Die EU ist durch externe und interne Gegenkräfte gefährdet wie nie
Geheimdienste arbeiten naturgemäß im Dunkel und Halbdunkel. Ihre Chefs reden selten vor laufenden Kameras – absolute Diskretion gehört zur Job-Beschreibung. Umso genauer muss man hinhören, wenn sich einer von ihnen offen äußert. Bruno Kahl, der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), warnte nun vor der „im In- wie Ausland zunehmenden Attraktivität autoritär-populistischer Politikstile".
Kahl sprach von Versuchen autoritärer Staaten, westliche offene Gesellschaften und Marktwirtschaften mit „illegitimen Instrumenten" zu beeinflussen. Die ideologische Konfrontation verlaufe heute nicht mehr wie zu Zeiten des Kalten Krieges zwischen kapitalistisch und kommunistisch strukturierten Ländern. Vielmehr finde ein Wettstreit zwischen „Demokratien und aufstrebenden autoritären Gesellschaftsmodellen" statt.
Die autokratischen Systeme sind nach Ansicht des BND-Direktors für viele verlockend, da sie als „vordergründig stabil, militärisch stark und oftmals auch wirtschaftlich erfolgreich" gelten. Die gesellschaftlichen Freiheiten würden in diesen Staaten durch Nationalismus, Religion und Wohlstand ersetzt.
Wenn westliche Geheimdienste „aufstrebende autoritäre Gesellschaftsmodelle" zum Thema machen, verweisen sie in erster Linie auf Länder wie China, Russland oder die Türkei. Die Vorstöße der Beeinflussung im Westen sind vielfältig: Russische Cyber-Attacken auf den Bundestag gehören ebenso dazu wie billige chinesische Milliarden-Kredite für Serbien, Italien oder Griechenland. Bei Letzterem geht es um die Schaffung politischer Wohlgesonnenheit durch wirtschaftliche Abhängigkeit.
Demokratie und Wirtschaft im Westen sind demnach zunehmend in Gefahr. Die wachsende Anziehungskraft autoritär-populistischer Politikstile beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Xi Jinpings, Putins oder Erdoğans dieser Welt. Auch im östlichen Mitteleuropa steht strammes Durchregieren hoch im Kurs: In Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei sind nationalistische Bestrebungen bei gleichzeitiger Einschränkung der Pressefreiheit auf dem Vormarsch. Die sogenannten Visegrád-Staaten bilden ein Gegengewicht innerhalb der EU, das von einem tiefen Misstrauen vor einer zu hohen Machtkonzentration in Brüssel getragen wird.
Mittlerweile hat der Rechts- und Linkspopulismus den Kern der Gemeinschaft erreicht, nämlich das EU-Gründungsmitglied Italien. Roms Koalition aus Lega- und Fünf-Sterne-Partei pfeift auf die Sparvorgaben der Brüsseler Kommission: Die von der Vorgängerregierung für 2019 vereinbarte Defizit-Obergrenze von 0,8 Prozent der Wirtschaftsleistung wird per Federstrich auf 2,4 Prozent erhöht. Die Spendierhosen-Politik der Populisten-Allianz kostet viele Milliarden. Sie reicht von niedrigeren Steuern über einen früheren Renteneintritt bis hin zu einem Bürgergeld für Arbeitslose. Italiens staatliche Gesamtverschuldung – der Wert von 2,3 Billionen Euro ist nominal der höchste in der gesamten EU – steigt somit unaufhaltsam weiter.
Nicht nur, dass die Regierung in Rom ungeniert versucht, sich durch üppige Wohltaten politische Zustimmung zu erkaufen. Sie bläst gleichzeitig zum Frontal-Feldzug gegen Brüssel. Sollte die EU Sanktionen gegen Italien verhängen, droht Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini unverblümt mit Rebellion: „Nur Verrückte eröffnen gegen uns ein Vertragsverletzungsverfahren. Dann würden 60 Millionen gegen sie aufstehen."
Salvini ist dabei Taktiker und Stratege. Er betreibt ein rücksichtsloses Vabanque-Spiel. Sein Kalkül: Selbst wenn uns die Schulden über den Kopf wachsen, muss Europa einspringen. Denn ginge Italien bankrott, würde es die Eurozone mitreißen. So haben Italiens Banken Staatsanleihen von 375 Milliarden Euro in ihren Büchern. Wäre das Geld futsch, hätten auch die Institute in Deutschland oder Frankreich ein Problem, die Kredite in großem Stil an italienische Häuser vergeben haben.
Langfristig spekuliert Salvini auf eine Implosion der EU. Rechts-, Linkspopulisten und Brüssel-Skeptiker aus Italien, Frankreich, Deutschland, den Niederlanden oder Österreich sollen die Gemeinschaft in ihrer jetzigen Form aushöhlen.
Die nächste Attacke der Populisten findet bei den Europawahlen im Mai 2019 statt. Noch nie war die EU durch externe und interne Gegenkräfte so gefährdet wie heute.