Diplom-Psychologin Susanne Münnich-Hessel, Vorstand der Psychotherapeutenkammer des Saarlandes, spricht über Schönheitswahn und seine Auswirkungen auf die
seelische Gesundheit.
Frau Münnich-Hessel, ist gutes Aussehen aus psychologischer Sicht wichtig?
Auf jeden Fall. Das kann bis zur Tatsache führen, dass sich das ganze Selbstwertgefühl auch krankhaft am guten Aussehen sozusagen festmacht. Man kann schon davon ausgehen, dass es für jeden Menschen zu einer guten Selbstidentität gehört für seinen Körper, für seinen Leib ein gewisses Wohlbefinden zu haben. Man sollte sozusagen Freundschaft schließen mit seinem Körper. Das kann allerdings so weit gehen, dass der Körper als etwas betrachtet wird, das modelliert und gefeilt werden muss bis hin zu einem Körper, den man anfängt zu hassen, weil er nicht alle Merkmale erfüllt, von denen man denkt, dass er sie erfüllen sollte.
Wie kommt der Gedanke daran zustande, welche Merkmale mein Körper erfüllen sollte?
Das ist natürlich zum großen Teil kulturell und gesellschaftlich geprägt. Man weiß ja, dass es früher eher negativ war, im Sommer sonnengebräunte Haut zu haben. Noch im 18. Jahrhundert war das etwas, das darauf hingedeutet hat, dass man auf dem Land lebt und arm ist. Bleiche Haut war ein Schönheitsmerkmal, ein Schönheitsideal. Es stand für Attraktivität und hat sich heutzutage total verändert. In Gesellschaften, in denen die Menschen eher arm waren, waren eher dicke Menschen attraktiv. In Gesellschaften allerdings, wo, wie hier in unserer heutigen Gesellschaft Fülle herrscht, wird zunehmend das Schlankheitsideal als attraktiv und schön betrachtet.
Ist das Schönheitsideal neben der kulturellen Prägung auch psychologisch geprägt?
Natürlich spielt das Psychologische auch eine Rolle. Zum einen hängt viel damit zusammen, was man als Kind über seinen Körper vermittelt bekommt. Wie viel Selbstwert und Anerkennung man im Allgemeinen hat und ob man sich als Kind auch in seinem Körper wohl und akzeptiert fühlt. Das ist schon ein wichtiger Faktor. Ein weiterer wichtiger Faktor kommt hinzu, wenn die Kinder dann in Richtung Schule gehen. Es hängt viel davon ab, wie das im Umfeld von Gleichaltrigen gesehen wird. Und dann kommen ganz schnell gesellschaftliche Werte und Ideale zum Tragen. Die kommen beispielsweise bei der „Generation Z", also den nach 1995 Geborenen, stark über digitale Medien zum Tragen. Für diese Generation ist wichtig, was über Instagram, Facebook und so weiter an Schönheitsidealen vermittelt wird.
Sie sprechen von gesellschaftlichen Werten. Welche meinen Sie?
Im Moment ist es zum Beispiel gerade so, dass man auch bei den Männern beobachtet, dass sie immer versuchen, an ihrem Körper herumzumodellieren, verstärkt in Fitnessstudios gehen. „Bloß kein Lauch sein", ist da heute das Motto. Also nur nicht dünn und schlank sein, sondern am besten so muskulös wie möglich, weil das jetzt als attraktiv gilt. Man muss muskulös sein, darf als Mann auf keinen Fall keine Muskeln haben. Im Gegenteil: Der Mann von heute muss Kante zeigen. Das ist wichtig geworden und wird auf Instagram oder im Fernsehen sehr stark propagiert. Der Mann, der ins Fitnessstudio geht, Muskelmasse hat, ist etwas. Männer Anfang 20 wünschen sich heute im Durchschnitt 14 Kilogramm mehr Muskelmasse. Das zeigen Befragungen. Auch der Anabolikamissbrauch nimmt massiv zu.
Es fängt aber noch früher an, wenn wir an Kinder denken, die andere wegen ihres Übergewichts hänseln. Nimmt ein Kind dadurch immer einen seelischen Schaden?
