Michail Gorbatschow prägte einst den Begriff vom „Bau eines neuen europäischen Hauses" und sprach nach dem Ende des Kalten Krieges davon, dass Europa sich letztlich entscheiden müsse, ob es in diesem Haus einen Platz gibt für Russland. Weil sich das deutsche Verhältnis zu Russland spätestens seit der Ukraine-Krise und den nachfolgenden Wirtschaftssanktionen 2014 enorm verschlechterte, hat Adelheid Bahr, Ehefrau des 2015 verstorbenen Politikers und Architekten der deutschen Ostpolitik, Egon Bahr, einen Sammelband herausgegeben: „Warum wir Frieden und Freundschaft mit Russland brauchen" lautet der Titel, und der ist durchaus programmatisch gemeint.
Adelheid Bahr hat 25 Autoren versammelt, die eine grundlegende Änderung der deutschen Politik gegenüber Russland fordern. „Frieden in Europa ist es Wert, sich der Mühe des Ausgleichs zu unterziehen", schreibt zum Beispiel FDP-Mann Wolfgang Kubicki. „Es ist „unsere Aufgabe, wieder mit dem Bau von schmalen Brücken anzufangen", meint der ehemalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel. Egon Bahr selbst sagte: „Der Irrglaube einer Wertegemeinschaft mit den USA ist schon während des Kalten Krieges zerbrochen", und der Sänger Konstantin Wecker schreibt in seinem Beitrag, er könne „diese Verlogenheit nicht mehr ertragen".
Vier kurze Zitate aus dem Buch, die schon ahnen lassen, wie vielfältig in der Tonlage und wie breit die Beiträge inhaltlich sind. Es gibt aber einen gemeinsamen Tenor: Die deutsche Regierung wird aufgefordert, deutlich mehr zu tun, um die Beziehungen zu Russland zu verbessern.
Was das Buch lesenswert macht, ist, dass es uns mit vielen historischen Fakten daran erinnert, dass wir mehr mit Russland gemeinsam haben, als uns trennt. Der Aufruf der Autoren nach einem Politikwechsel gegenüber Russland trifft eine Stimmung im Land: Nach einer aktuellen Studie des Forsa-Institutes für Politik und Sozialforschung halten 94 Prozent der Deutschen gute Beziehungen zu Russland für wichtig.