziere gerade die Trophäe für den Sieger eines Reitturniers. Aber der Pokal der Champions League stammt tatsächlich aus unserem Haus: Er wurde vom damaligen Werkstattleiter Horst Heeren entworfen." In ihrer aktuellen Version ist die Trophäe 73,5 Zentimeter groß und 7,5 Kilo schwer – angeblich passen 15 Liter Champagner hinein. „Das ist ein ziemliches Trumm. Weil sich siegreiche Vereine oft eine Kopie wünschen, haben wir den Pokal immer mal wieder bei uns", sagt der Silberschmied mit hanseatischer Gelassenheit. Was verbirgt sich also in der großen Kiste auf dem Rollwagen? Stefan Sieben lächelt verschmitzt – und bleibt die Antwort schuldig.
Imposante Gebäude erinnern an Kaffeepionier
Für alle sichtbar hält sein Kollege Hans Hermann derweil jene Wandertrophäe in den Händen, die am Ende einer Bundesligasaison immer für ein Jahr an die beste Mannschaft überreicht wird. „Das Original hat schon viele Gebrauchsspuren. Es stammt schließlich aus dem Jahr 1949", erzählt der Experte. Die Meisterschale des Deutschen Fußball-Bundes wurde damals aus fünfeinhalb Kilo Silber geformt und mit elf kleinen und fünf großen Turmalinen besetzt. „1981 wurde die Schale dann mit einem Silberring erweitert. Später hat man die Gravurplatten durch größere ersetzt. Es sind alle Meister seit 1903 eingraviert: Jetzt reicht der Platz bis ins Jahr 2026." Wer das Original anhebt, staunt über dessen Gewicht: Inzwischen sind es exakt 10,1 Kilogramm.
Beate Leonards kümmert sich in der Manufaktur um den DFB-Pokal und fertigt gerade eine originalgetreue Replik. Der Pokal steht zwar nur auf Platz zwei der Liste der begehrtesten Trophäen des deutschen Fußballs. Der Materialwert, 100.000 Euro, ist indes vier Mal höher als der Materialwert der Meisterschale. „Er ist mit zwölf Turmalinen, zwölf Bergkristallen und 18 Nephriten dekoriert", erklärt die Silberschmiedin. Zudem ist wirklich alles echt, was glänzt: „Zum Vergolden des Silbers hat man 250 Gramm Feingold verwendet." Stoßfest ist die Trophäe aber nicht: Nach dem Sieg des FC Schalke im Jahr 2002 mussten die Spezialisten aus Bremen Hand anlegen, denn den Gelsenkirchenern war der Pokal beim Feiern aus der Hand gerutscht und auf den Boden geknallt. „Das sieht man aber nicht mehr: Wir haben das gute Stück wieder schön bekommen."
Am Fabrikenufer, wo bis heute Getreidefrachter vor dem Art-déco-Hochhaus der Rolandmühle ihre Ladung löschen, erinnern imposante Produktionsanlagen aus Eisenbeton und Backstein und ein Marmorsaal an den Bremer Kaffeepionier Ludwig Roselius. Seine Kaffee-Handels-AG wurde zum Synonym für koffeinfreien Kaffee. Nach etlichen Fusionen ist Kaffee Hag inzwischen ausgezogen, doch mit Lloyd Caffee geht die Geschichte weiter: Die älteste noch immer traditionell röstende Kaffeerösterei Bremens hat in dem historischen Gemäuer ein Café eröffnet. „Wir rösten sortenrein, langsam und bei niedriger Temperatur", sagt Röstmeister Christian Ritschel. „Das dauert dann 20 Minuten statt 70 Sekunden wie bei der industriellen Röstung." Und das Koffein? „Das bleibt natürlich drin!"
Nebenan steht ein architektonisches Prunkstück: Die Kaba-Fabrik, wo Ludwig Roselius wasserlöslichen Kakao produzieren ließ. Wenn der Wachmann in die andere Richtung schaut, kann man hinter die Klinkerfassaden spicken: Ahorn und Buchen sprengen das Pflaster, in den Fenstern fehlt das Glas, die Gebäude stehen leer. Eine märchenhafte Kulisse: Hier schlummert der Bremer Hafen noch im Dornröschenschlaf und wartet darauf, dass ihn jemand wach küsst.