Das ist häufig ein Wechselspiel aus dem, wie das Kind das aufnimmt, ob das Kind sehr sensibel ist. Und ob es vielleicht noch andere Säulen in der Identität hat, also sehr gefestigt ist und gut damit umgehen kann. Das ist das eine: die Seite des Kindes und wie resilient das Kind ist. Auf der anderen Seite aber steht auch das Umfeld. Wenn das Kind in einer Klasse ist, in der massiv gemobbt wird oder die Klassenkonstellation die ist, dass es dicke oder in Anführungsstrichen hässliche Kinder gibt. Dann gibt es Nährboden für Hänseleien. Auch Kinder, die nicht die richtigen Markensachen anhaben sind oft Opfer. Dann kann das dazu führen, dass ein Kind sich immer mehr körperlich ablehnt.
Ist Schönheit also ein gesellschaftlich auferlegter Zwang?
Es geht auf jeden Fall sehr stark in diese Richtung. Während bei den Älteren noch Werte wie „ich habe einen guten Arbeitsplatz" oder „ich bringe Leistung bei der Arbeit" noch sehr bedeutsam waren, ist es gerade bei der jüngeren Generation so, dass sich ein Trend zu mehr Wert auf den eigenen Körper entwickelt. Sie wollen mehr Freizeit haben, mehr Freizeit gestalten und auch gesund und körperbewusst leben. Es geht immer mehr darum, seinen Körper zu trainieren. Darum, ihn immer weiter in den Vordergrund zu rücken.
Das klingt anstrengend. Kann gutes Aussehen auch schaden?
Ich denke, es wird dann zum Schaden, wenn es wirklich als einzige Säule im Selbstwert dient. Natürlich hat Schönheit auch immer eine gewisse Verbindung mit jung oder gesund sein. So ist das Leben aber einfach nicht, dass wir nicht älter oder auch mal krank werden. Die Leute, die nur darin, in der Schönheit und Jugend, ihren Wert sehen, leben in einer ständigen Angst: was ist, wenn ich älter werde? Was bin ich wert, wenn ich nicht mehr schön bin? Wer mag mich noch?
Frauen trifft das häufiger. Viele fühlen sich vor allem dann minderwertig, wenn sie älter werden, in die 50er kommen, und vermeintlich weniger angesehen werden.
Man hat Studien gemacht, die zeigen, dass es so ist. Sie zeigen, dass fast 90 Prozent der deutschen Frauen mit ihrem Körper nicht zufrieden sind und sich die Hälfte der deutschen Frauen im Durchschnitt für zu dick hält, obwohl sie Normalgewicht haben. Dass der Blick in den Spiegel dann schon eine Qual ist und das mit dem Älterwerden immer schwieriger wird, ist dann kein Wunder. Allerdings muss man sagen: Das trifft auch immer mehr auf die Männer zu. Die Männer, die in der „Generation Z" sind, laufen auch ins Fitnessstudio, zählen Kalorien, posieren auf Instagram und trainieren sich einen muskulösen Körper an. Auch da ist schon ein großer Teil, wie ich gerade schon sagte, mit sich unzufrieden.
Paare mit rundlicheren Männern und schlanken Frauen sind allerdings keine Seltenheit. Die Frauen scheinen das nicht schlimm zu finden. Männer dagegen schon. Warum?
Ich denke, dass die Männer da so ein Stück nachziehen. Es gibt auch Autoren, die behaupten, dass das ein bisschen der Triumph des Feminismus ist, jetzt ironisch gesagt. Bis in die 70er-Jahre war der Körperkult ein „Vorrecht" der Frauen. Nun hat der Mann aber durch die Emanzipation der Frauen seine exklusive Rolle als Beschützer und Ernährer verloren. Es genügt nicht mehr, der starke Mann zu sein. Dieses „Hauptsache, ich verdiene Geld, kann meine Frau beschützen und ernähren". In vielen Bereichen sind die Unterschiede nicht mehr so stark. Deshalb nutzen Männer jetzt eher ihren Körper als Bastion der Männlichkeit, um sich so zu demonstrieren, auch gegenüber anderen Männern, dass sie körperästhetisch sind. Sie zeigen immer mehr auf den Social-Media-Plattformen ihren Körper vor, um Anerkennung zu bekommen.
