Urs Fischer, Trainer des 1. FC Union Berlin, scheint Fußball-Weisheiten zu mögen. Sein Team mit der eisernsten Defensive in der Zweiten Bundesliga ist nach dem 4:0 gegen Fürth weiterhin noch ungeschlagen.
Vor dem Spiel gegen Greuther Fürth zeigten sich nicht nur unter Fans, sondern auch bei Spielern von Union schon Zeichen von Ungeduld. Die Zahl der Remis häufte sich derart, dass dafür schon das Wort unionentschieden erfunden wurde. „Ich bin nicht zufrieden. Normalerweise müssten wir Erster sein mit fünf, sechs Punkten mehr", ärgerte sich Torhüter Rafal Gikiewicz nach dem 1:1 in Regensburg, dem achten Remis nach zwölf Punktspielen. Witzigerweise zählt gerade Gikiewicz zu den torgefährlichsten Torhütern der Saison. Immerhin war er an zwei Treffern beteiligt. Zuerst gab er im Spiel gegen Kiel mit einem Freistoß die Vorlage für das 1:0 von Florian Hübner, und als es gegen Heidenheim noch in der Nachspielzeit 0:1 stand, köpfte er selbst zum Ausgleich ein. Gikiewicz hat also durchaus das Recht, die zurzeit gezügelte Angriffskraft seiner Mannschaft zu kritisieren. Auch auf dem Platz ist er nicht zu überhören. Für Union ist so ein lauter Torwart etwas Neues. Lange Zeit standen zwar gute Ballfänger im Unionkasten, aber sie waren meist zu ruhig. Der Pole bringt auf jeden Fall Stimmung ins Team. Wie überhaupt die Abwehr der Eisernen aus Berlin-Köpenick das Sahnestück der Mannschaft ist.
Nur acht Treffer ließ sie bislang zu. Auf so wenig Gegentreffer kann kein anderes Zweitligateam verweisen. Und die Tordifferenz von elf ist nach Köln (14) immer noch die zweitbeste der Liga.
Kommen wir zur Fußballweisheit „Der Sturm gewinnt Spiele, die Abwehr Meisterschaften". Meistertrainer Jupp Heynckes kreierte sie einst, nicht nur aus einer Laune heraus. Inzwischen unterstützen Fußballmathematiker diese These. Vorausgesetzt, die Tordifferenz stimmt. Das heißt: Welches Team im Schnitt mehr Tore schießt und weniger Gegentreffer zulässt, ist besser als der Gegner.
Nach 13 von 34 Meisterschaftsspielen kann natürlich nur relativ unvollständig eine Zwischenbilanz gezogen werden. Union hat bisher gegen zwei der Spitzenmannschaften gespielt: 1:1 in Köln und 4:2 zu Hause gegen St. Pauli. Das Spiel gegen Tabellenführer Hamburger SV steht unmittelbar bevor. Danach warten bis zur Winterpause Teams, die hinter Union liegen. Allerdings gestaltet sich die Zweite Liga auch in dieser Saison bisher ähnlich eng wie im vergangenen Jahr. Urs Fischer, einst beim FC Zürich selbst Verteidiger, hält sich an die Weisheit, dass eine Mannschaft nur mit einer sicheren Abwehr solide auftreten kann. Der Schweizer besitzt mit dem erfahrenen Florian Hübner und dem jungen, talentierten Marvin Friedrich ein kongeniales Innenverteidigerpaar. Auch die Außenpositionen in der Defensive sind doppelt stark besetzt. Links wechseln sich der erfahrene Ken Reichel und der talentierte Christoph Lenz ab, auf der rechten Seite ist Kapitän Christopher Trimmel gesetzt. Obwohl – gegen Regensburg stellte Fischer dort überraschend den jungen Norweger Julian Ryerson auf. Nach einigen anfänglichen Schwächen fügte sich der 20-Jährige gut in die Mannschaft ein. Auch auf dieser Position also eine durchaus willkommene Zweitbesetzung.
Polters Zweikampf mit Andersson
Das defensive Bollwerk Unions vervollständigen auf der doppelten Sechserposition Manuel Schmiedebach und Grischa Prömel. Unter Umständen können hier auch Felix Kroos oder Ur-Unioner Michael Parensen spielen. Kroos setzte gegen Fürth nach einer Knöchelverletzung aus. Prömel war Gelb-Rot gesperrt. Viele rechneten mit Allzweckwaffe Parensen. Aber Fischer überraschte und stellte den sonst eher offensiven Marcel Hartel auf die Position zwischen Defensive und Angriff. Diese ausgesprochen offensive Ausrichtung funktionierte, auch dank der sicheren Abwehr.
Als Schweizer scheint Fischer ein spezielles Union-Banking eingeführt zu haben. Ähnlich wie es sein Landsmann Lucien Favre eine Liga-Etage höher, bevorzugt er multivalente Spieler, die auf verschiedenen Positionen einsetzbar sind. Also spielten gegen Fürth nun zusätzlich Trimmel für Ryerson und Marcel Hartel anstelle von Prömel.
Der junge Nigerianer Suleiman Abdullahi kam für Akaki Gogia auf Linksaußen. Und gegen Fürth zeigte Abdullahi sowohl sein Stürmerblut als auch Qualitäten als Balleroberer, etwa als er im gegnerischen Strafraum nach Pressing Polter zum 4:0 (58.) bediente.
Dabei galt bisher die Offensive als größte Baustelle. Fischer sah mangelnde Präzision im Zuspiel als Hauptproblem. Ungenau gespielte Bälle verhinderten Tempo und brachten den Gegner leichter ins Spiel. Genau hier funktionierten die nötigen Automatismen nicht und genau darauf legt Fischer nun im Training viel Gewicht. Eine der Ursachen für diesen Mangel waren in der Anfangsphase viele verletzte Spieler. Vor allem der Ausfall von Topstürmer Sebastian Polter stellte sich als großer Nachteil dar. Als Ersatz für ihn war der Schwede Sebastian Andersson im Sommer geholt worden. Andersson brauchte einige Zeit zum Eingewöhnen, kam dann aber immer besser ins Spiel. Doch seitdem Polter erstmals wieder auf dem Rasen erschien, scheint er wieder etwas im Schatten zu stehen.
Polter hatte aber auch gleich bei seiner ersten Einwechslung am siebten Spieltag gegen Kiel ein Märchen geschrieben. Erst in der 76. Minute auf den Platz geschickt, gelang ihm in der Nachspielzeit mit einem Fallrückzieher das Tor des Monats. Auch beim zwar 2:3 verlorenen Pokalmatch gegen Borussia Dortmund war Polter mit zwei Treffern der Torgarant.
Und die beim BVB gezeigte spielerische Leistung musste nun in den Alltag mitgenommen werden. Was in Regensburg nicht klappe, sollte gegen Fürth Wirklichkeit werden. Beim 4:0-Sieg zeigte Union nicht nur seine eiserne Abwehr, sondern auch Torschussqualitäten. Joshua Mees und Sebastian Polter trafen jeweils doppelt. Und nun lauert Union auf dem dritten Tabellenrang.