Tom Morello gründete legendäre Bands wie Rage Against The Machine und Audioslave. Der 54-jährige New Yorker hat mithilfe der Effektpedale die E-Gitarre neu erfunden. Viele Songs auf dem aktuellen Album „The Atlas Underground" bieten politischen Zündstoff. Morello über Polizeigewalt in Amerika, seinen Einfluss auf die Rock-and-Roll-Hall-of-Fame und sein Faible für elektronische Klänge.
Herr Morello, mit „The Atlas Underground" haben Sie das Kunststück vollbracht, einen neuen Sound zu kreieren. Wie kam es dazu?
Danke. Genau das war auch das bescheidene Ziel, das ich mit dieser Platte verfolgte: ein neues Musik-Genre zu erschaffen. Haha! Ich wollte die martialische Kraft meines Spiels mit dem Sound von 2018 so kombinieren, dass das Resultat authentisch klingt. Kraftvolle Gitarrenmusik für ein neues Zeitalter!
Wollten Sie sich auch als Gitarrist neu erfinden?
Absolut. Ich habe mich inspirieren lassen von Künstlern wie Pretty Lights, Knife Party oder Bassnectar, die sich alle als Fans von Rage Against The Machine und Audioslave geoutet haben, die unseren Spirit in ein elektronisches Medium übertrugen. Ich wollte deren Synthesizer und Electronics wiederum durch meine elektrische Gitarre ersetzen. Diese Laborgemeinschaft klingt für meine Ohren sehr kraftvoll und frisch.
Ist Hip-Hop heutzutage innovativer als Gitarrenmusik?
Es gibt eine Menge aktueller innovativer Gitarrenmusik, die es nicht in die Charts schafft. Viele Punk- und Metalbands sind wirklich anders. Mir war es immer schnuppe, was andere Leute über meine Musik denken; ich wollte mich immer als Künstler und Gitarrist weiterentwickeln. Die Platte fühlt sich für mich an, als würde sie Grenzen sprengen.
Die hochkarätige Gästeliste umfasst unter anderem Marcus Mumford, Vic Mensa, K. Flay, Big Boi, Pretty Lights und Steve Aoki. Haben Sie die alle in Ihr Studio eingeladen?
Einige Songs wurden in meinem Studio aufgenommen; insgesamt ist das Album in unzähligen Studios auf verschiedenen Kontinenten entstanden. Namen wie Knife Party, Bassnectar, Killer Mike, Portugal. The Man und Vic Mensa stehen für künstlerische Vielfalt.
Haben Sie eigens für das Album neue Arbeitsmethoden entwickelt?
Ich habe diesmal völlig anders gearbeitet als sonst. Bei meinen bisherigen Platten waren alle Musiker zur selben Zeit im selben Raum, weil ich gern alles kontrolliere. Für diese Produktion wollte ich einmal meine Komfortzone verlassen und Musik mit außergewöhnlich talentierten Leuten machen, die ganz anders arbeiten als ich. Das war eine ziemliche Herausforderung.
Was war anders als sonst?
Mit Marcus Mumford zum Beispiel habe ich „Find Another Way" geschrieben. Es begann mit einer akustischen Akkordfolge und einem crazy Gitarrensolo. Unser Demo schickten wir dann an Josh Carter von dem Elektro-Rock-Duo Phantogram, und er fing an, es auszuproduzieren. Anschließend landete das Stück wieder in meinem Studio, wo ich zusätzliche Gitarrensounds und Marcus Mumford zusätzlichen Gesang aufnahmen. Das Prinzip war, einem bereits bestehenden Song immer mehr Klangelemente hinzuzufügen. „Battle Sirens" bestand anfangs nur aus skizzenhaften Riffs und Gitarren-Noise. Nachdem Knife Party das Stück bearbeitet hatten, habe ich meine Gitarre drübergespielt. Die Herangehensweise war eigentlich bei jedem Stück anders.
Werden Sie mit dieser ungewöhnlichen Platte auf Tournee gehen?
Definitiv! Man darf sich auf eine ziemlich aufregende Präsentation freuen. Die Herausforderung ist, all diese Sounds live neu zu erstellen und eine Show zu spielen, die genauso rund und zwingend klingt wie das Album, unabhängig davon, wer mich gerade auf der Bühne besucht. Ich kann ja nicht erwarten, dass Wu-Tan Clan, Marcus Mumford, Killer Mike und Vic Mensa mich bei jeder einzelnen Show begleiten. Ich freue mich da schon sehr drauf.
