In Ibbenbüren endete der deutsche Steinkohlebergbau. Für die Ruhrkohle AG geht die Arbeit dennoch weiter, auch im Saarland, wo tagtäglich das Wasser aus den Gruben abgepumpt wird. Ein Besuch in der Wasserhaltung Reden.
Angst vor nassen Füßen muss man in der Grube Reden in 800 Metern Tiefe nicht haben. Dafür sorgen acht riesige Pumpen. Und es ist angenehm warm. 21 Grad hat es hier, gelegentlich weht eine steife Brise in der Wetterschleuse, ständig riecht es nach faulen Eiern. Ausdünstungen von Schwefelwasserstoff aus dem umgebenden Gestein. „Daran habe ich mich gewöhnt", sagt Stefan Feld. Er lacht. An seiner Steigerkluft baumelt trotzdem ein Atemschutzgerät. Man weiß ja nie. Zeit seines langen Arbeitslebens unter Tage hat er es aber noch nie gebraucht. Allein das Bergmannsfrühstück, Lyoner mit Senf und ein Weck, schmeckt merkwürdig schwefelig.
Im kommenden Jahr ist endgültig Schluss. Feld könnte schon jetzt in Rente gehen. Bergleute dürfen das im Alter von 49 Jahren. Er jedoch hat noch bis Ende des Jahres viel zu tun. Feld ist der Chef der Wasserhaltung Reden – „Leiter Rückzug" heißt seine Position offiziell. Er und 80 andere Kumpel und Techniker der Ruhrkohle AG (RAG) sorgen seit dem Beginn der Pumparbeiten für den reibungslosen Ablauf unter Tage. „Wir sind alle über 50", so Feld. 2019 übernehmen andere Firmen. Wo Erfahrung fehlt, können Felds Leute dann aushelfen. „Ich gucke mir aus meiner Mannschaft eine Handvoll Freiwillige aus, die im Falle eines Falles Gewehr bei Fuß stehen", sagt Feld. Sie sollen ihr Wissen an die Vertragsnehmer wie beispielsweise Saarmontan, einer Tochterfirma der RAG, weitergeben, die dann die Pumpen wartet.
Reibungslos klappt es in der Wasserhaltung nicht immer, denn die Pumpen gehen schon mal kaputt. Sie sind aus den 80er-Jahren, Ersatzteile werden maßangefertigt. Das ist teuer: Gut 18 Millionen gibt die RAG jährlich für die technische Wasserhaltung aus. Ewigkeitskosten. Gerade arbeiten vier Kumpel an einem Teil der Tauchpumpe, die aus der Wartung zurückgekommen ist. Sind Motor und Pumpeneinheit zusammengebaut, ist sie zwölf Meter lang und 20 Tonnen schwer. „Wir haben Räder drangebaut, damit wir sie in den Förderkorb schieben können", erklärt Feld. Noch steht sie auf einem der Transportwaggons vor einem Kohlebunker. Bald soll sie dort wieder hinein und zusammen mit den übrigen Pumpen etwa 18 Millionen Kubikmeter Wasser jährlich aus den Tiefen an die Erdoberfläche befördern.
Eine Ewigkeitsaufgabe der Ruhrkohle AG. Damit kennt sich die Bergbauindustrie aus. Seit Anbeginn des Bergbaus wird Wasser aus den Stollen gepumpt, damit die Bergleute seinerzeit keine nassen Füße bekamen, zumindest nicht von unten. In Stollen, die unter Bächen und Flüssen entlang verliefen, tropfte es dennoch ständig von der Decke, erzählen ehemalige Bergleute noch heute. Die Stollen in Reden sind dagegen staubtrocken. Gelegentlich müsse man die Wege salzen, erklärt Feld, damit die Schritte keine erstickenden Staubwolken aufwirbelten. Damals wie heute geht es beim Pumpen darum, das einsickernde Wasser zu kontrollieren. Und damit auch gefährliche Altlasten des jahrhundertelangen Bergbaus, die das Wasser aus den volllaufenden Sohlen abtransportiert.
