Traditionell mit Grün- und Rotkohl, Klößen und Soße muss die Gans beim Berliner auf den Tisch kommen. Gerade mal Enten werden noch als Alternative toleriert. Wie der Braten mit Bio-Gänsen besonders schmackhaft wird, verrät Marie Etzien vom Restaurant „Mandelbaum".
Maronenpüree, exotische Gewürze, „pulled Gans"? Vergessen Sie’s. „Die Gäste wollen genau das, was sie kennen und mögen", sagt Marie Etzien, Betreiberin des Bio-Restaurants „Mandelbaum". In den vergangenen Jahren hatte sie immer ab dem Martinstag Gelegenheit, das zu überprüfen und festzustellen: Gänsebraten, Rotkohl und Grünkohl, Klöße, Soße – das ist es. So reicht es. In dem Weißenseer Restaurant werden deshalb, so wie es Name und Zertifizierung versprechen, bis Weihnachten wieder 180 Bio-Gänse über die Tische und die Teller gehen. Glücklich über sachsen-anhaltinische Wiesen gelaufene und schön muskulös gewordene Vögel, die sich in ein wohlschmeckendes Tellergericht verwandelt haben.
Es kommen entweder Brust oder Keule auf den Teller. Ohne Aussuchen. Das hat seinen guten Grund. „Wir bekommen die Gänse im Ganzen. Also gibt es vier Viertel, und es hat sich bewährt, das so aufzuteilen", sagt Marie Etzien. Um die fünf Kilo schwer ist eine Gans, wenn sie vom Hof geliefert wird. Ein Viertel oder ein Achtel vom Tier seien gute Portionsgrößen, die sich mit oder ohne Menü drumherum und ohne anschließendes Gänse-Koma verzehren ließen. Das zeigte die Erfahrung, und das zeigen auch die Reservierungen – am Wochenende geht nichts ohne.
Jede Gans hat etwa fünf Kilogramm
Wir probieren einen „Gänseschmaus"-Teller, der für 33,90 Euro serviert wird. Wahlweise wird die Gans auch in ein Menü für eine oder zwei Personen für 45,90 Euro oder 36,90 Euro pro Person eingebettet. Dann umrahmen ein gratinierter Ziegenfrischkäse mit Blattsalat, Aprikosen und Zedernnüssen sowie eine Rosmarin-Crème-Caramel mit Zimt-Zwetschgen ein Gänse-Viertel oder -Achtel. Der Fotograf und ich haben ein Stück Brust mit Flügel gezogen und verstehen sofort das Konzept „Achtel-Gans": So ein ordentlich „durchtrainiertes" Fleisch und die knusprige Haut machen viel Freude, aber es sollte noch Platz für Knödel und Gemüse bleiben.
Die Beilagen sind glutenfrei und vegan, betont Marie Etzien. Es kämen viele Allergiker in das EU-biozertifizierte Restaurant, die sich darauf verlassen müssen, dass wirklich das im Gericht enthalten ist, was auf der Karte steht. Die vegetarische sowie häufig familien- und freundeskreiskompatible Alternative ist ein Nussbraten, der Datteln, Pilze, Maronen und Nüsse in sich vereint. „Es sollen alle an einem weihnachtlichen Essen teilnehmen können, ohne dass einer nur Salat mit Fetakäse bekommt", sagt Marie Etzien. Große Freude bereitet in jedem Fall der empfohlene „Calice" von der Olearia Vinicola Orsogna, ein Montepulciano d’Abruzzo, der sogar in Demeter-Qualität ausgeschenkt wird. Er gibt sich samtig-weich und kirschig, umschmeichelt intensiv warmtonig die Gans und hält ihr gleichzeitig stand.
