Dasitzen, beobachten, dokumentieren – und auf keinen Fall einmischen. Das ist die Aufgabe von internationalen Wahlbeobachtern, die für die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ehrenamtlich arbeiten. Damit leisten sie mehr als nur einen Beitrag zu demokratischen Entwicklungen.
Gerade bin ich aus Georgien zurückgekommen. Ein schönes Land. Ich konnte es während der Fahrt an den Einsatzort und in dem mir zugeteiltem Wahlbezirk ein wenig kennenlernen. Ein Land, um Urlaub zu machen. Batumi mit seiner Schwarzmeerküste, der Kaukasus mit hohen schneebedeckten Bergen als idealer Wanderort, die vielen steilen Felswände für Freeclimber, das gute Essen für Gourmets und der hausgemachte Wein, der nach jahrhundertealten Regeln in den Familien produziert wird. Das sind nur wenige der Vorteile, die dieses Land zwischen Meer und Bergen zu bieten hat. Aber es gibt auch viel Armut. Sehr viel sogar, besonders in den abgelegenen Bergregionen.
Aber ich bin nicht als Urlauberin hier, sondern um die Präsidentschaftswahlen zu beobachten, genau wie vor einigen Jahren auch schon in Aserbaidschan und Tadschikistan. Als Staaten der ehemaligen Sowjetunion gehören sie doch in den gleichen Topf? Falsch! Jedes Land ist anders, mit einer Vielfalt, die durch die unterschiedlichen Ethnien, die verschiedenen Bräuche und die Lebensart entstanden ist. Früher gab es die Sowjetunion, da wurden kaum regionale Unterschiede gemacht. Heute sind diese Länder selbstständig, mit ihren eigenen Politikern, Vorteilen und Nachteilen. Umso spannender ist mein Einsatz als Wahlbeobachterin. Denn man lernt die Menschen direkt vor Ort kennen.
Als internationales Zweierteam bekommen wir eine Übersetzerin und einen Fahrer. Ohne die wären wir schlichtweg aufgeschmissen. Denn der Fahrer kennt sich vor Ort gut aus, und die Übersetzerin bewegt sich nicht nur in ihrer Kultur, sondern weiß auch, wie man Leute anspricht und möglichst erfolgreich befragen kann. So war es auch wieder in Georgien.
Der Wahltag ist lang und erschöpfend, auch abhängig davon, wie entlegen unser Einsatzgebiet ist. Das kann schon mal weit oben in den Bergen sein. Dort, wo gerade Schnee gefallen ist und man die eine ausgewählte Wahlstation nach mühsamen vier Stunden entlang einer steilen Buckelpiste endlich erreicht. Immer dabei: die Thermohose, dicke Pullover, Handschuhe, Mütze, wasserfeste Schuhe und ein warmer Anorak. Denn die Räume vor Ort sind in den wenigsten Fällen geheizt.
Ein Seminar zur Vorbereitung
Wahlbeobachter wissen, auf was sie sich einlassen. Genau das ist auch der Reiz an der Tätigkeit, bei der es in der Hauptsache um Demokratieförderung geht.
Bei mir begann es 2003 mit einem Seminar, das vom Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) in Berlin organisiert wurde. Im Auftrag des Auswärtigen Amtes hatte das ZIF die Sekundierung, also die Entsendung von Wahlbeobachtern, übernommen. Als ehemalige Entwicklungshelferin des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED) war ich gerade aus Westafrika zurückgekehrt und wollte mich auch weiterhin in diesem spannenden Umfeld einsetzen. Die Möglichkeit, auf Missionen zu gehen und ein bisschen für den Frieden in unserer Welt beitragen zu können, hörte sich verlockend und spannend an.
Nach dem Seminar, das auch heute noch Voraussetzung für den Einsatz als Wahlbeobachter ist, kam ich in den Expertenpool mit meinem Lebenslauf, der Angabe meiner Fremdsprachen und meinem Interesse an möglichen Einsatzgebieten. 2005 war es dann so weit: Ich war bei den Präsidentschaftswahlen in Aserbaidschan dabei. Mein Teampartner war ein junger Diplomat aus Slowenien. Die Chemie stimmte. Das ist wichtig, denn man arbeitet für mindestens drei bis vier Tage zusammen. Interkulturelles Verständnis ist genauso gefragt wie Toleranz und Kompetenz. Und oftmals entstehen dadurch auch lang anhaltende Freundschaften.