„Wir alle sind über 50 Jahre alt"
Es ist in vielen Abschnitten still geworden in dem verzweigten, dunklen Netz aus Stollen, nur gelegentlich unterbrochen von Arbeitsgeräuschen, Gesprächsfetzen der letzten verbliebenen Kumpel, stoisch brummenden Stromtransformatoren und dem Rauschen der Pumpen. Die Schienen für die Loren liegen noch, gelegentlich verbergen sich hinter der nächsten Kurve lange Kolonnen aus Grubenloks, Loren und Hunten.
Die Wasserhaltung Reden konzentriert sich auf zwei umgebaute Kohlebunker, in denen die Pumpen unter einem Stahldeckel hängen. Von dort aus gelangt das Wasser über Rohrleitungen an die Oberfläche und wird über Klinkenbach und Blies in die Saar geleitet. Kontrolliert werden die Pumpen von einem digitalen Leitstand, der Zugriff auf alle Pumpen gewährt. Die glühenden Bildschirme in chromglänzenden Computerschränken wirken deplatziert in einer solch rauen Umgebung.
Axel Schäfer hat in den 70er-Jahren als Lehrling unter Tage gearbeitet. Sein ihm vorgesetzter Steiger, der ihn immer väterlich mit „Bubche, horch emol…" angeredet hat, ist ihm noch lebhaft in Erinnerung. Heute ist Schäfer Prokurist und Obermarkscheider der RAG im Saarland, gewissermaßen Chefingenieur und der Experte für Geologie. „Steigt das Wasser an, sickert es in das Gestein. Es wird sich wie ein Schwamm vollsaugen." Berghebungen sind dann nicht auszuschließen, allerdings in weit geringerem Maße als Bergsenkungen. Das zeigt das Beispiel Lothringen. Ziel ist das Ansteigenlassen des Wassers bis auf Höhe der Saar. Dann würde das Wasser per Überlauf nur noch über Ensdorf direkt in die Saar geleitet. Die Bäche würden verschont.
Kleine Bäche entlasten
Das wäre eine große Entlastung dieser kleinen Wasserläufe. Doch noch ist es nicht so weit. Im Moment geht es um die Genehmigung von „Phase eins", den Anstieg der Grubenwasserpegel auf minus 320 Meter. Hierzu meldeten Kommunen wie auch Bürgerinitiativen massive Bedenken an. Salze und Altlasten wie Öle und das giftige PCB belasten derzeit nicht nur die Gewässer, sondern auch das Verhältnis der Saarländer zu ihrem industriellen Erbe und damit auch zur RAG.
Physikalisch gesehen stellen Öle die geringere Sorge dar. Sie sind leichter als Wasser, schwimmen also oben und können abgeschöpft werden. Die PCB-Belastung bleibt die große Unbekannte. Gesichert ist, dass das Grubenwasser für insgesamt ein Prozent der PCB-Belastung im Saarwasser verantwortlich ist. Woher der Rest stammt, ist noch nicht geklärt. Das klingt erst einmal nach nicht viel, denn es ist die Sicht auf das große Ganze. Betrachtet man einzelne Bäche, in die Grubenwasser eingeleitet wird – Sinnerbach, Köllerbach oder Fischbach – werden dort jedoch Grenzwerte massiv überschritten. Lediglich am Einleitungsort Reden, dem Klinkenbach, werden, bedingt durch den Wassergarten, keine Toxizitäten gemessen, stellte das Landesumweltamt fest.