Ist das eine psychologische Veränderung des Männerbilds der Frau oder eine falsche Wahrnehmung der Männer?
Ich denke, dass die Männer nur denken, dass sie toll aussehen müssen. Man muss ja auch wirklich sehen, dass da eine Industrie dahintersteht, die viel verdient. Das wird auch regelmäßig in der Werbeindustrie promotet, dass man bei Instagram oder bei Faceboook diesen Typ Mann sieht.
Wenn Frauen sich im Spiegel aber hässlicher finden, als sie eigentlich sind, dann ist das doch eine gestörte Selbstwahrnehmung.
Es kann soweit gehen. Um sich gegenüber solchen Schönheitsnormen abzugrenzen, hängt viel davon ab, welche Selbstwertbausteine man sonst noch in seinem Leben erworben hat. Ob man da selbstbewusst ist und das auch gut handeln kann, was man so im Fernsehen sieht und was einem Freunde vermitteln. Man muss seinen eigenen positiven Umgang finden. Wenn man sich aber zu sehr davon beeinflussen lässt, weil man selbst unsicher ist und das als Weg für sich sieht, kann das richtig dramatisch werden und zu einem regelrechten Selbsthass führen. Dann ist der Körper bei Weitem nicht mehr der Freund, der einen durchs Leben führt, sondern das Hassobjekt. Dann kann es zu massiven Eingriffen auf den Körper kommen bis hin zu Essstörungen.
Was passiert aus psychologischer Sicht im Körper, wenn sich Menschen nicht mehr wohlfühlen?
Was im Körper passieren kann, ist zum Beispiel, dass verstärkt Veränderungen angestrebt werden. Fettabsaugung, Oberlidstraffung. Immer mehr versucht man, sich zu verändern, um den Körper in ein vermeintliches Schönheitsideal hineinzubringen. Oder dass dem Körper einfach Dinge wie Essen entzogen werden, um sich zunehmend schlank zu fühlen und anzupassen.
Und was passiert in der Seele? Welche psychische Erklärung gibt es dafür, dass Menschen sich nicht mehr wohlfühlen?
Was wir fühlen und wie wir handeln hängt viel damit zusammen, wie wir Situationen oder Dinge bewerten. Bewerte ich aufgrund einzelner Details zum Beispiel der oben genannten schiefen Nase mich und meinen Körper pauschal als hässlich oder unattraktiv, führt das zu tiefen negativen Gefühlen wie Trauer, Wut oder auch Angst. Das wiederum bewirkt zum Beispiel sozialen Rückzug, ein Vermeiden, in den Spiegel zu schauen, bis hin zu Selbsthass und Suizidalität. Auch Essstörungen sind häufige Folgen eines derart negativ verzerrten Körperbildes. In dieser Fokussierung auf Schönheit des Körpers, befeuert durch Werbung und dem scheinbar alles Machbaren, liegt schon eine Gefahr, nämlich dass Menschen, die nicht stabil sind, daran psychisch zerbrechen können.
Was kann man tun, wenn man unzufrieden mit dem Körper ist?
Ich denke, es ist wichtig, dass man die Bewertungen hinterfragt, weil es einfach den perfekten Körper nicht geben kann. Es kann nie ein Körper perfekt schön sein, weil das auch immer im Auge des Betrachters in der Beziehung liegt. Was attraktiv ist oder nicht attraktiv ist, dafür gibt es kein absolutes Maß. Man muss sich bewusst machen, dass das gesellschaftliche Vorgaben sind. Es ist nicht nur die schiefe Nase. Man hat einen ganzen Körper. Man muss sich bewusst auf die Teile konzentrieren, mit denen man besser zurechtkommt. In der Therapie werden zum Beispiel Achtsamkeitsübungen und „Körperreisen" angewandt, um ein positives Verhältnis zum Körper zu unterstützen. Es wird dem Patienten oder der Patientin bewusst gemacht, dass er ein Recht hat, seinen Körper zu mögen. Auch, wenn er nicht den gängigen Schönheitsidealen entspricht. Wichtig ist einfach auch, sich klarzumachen, dass ein schöner Körper eines der vergänglichsten Merkmale ist. Schönheit ist keine Garantie für Anerkennung, eine gute Beziehung oder Glück.