Sie sind mutig und selbstbewusst – und wenn sie scheitern, dann mit Überzeugung. Bei der achten Verleihung des Günter-Rohrbach-Filmpreises standen die Rollen starker und unabhängiger Frauen im Fokus.
Klassischen Stoff neu zu erzählen ist nicht einfach. „Vor allem nach Gérard Depardieus großartiger Darstellung als Cyrano de Bergerac", erzählt Regisseur Aron Lehman kurz nach Ende der Verleihung des Filmpreises. Er traute sich trotzdem an die Geschichte und übertrug mit seiner Komödie „Das schönste Mädchen der Welt" den wortgewandten Protagonisten in die heutige Zeit. „Mein Cyrano heißt Cyril, geht in die neunte Klasse und bastelt in seiner Freizeit an Rap-Texten", erzählt der Regisseur. Auch den Makel seiner Figur – eine überproportional große Nase – hat Lehman von der klassischen Vorlage übernommen. „Das einzige, was ich an diesem Stoff nie mochte, war die Frauenfigur." Natürlich sei es dem Regisseur aus Wuppertal bewusst, dass die Rolle der Roxane der damaligen Zeit geschuldet ist. Ihr Schöpfer, Theaterschriftsteller Edmond Rostand vollendete sein Stück im Jahr 1897, „zu dieser Zeit hatten die Frauen nicht so viele Möglichkeiten, sich als Persönlichkeit zu entfalten", weiß der Regisseur. „Deswegen war es mir auch so wichtig, eine Frauenfigur zu kreieren, die nicht nur ein Objekt der Begierde wird, sondern auch einen Kern hat. Eine Figur, die man erst mal aushalten muss." Und so entstand die Rolle der Roxi, eines schlagfertigen und taffen 17-jähriges Mädchens, das von der Schule fliegt und sich nun in einer neuen Klasse zurechtfinden muss. Für die Verkörperung der „modernen Traumfrau", wie Lehman seine Figur liebevoll umschreibt, wählte der Regisseur die Nachwuchsschauspielerin Luna Wedler. „Es war für mich eine große Ehre, diese spezielle und tolle Rolle verkörpern zu dürfen", sagt die aufgeregte Preisträgerin. Zusammen mit ihrem Filmpartner Aaron Hilmer – er verkörperte die Rolle des Cyril – erhielt Wedler bei der achten Verleihung des Günter-Rohrbach-Filmpreises den Preis des Saarländischen Rundfunks. „Mein insgesamt dritter Preis in diesem Jahr", kommentiert die 19-Jährige lächelnd, als sie den Preis auf der Bühne der Neunkircher Gebläsehalle entgegennimmt. Doch trotz der großen Erfolges – Wedler gilt als Shootingstar des deutschen Films – sei es für die junge Frau schwer, passende und anspruchsvolle Rollen zu finden, vor allem als Teenager. „Roxy ist rebellisch, sie kann den Jungs auch sagen, wo es langgeht. Gleichzeitig kann sie aber auch sehr verletzlich sein und hat trotzdem ein Standing." Dabei schildert Wedler die Szene, in der sie als Roxy zum Mikrofon greift, um vor einem männlichen Publikum gekonnt einen Freestyle-Rap hinzulegen. „Das war für mich die größte Herausforderung bei dem ganzen Filmdreh", sagt Wedler. „Das habe ich für mich persönlich von dieser Rolle mitbekommen. Das Selbstvertrauen. So wie Roxy sich vor die Menge stellt und einfach loslegt. Eine tolle, starke Frauenfigur, leider gibt es für diesen Typ noch zu wenige Rollen."
Rolle der Roxane nicht zeitgemäß
Auch die Figur der Angie, verkörpert von Kim Riedle, in dem Film „Back for Good" überzeugt durch ihre Stärke und ihr Selbstbewusstsein. Allerdings auf eine ganz andere Art und Weise als Roxy. Sie ist keine klassische weibliche Heldin. Zumindest nicht auf den ersten Blick. Das Reality-TV-Sternchen kommt frisch aus dem Drogenentzug und hofft auf einen Platz in der Show „Dschungelcamp". Doch es kommt anders, als Angie sich das vorstellt. Erst wird sie von ihrem Manager, der auch ihr Partner ist, verlassen. Dann verliert sie auch noch die Wohnung. Ihr einziger Ausweg ist ein demütigender Rückzug in ihr Heimatdorf zu ihrer Mutter und ihrer jüngeren Schwester Kiki, die an Epilepsie erkrankt ist. Mit der Begegnung der drei Frauen lässt Regisseurin Mia Spengler zwei komplett unterschiedliche Welten aufeinander prallen. Dabei führt die 32-jährige Filmemacherin ihre Hauptfigur keinesfalls vor. „Ganz im Gegensatz", betont Spengler. Auch ihre Arbeit wurde beim Günter-Rohrbach-Preis ausgezeichnet – mit dem Preis der Saarland Medien GmbH. Ihre Angie überzeugt durch Authentizität und Mündigkeit. „Sie weiß, was sie kann und weiß auch ganz genau, was sie nicht kann – und das macht sie auch so selbstbewusst und sicher auf dem Weg, den sie geht."