Das Gefühl, sich aufeinander verlassen zu müssen und zu können, mag anfangs bedrückend sein. Die Welt der internationalen Zusammenarbeit wird enger, bis sie schließlich nur noch ein Dorf ist. Denn häufig trifft man sich wieder, auf anderen Missionen, manchmal ist es nur ein Gesicht, das man entdeckt und das einem vertraut vorkommt. Bis schließlich klar ist, dass man einmal gemeinsam unterwegs war, damals in Aserbaidschan vielleicht, und dass man sich auf dem abschließenden Debriefing so gut ausgetauscht hatte. Begegnungen, die hängen bleiben. Das ist dann noch das i-Tüpfelchen, das unseren Einsatz für Frieden und Demokratie ausmacht: Gleichgesinnte kennenlernen, die sofort oder auch erst später zu Freunden werden.
Und bei vielen Begegnungen ist das Gefühl des Verstehens da, vor allem dann, wenn man sich wiedersieht. Genau dann, wenn man erkennt, dass der andere auch ein Teil des Ganzen ist, ein Teil der Mission und man ein Stück weit zusammen geht und so die gleiche Historie teilt. Ich erinnere mich an die langen Nächte ohne Schlaf, die ich in den zentralen Wahlbüros zugebracht habe, also dort, wo alle Wahlzettel des jeweiligen Bezirks hingebracht werden. Ausharren bis in die frühen Morgenstunden. Ist es das wert? Ja. Eindeutig ja. Denn die Gespräche mit Gleichgesinnten, die Ähnliches erlebt haben, der Austausch, der nach diesen langen Tagen und Nächten stattfindet, möchte keiner von uns missen.
Normalerweise am Montag nach dem Wahlsonntag gibt der OSZE-Missionsleiter eine erste vorläufige Einschätzung der Wahl ab. Diese ist Grundlage für die weltweite Berichterstattung in den Medien. Sie ist eine erste Annäherung, ob die Wahl entlang des Kriterienkataloges friedlich verlaufen ist oder nicht. „Die Einschätzung basiert auf den Erhebungen aller Wahlbeobachter während des Wahlkampfes und am Wahltag, angefangen von der Eröffnung der Wahllokale bis zu ihrer Schließung. Mitsamt der Auszählung der Stimmen und der Zusammenführung aller Ergebnisse aus den Regionen", betont ZIF-Sprecherin Wanda Hummel. Den finalen OSZE-Bericht gibt es in der Regel zwei Monate später.
Abweichungen per E-Pen melden
Einmischen in die Politik des Gastlandes darf man sich nicht. Das ist der Ehrenkodex, der für uns Wahlbeobachter gilt. Aber man registriert Sachen, die so sind, wie sie nicht sein sollen und dafür gibt es Formulare, die man am Wahltag an die OSZE-Zentrale verschickt und die entscheidend sind, wie eine Wahl letztlich eingeschätzt wird. Früher waren es endlose Faxe, die gesendet wurden, heute geht alles mit dem elektronischen Stift, dem sogenannten E-Pen, der Ergebnisse in Nullkommanix dorthin schickt, wo sie erwartet werden.
Und wenn eine Wahl gut verlaufen ist, also demokratisch und friedlich, dann freut man sich. Nicht nur für sich selbst, sondern vor allem für die Menschen, die eine bessere Staatsform nur herbeisehnen können, aber gleichzeitig wissen, dass die Umsetzung noch sehr lange dauern kann. Oft sind wir aber auch Hoffnungsträger, die allein durch ihre Anwesenheit vermitteln, dass sich die große Staatengemeinschaft für ihr kleines, auf der Weltkarte eher unbedeutendes Land interessiert. Das macht Mut und genau dafür lohnt es sich, diese Missionen mitzumachen. Denn wir geben nicht nur uns das Gefühl, diese Welt ein klein wenig besser machen zu können, sozusagen mit Stift und Papier, sondern auch den Menschen vor Ort, die wissen, dass sie damit gemeint sind, ihre Zukunft, ihr Wohlergehen und letzten Endes ihre Einheit als Volk.
Genau deshalb mag ich meinen Job als Wahlbeobachterin. Weil er mir ein gutes Gefühl gibt. Nein, ich bin nicht blauäugig. Aber wegschauen hilft uns allen nicht. Und darum geht es letztlich. Und nicht zuletzt um das Zusammenwachsen in einer Welt, die man achten und wertschätzen sollte.