Killer Mike nimmt in seinen Raps kein Blatt vor den Mund. Wird Kunst in Zeiten wie diesen immer politischer?
(lacht) Ich persönlich habe schon immer politische Kunst gemacht. Jüngere Rapper wie Killer Mike und Vic Mensa tragen die Fackel weiter. Gefährliche Zeiten erfordern gefährliche Musik!
„Rabbit’s Revenge" handelt von Polizeigewalt in Amerika. Wird diese von den Sicherheitsbehörden geduldet?
Polizeibrutalität und -gewalt gegen Schwarze existieren seit Beginn der Vereinigten Staaten von Amerika. Das hört nur dann auf, wenn wir es stoppen. Alle paar Tage wird in den USA ein unbewaffneter Afroamerikaner von der Polizei ermordet, und die Täter kommen davon. Das wird in einigen Songs auf dieser Platte thematisiert wie „Rabbit’s Revenge" und „Lead Poisoning". Wir können kein wirklich freies und gleichberechtigtes Land sein, solange wir dieses Problem nicht gelöst haben.
Jeder weiß, dass Trump lügt wie kein zweiter US-Präsident. Warum hat er noch immer so viele Anhänger?
(lacht) Trump ist objektiv ein großer Lügner. Dass er die Wahrheit sagt, glaubt nur eine greifbare Menge von unzufriedenen weißen Amerikanern, die von der Globalisierung nicht profitieren. Trump benutzt den ältesten Trick der Welt: Rassismus. Er schiebt ökonomische Probleme den Mexikanern und Sicherheitsprobleme den Muslimen in die Schuhe. Das sind sehr einfache Antworten auf sehr komplizierte Probleme. Die Frage ist ja: Wie soll man mit einem grotesken Wirtschaftssystem umgehen, das die Menschen in Amerika nicht gleichberechtigt behandelt? Trumps Fans hängen an seinen Lippen, weil er sich nicht an die Regeln der etablierten Politik hält. Seine Fans finden das erfrischend. Einer der Gründe, weshalb ich seit vielen Jahren Musik mache, ist, dass ich nicht nach den Regeln der Republikaner und Demokraten agiere, weil sie völlig andere Ansichten und Antworten haben als ich.
Was läuft mit Amerika moralisch, spirituell und intellektuell schief?
(lacht) Das ist eine große Frage! Die amerikanische Geschichte hat zwei Seiten: Die Sklavenhalter und diejenigen, die sich versklavt fühlen. Diese zwei Meinungen herrschen bis heute vor. Amerika strebt danach, den Rest der Welt zu dominieren. Es versucht, den Kampf für soziale Gerechtigkeit zu unterdrücken. Es ist rassistisch und imperial. Aber es gibt auch ein Amerika, das all dem widersteht. Ein Amerika voller guter Menschen, die sich für ihre Kinder eine gesunde Umwelt wünschen, die sich für Gleichberechtigung und wirtschaftliche und gesellschaftliche Gerechtigkeit einsetzen. Immer wenn ich unsere Präsidenten kritisiere, werde ich gefragt, warum ich nicht woanders hingehe. Dann antworte ich: Nein, Amerika ist auch mein Land! Ich werde Trump nicht das Vergnügen machen, ihm mit meiner Musik nicht auf die Nerven zu gehen. Denn es ist mein Job, für eine bessere Zukunft zu kämpfen.
Trump steht unter immensem Druck. Werden die Demokraten die nächste Wahl gewinnen?
Das kann ich nicht vorhersagen. Trump ist ein Monster, aber die Demokraten waren auch an monströsen Dingen beteiligt. Ich kämpfe für etwas jenseits von Demokraten und Republikanern. Ich möchte eine Art von Widerstand mit auf die Beine stellen, der über die gewohnte Politik hinausgeht und substantielle und dramatische Veränderungen zur Folge hat. Meine Musik – ob mit Rage Against the Machine, den Prophets of Rage oder The Atlas Underground – soll der Soundtrack zu diesem Widerstand sein.
Welches ist das größte Problem unserer Zeit?