Die Idee, den Stoff rund um das Showbusiness so ungewöhnlich aufzuarbeiten kam der Regisseurin und Drehbuchautorin Stefanie Schmitz als sich die beiden Freundinnen gerade durch Youtube klickten. „Dabei stießen wir auf ein Interview mit Peter André, einem Star aus den 90ern", erzählt Spengler. Mittlerweile ist der einst niedliche Junge mit der Topfschnittfrisur ziemlich abgestürzt. Drogenprobleme, Alkoholsucht, Gewichtschwankungen – „wir haben ihn kaum erkannt und klebten förmlich am Bildschirm." Es gab auch wirklich was zu sehen. Bei der Frage nach Stiefkindern, die der ehemalige Sänger nicht mehr sehen darf, flippte der B-Promi plötzlich aus. „Er schrie nur, dass er nicht über die Kinder sprechen möchte. Und dass es auch vor dem Interview so abgemacht war. Er versuchte noch das letzte bisschen Privatsphäre, die er noch hatte, mit allen Mitteln zu verteidigen und brach letztendlich emotional zusammen", erzählt Spengler.
Rebellisch und verletzlich
Auch die beiden Frauen sind zutiefst berührt. „Es wurde mir klar, dass ich ihn gar nicht so emphatisch als Mensch wahrgenommen habe. Wir schauten uns das Video aus purem Voyeurismus an, so nach dem Motto: ‚Haha schau, wie schlecht es ihm nun geht‘. Dann habe ich mich total geschämt."
Dabei bezieht sich Spengler auf die vorherrschenden Klischees. „Man hat ja immer dieses Bild von Reality-TV-Leuten, die überhaupt nicht bei sich sind. Dann stempelt man sie als unmündig ab und hat höchstens noch Mitleid." So wie beispielweise beim Erotik-Sternchen und Ballermann-Sängerin Mia Julia. Während ihrer Recherche trafen sich Spengler und Schmitz mit der aufgedrehten Blondine mit dem einschlägigen Ruf. „Sie hat uns schwer beeindruckt", gibt die Regisseurin ehrlich zu. „Sie war sehr taff, sehr positiv und sehr selbstbewusst." An diesem Tag erschien Mia Julia übrigens mit einer Halskrause, weil sie am Tag zuvor bei einer Performance auf der Bühne eine Kollision mit einer angetrunkenen Besucherin erleben musste. „Sie hat uns gleich zu Beginn des Interviews erzählt, dass die Frau auf sie gestürzt ist. Was für ein Entree", sagt Spengler mit einem Lächeln. Das war es auch, was sie so umhaute. Mia Julia war ehrlich, offen, gerade heraus, „ich glaube sie ist eine gute Geschäftsfrau und weiß, wie man an sein Ziel kommt und so wurde Mia Julia zur Vorlage für unsere Figur Angie." Dabei geht es bei „Back for Good" gar nicht um Kritik. „Weder an den Reality-Stars noch an den Zuschauern, die sich diese Shows anschauen", betont die Regisseurin. Vielmehr zeigt der Film einen anderen Blickwinkel auf. Einen, der frei ist vom Schubladendenken und fernab gängiger Klischees. „Wenn man bestimmte Denkmuster ablegt, wird die Welt um einen herum wesentlich reicher", so die Filmemacherin.
Schubladen-denken ablegen
Oder es bringt einen dazu, sich und die Welt in Frage zu stellen. So geht es der Figur Rike in dem Film „Styx". Rike, verkörpert von Susanne Wolff, stößt während eines Törns mit ihrer Yacht auf ein havariertes Flüchtlingsboot. Soll sie nun den Flüchtlingen helfen oder den Rat der Küstenwache befolgen und sich fernhalten? Ein Albtraum beginnt. Für die authentische Darstellung der inneren Zerrissenheit wird Wolff an diesem Abend mit dem begehrten Preis für die beste weibliche Darstellerin ausgezeichnet. Die Dreharbeiten erlebte die Schauspielerin sowohl durch die Enge mit Filmcrew samt Equipment auf einem Boot als auch durch den fehlenden Rückzugsort zur eigenen Vorbereitung als herausfordernd. Wolfgang Fischer, der Regie führte, zeichnete auch für das Drehbuch verantwortlich. „Er wusste genau, wie Rike ist", erzählt Susanne Wolff, „ich hätte viel früher emotional reagiert." Erst beim Betrachten habe sie erkannt, wie richtig es war, was er eingefordert hatte. Die Wirkung, die der Film beim Zuschauer erzeugt, beschreibt sie als „Sogkraft", die darin besteht „dass man einer Frau zuschaut, die uns die Emotion nicht abnimmt, die es außergewöhnlich lange aushält und man selbst dadurch in der Betrachtung dessen oder ihrer Person zum Nachdenken kommt". Ist diese Rike eine starke Frau? Susanne Wolff hält inne und überlegt. „Ja", sagt sie schließlich.