Die Lösung: das Wasser steigen lassen, so Obermarkscheider Schäfer. „Je höher die Wassersäule, desto geringer die Chance, dass PCB an die Oberfläche kommt", sagt der Bergbau-Ingenieur. Er vertraut auf eine Studie aus Nordrhein-Westfalen, unter anderem von der TU Clausthal und dem Institut für Geophysik der RWTH Aachen, die dies zum Ergebnis hatte. Untersucht wurde hier das Bergwerk Haus Aden/Monopol bei Bergkamen. PCB lagere sich an Schwebstoffen im Wasser an und sinke ins Sediment. In der Studie werden zwei Punkte genannt, die die Gefahr senken: zunächst die geringe Fließgeschwindigkeit des Wassers, dadurch eine geringe Erosion und ein geringer Austrag des PCBs ins Wasser. Daher wolle die RAG „verstetigt pumpen", wie es heißt, also ständig, um die Fließgeschwindigkeit auf konstant niedrigem Niveau zu halten. Und zum anderen haftet PCB gern an Staub – und dieser ist, in Form von Kohlestaub, reichlich vorhanden. Was das Gutachten nicht behandelt, ist das Ansteigenlassen des Wassers bis auf Null. Denn zu beachten sind in diesem Fall zum Beispiel örtliche Trinkwasserstätten. Insgesamt aber, so die Experten, sei ein Anstieg bis zu einer „optimierten" Höhe unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten anzuraten.
„Keine 100 Prozent Sicherheit"
Das alles hat Schäfer auf vielen Bürgerversammlungen erklärt. Nicht viele Bürger haben daran teilgenommen. Vielleicht, weil das Grubenwasser, zumindest in den noch nicht vollgelaufenen Gruben im Saarland, immer noch ziemlich weit weg ist. Buchstäblich. Eine hundertprozentige Sicherheit, dass nicht doch PCB nach oben steige, könne es trotz aller Gutachten und Vorsichtsmaßnahmen nie geben. Auch das ist Axel Schäfer klar. Die Ängste, die allein die Abkürzung PCB hervorruft, versteht er. PCB war beispielsweise Bestandteil von Hydrauliköl, um dessen Entflammbarkeit zu verringern. Vor Jahrzehnten eine Selbstverständlichkeit unter Tage, genehmigt von den Behörden, aber auch Bestandteil von Baumaterial als Flammschutz, verwendet in alter Fugendichtmasse, Kondensatoren, Leuchtstoffröhren, in Farben und Lacken, als noch nicht bekannt war, wie krebserregend und toxisch diese chemischen Verbindungen waren. Bis 1986 wurde der Stoff weitgehend aus den Maschinen unter der Erde verbannt, 1989 dann gänzlich verboten. Jetzt laufen im Ruhrgebiet Experimente, um das noch vorhandene PCB aus dem Grubenwasser herauszufiltern. Dort haben sie das gleiche Problem. Die Anlage im Saarland könnte, sofern die RAG sie bestellt, 2019 in Testbetrieb gehen.
Ein weiteres und wahrscheinlich drängenderes Problem: Mineralstoffe, Salze – und die Wassertemperatur. 28 Grad warm ist das Wasser, das aus der Tiefe nach oben gepumpt und in umliegende Bäche und schließlich den Vorfluter Saar eingeleitet wird. Vor allem in heißen Sommertagen besteht dadurch immer wieder die Gefahr, dass die Gewässer umkippen, dass Fische und andere Tiere verenden, Pflanzen durch den plötzlich höheren Salzgehalt absterben. Besichtigen kann man dieses Phänomen zum Beispiel an der Aa in Westfalen – in das kleine Flüsschen fließen täglich die Grubenwasser des Bergwerks Ibbenbüren, des letzten in Deutschland. Dort gingen im September die Lichter endgültig aus. Und auch dort fließen die Wasser weiter.
Der Bergbau ist passé, die Probleme bleiben noch eine ganze Weile. Die staubtrockene Luft, die zwei Stunden unter Tage fordern ihren Tribut. Die Kehle ist trocken. Über Tage gibt es erst einmal kühles Mineralwasser. Übrigens mit ziemlich hohem Natriumgehalt. Und auch das schmeckt irgendwie nach Schwefel.