Eines der größten Probleme ist Apathie. Menschen glauben heutzutage, sie könnten etwas verändern, indem sie zu Agenten der Geschichte werden. Es gab bereits alle möglichen Revolutionen; junge Menschen hatten daran einen großen Anteil. Heutzutage kleben junge Leute an sozialen Medien wie Instagram, Twitter und Snapchat. Und sie wissen: Die Welt wird sich nicht ändern, solange sie das nicht selbst in die Hand nehmen.
Gehen Ihre Ziele über rein kommerzielle Ambitionen hinaus?
Meine kommerziellen Ambitionen sind riesig, aber mein künstlerischer Anspruch überschattet sie immer. Ich bin sehr stolz auf diese Platte und hoffe, jeder bekommt sie zu hören. Das liegt aber nicht in meiner Hand. Was ich kontrollieren kann, ist, dass ich Musik mache, an die ich glaube, die authentisch ist und die den Hörer in den Arsch tritt. All diese Dinge treffen auf „The Atlas Underground" zu.
Was fasziniert Sie als harter Rocker eigentlich an Elektronik- und Rapkünstlern?
Lange Zeit hatte ich große Vorurteile gegenüber Elektromusik, die ich immer als italienische Taxifahrermusik oder lächerliche Drogenmucke bezeichnet habe. Ich vermisste an ihr die Kraft und Integrität des Rock’n’Roll. Bis ich schließlich Künstler wie Knife Party, Bassnectar und Skrillex für mich entdeckte. Das sind alles Fans von Rage Against the Machine. Als ich mir deren Sachen anhörte, spürte ich dieselbe Spannung wie bei meiner Musik und die Klangmacht, die ich an Heavy Metal so liebe. Ich fragte mich, wie es wäre, wenn ich deren Synthies durch meine E-Gitarre ersetzen würde. Herausgekommen ist eine völlig neue Art von Musik. Sie klingt für mich genauso authentisch wie Rock’n’Roll. Aber sie ist viel progressiver.
Sie gehören seit Kurzem zum Nominierungsausschuss der Rock-and-Roll-Hall-of-Fame. Werden dort in Zukunft mehr experimentelle und mutige Künstler aufgenommen werden?
Ich hoffe es! Mein Einfluss ist begrenzt, aber ich betreibe intensive Lobbyarbeit für Bands und Künstler, an die ich glaube: Stevie Ray Vaughn, Rush oder Kiss. Die Rock-and-Roll-Hall-of-Fame hat in der Vergangenheit bedeutende Hardrocker übersehen. Ich frage mich, warum.
Wie wurden Sie Mitglied des Ausschusses? Mussten Sie dafür mit vielen V.I.P.s schlafen?
Nein, ganz im Gegenteil. Ich war immer ein unverblümter Kritiker der Rock-and-Roll-Hall-of-Fame. Aber statt mich abzuschießen, haben sie mich aufs Panel geholt.
Auf dem Sampler „Appleseed’s 21st Anniversary: Roots And Branches" sind Sie mit ungewohnt folkigen Klängen zu hören. Wieso so versöhnlich?
Ich fühle mich sehr geehrt, Teil des musikalischen Erbes der USA zu sein. Politische Folkmusik von Künstlern wie Pete Seeger, Bruce Springsteen und Bob Dylan hat mich schon immer inspiriert. Zwischen Pete Seeger und Rage Against the Machine oder zwischen Bruce Springsteen und The Atlas Underground gibt es eine Verbindung. Das sind alles Künstler, die in ihrem eigenen musikalischen Genre spielen und die Vision von einem gerechten und humanen Planeten haben. Sie benutzen ihre künstlerischen Fähigkeiten, um die Mächte zu bekämpfen. Diese Tradition möchte ich gern fortführen.
Sie haben sich AC/DCs „Dirty Deeds Done Dirt Cheep" vorgenommen. Was haben diese hedonistischen Hardrockgötter mit politischen Folk-Protestlern wie Pete Seeger zu tun?
Nun, ich habe aus der AC/DC-Nummer einen Folksong gemacht. Den Text habe ich ein klein wenig umgewandelt, sodass er jetzt eine gesellschaftspolitische Komponente hat. In der Originalversion singt Bon Scott über Sex und böse Taten wie Mord. Und ich singe jetzt über böse Taten wie Kriegsverbrechen.