Seit Jahrzehnten ist das „Kleine Theater am Südwestkorso" in Berlin- Friedenau eine Konstante in der sich ständig verändernden Kulturlandschaft der Hauptstadt. Das Haus punktet mit einem vielschichtigen Repertoire – darunter sind auch viele Erst- und Uraufführungen von Stücken internationaler Autoren.
Von wegen kleines Theater – vor ein paar Jahren haben sie das Musical „King Kong" als deutsche Uraufführung auf die Bühne gebracht. Ein Stück für drei Personen. Der Riesenaffe war als Fellvorhang über die ganze Bühnenbreite präsent, ein schwarzer Container symbolisierte die wechselnden Spielorte. „Die Zuschauer saßen mitten drin im Stück und waren fasziniert", erinnert sich Karin Bares, die Chefin des „Kleinen Theaters am Südwestkorso". Die „King Kong"-Inszenierung ist beispielhaft für das Konzept des Hauses, denn viele Stücke auf dem Spielplan sind zuvor noch nie auf einer Theaterbühne in Berlin gezeigt worden. Einige erlebten hier sogar die Welturaufführung.
„Unser Motto für den Spielplan lautet: Biografien", erläutert die Theaterchefin. „Wir zeigen Lebenswege und Lebensbrüche sowohl berühmter als auch fiktiver Figuren. Ich nenne es Storytelling. Wir nehmen die Zuschauer mit." Ihr Anspruch sei es, das Publikum anzuregen und zu unterhalten, dabei aber nicht zu verunsichern oder zu überfordern. „Wir bekommen als Rückmeldung oft, dass die Zuschauer durch unsere Stücke ins Nachdenken gekommen sind." Derzeit laufen viele Aufführungen, die auf literarischen Vorlagen beruhen: „Das Bildnis des Dorian Gray", „Die verlorene Ehre der Katharina Blum", „Felix Krull" und „Die Schachnovelle". Für die Theaterchefin sind das Stücke von starken Autoren mit dramatischen Szenen, die sich gut auf der Bühne umsetzen lassen. Die „Schachnovelle" laufe bereits im siebten Jahr, die „Katharina Blum" schon bald drei Jahre.
„An die internationalen Renner unter den erfolgreichen Stücken kommen wir nicht ran, da ist die Konkurrenz zu groß", sagt Karin Bares, „aber es gibt eine Reihe von guten Autoren, vor allem aus den USA und Frankreich, die für uns infrage kommen." Beispielsweise Clément Michel mit „Die Rechnung", ein Stück über Freunde, die sich nicht immer die Wahrheit sagen und über die Lüge. Und wie man damit umgeht. Drei Männer verkrachen sich, weil einer die Zeche anteilig zurückfordert, die er am Abend zuvor für alle drei übernommen hat.
Seit 1973 wird in dem 99-Plätze-Theater gespielt. Wie man so lange durchhält, ist kein Geheimnis, sondern beruht auf Konzeptförderung. Das Land Berlin unterstützt künstlerische Produktionsorte, um ihnen eine längerfristige Planungssicherheit zu ermöglichen. Diese Förderung können Bühnen oder Tanztheater erhalten, die sich durch ihre künstlerische Arbeit auszeichnen und eine entsprechende Publikumsresonanz nachweisen können. Und so kommt auch alle vier Jahre eine Jury ins „Theater am Südwestkorso", um das Programm, die Auslastung und die künstlerische Qualität unter die Lupe zu nehmen.
„Mit dieser Förderung ist eine Hälfte unseres Etats gedeckt", sagt Theaterleiterin Bares. „Und bei einer Auslastung von durchschnittlich 70 Prozent und Eintrittspreisen von 15 bis 20 Euro bekommen wir die andere Hälfte selbst zusammen." Ein festes Ensemble kann sie sich nicht leisten. Die Schauspieler werden von Produktion zu Produktion neu engagiert. Das habe aber auch Vorteile, sagt Bares. „Während die Staatstheater mit ihren festen Ensembles alle irgendwie beschäftigen müssen, auch wenn einer mal nicht so genau zur Rolle passt, können wir punktgenau den richtigen Schauspieler für die entsprechende Rolle engagieren."
Behutsamer Neustart
Natürlich kann kein Schauspieler vom Engagement im „Kleinen Theater" allein leben. Alle arbeiten parallel noch für den Film: als Sprecher, im Synchronstudio, für Werbespots oder für andere Bühnen. Für Karin Bares ist es manchmal nicht leicht, alle sieben Akteure für ein Stück wie „Der Revisor" auf vier Termine im Monat zusammenzubringen. „Das ist ein Hin- und Hergeschiebe wie auf einem Rangierbahnhof", lacht Bares.
Sie selbst übernimmt einmal im Jahr die Regie für ein Stück. Das Theater hat die gelernte Dramaturgin 2006 übernommen. Nach dem Studium der Theaterwissenschaft in Gießen zog es sie nach Berlin. Sabine Fromm, ihre Vorgängerin als Theaterleiterin, war 2002 gestorben. Das Team wollte weitermachen und suchte eine Beraterin. Das war für Karin Bares die Chance, einzusteigen. 2005 fand die Jury das Konzept nicht stimmig, die Konzeptförderung geriet in Gefahr. Mit viel Einsatz und Kreativität legte Bares ein neues Konzept vor, veränderte behutsam und schrittweise die inhaltliche Ausrichtung und verhalf dem „Kleinen Theater" zu einem Neustart. Seitdem hat sich der Altersdurchschnitt verändert. „Früher lagen wir bei fast 60 Jahren, jetzt sind es 35 bis 55 Jahre", sagt die Theaterchefin. „Das Publikum ist jünger, auch Oberstufenlehrer wissen die literarischen Aufführungen für ihre Deutschkurse zu schätzen." Und immer mehr Touristen fänden den Weg ins Ecktheater am Südwestkorso.
Für die kommende Spielzeit steht die dramaturgische Bearbeitung des „Jungen Törleß" von Robert Musil auf dem Programm. Und eine besondere Erzählung von Franz Werfel: „Eine blassblaue Frauenschrift". Es ist eine Geschichte über den Verrat einer Liebe durch einen Opportunisten und den latenten Antisemitismus im Österreich der 30er-Jahre.
Erzählungen, Romane, Filme – für die Bühne bearbeitet – mit diesem Konzept punktet das Theater, das für die Bewohner des Viertels ein Teil ihres Kiezes ist. In den es übrigens schon vor Jahrzehnten Künstler zog – am oberen Südwestkorso beispielsweise schrieb Christopher Isherwood seinen Roman „Goodbye to Berlin".
Gleich um die Ecke, in der Stubenrauchstraße 47, gründeten sich in der Wohnung von Harry Frommermann die Comedian Harmonists. Und ebenfalls nur wenige Gehminuten entfernt liegt der Friedhof Stubenrauchstraße, auf dem Marlene Dietrich ihre letzte Ruhestätte fand.