Läuft da nicht gerade eine Gans an uns vorbei? Na gut, nicht mehr auf den eigenen Beinen, vakuumiert in einer festen Plastikhülle aber schon. Zufällig liefert Christian Meyer von der Deutschen Biogans GmbH in Salzwedel an diesem Abend höchstpersönlich aus. Seine Frau betreibt den Gänsehof, besser gesagt: die Gänse-Weiden, von denen das Restaurant „Mandelbaum" seine Tiere bezieht. Erst waren da 32 Hektar Weiden, davon 90 Prozent Naturschutzgebiet, in Familienhand, die sinnvoll bewirtschaftet werden sollten. Das passiert nun mit den Gänsen im Familienbetrieb in der zweiten Saison. Auf der Weidefläche laufen nur 2.300 Gänse herum und dürfen fressen, was sie finden. „Wir haben permanent Kontakt mit den Gänsen. Sie sind relativ zutraulich und dann auch ruhig, wenn es ans Schlachten geht", sagt Meyer. Zwei Schlachthöfe in der Nähe arbeiten für die Deutsche Biogans GmbH sowie eine Hofschlachterei in kleinerem Umfang. Nach zwei Tagen kommen die Gänse beim Kunden an; sie werden gut gekühlt versandt. Marie Etzien fand ihren neuen Lieferanten für Bio-Gänse übers Internet. Sie hatte zuvor in Niedersachsen geordert, wollte aber noch näher aus der Region beziehen.
Mein Favorit auf dem Teller ist der Grünkohl, der nichts mit neumodischem Kale, sondern viel mit norddeutschem Traditionsgericht in seiner besten Ausprägung zu tun hat: grob geschnitten, gemüsig, pur. Gut gegart, aber dennoch bissig und vor allem leicht. Das Geheimnis: Es ist kein Gänseschmalz dran. „Ich komme aus dem Norden. Grünkohl können wir", sagt Etzien. Stimmt. Eigentlich ist er ganz einfach herzustellen: blanchieren, hacken, Stiele herausschneiden. Zwiebeln anschwitzen. Salz, Pfeffer, Muskat und eine Prise Zucker, fertig ist der Grünkohl à la „Mandelbaum". Vielleicht gibt es dennoch guten Grund, die Zubereitung Küchenchef Thomas Kalinke zu überlassen, statt sich am heimischen Herd zu versuchen – in großer Menge gelingt der Kohl einfach besser.
Ähnlich sieht’s bei den Gänsen aus. Wer hat schon die Zeit, dreieinhalb Stunden in der Nähe von Ofen und Braten zu verbringen? Das Tier immer wieder mit Fond zu übergießen, damit die Haut knusprig wird? Kohl und Klöße sind dann noch lange nicht gemacht. Außerdem fehlen so manchem Nicht-Profi Wissen und Übung für solche Gerichte, die nur einmal im Jahr auf den Teller kommen. Deshalb finden sich Gänse – alternativ Enten – immer häufiger im Angebot von Restaurants und Caterern. Die „Gans to go" erfreut sich ebenso großer Beliebtheit wie die „Gans to stay".
Die einen setzen das Federvieh in althergebrachter Weise auf die Karte, die anderen interpretieren es im Rahmen ihrer Küchenphilosophie neu. So etwa das „Brło Brwhouse", in dem Küchenchef Ben Pommer bis Anfang Januar Enten vom Schönmohrer Hof in den Smoker steckt und zu einem der vielen selbstgebrauten Craft-Biere anbietet. Die Ente kostet in Gänze 100 Euro und muss ganz oder halb zum Vor-Ort-Essen am Gleisdreieck vorbestellt werden. Die Veggies kommen im „Brwhouse" bei der gemüsebasierten Küche Pommers ohnehin auf ihre Kosten.
Auch das Victor’ Residenz-Hotel Berlin setzt auf Gans. Unter dem Motto „Gans to go" können Kunden sich das Festtagsmenü von den Köchen des Hauses zubereiten lassen, das dann zuhause nur noch erwärmt werden muss und dann serviert werden kann. Für 98,50 Euro gibt es einen ganzen Gänsebraten für vier Personen an Orangen-Beifuß-Jus, zweierlei Klöße aus Kartoffeln und Semmeln, dazu Rotkraut mit Preiselbeeren, Grünkohl und mit Marzipan gefüllter Bratapfel.
In gesetzterer Umgebung wird eine traditionelle Gans – wahlweise in Bio- oder in konventioneller Qualität – im „40seconds Restaurant" im „International Club Berlin" serviert. Die glückliche Bio-Pommern-Gans für vier Personen wird im ehemaligen britischen Offiziersclub mit Beilagen für 149 Euro aufgetischt, ihre konventionelle Schwester für 109 Euro. Wird die Gans zum Mitnehmen geordert, kostet sie jeweils zehn Euro weniger und kann 24 Stunden nach der Vorbestellung im Club oder im „Fortys"-Restaurant in der Mercedes-Welt am Salzufer abgeholt werden. Veggie-Alternative ist ein Maronen-Rotkohl-Strudel mit Essigkirschen, der für 17 Euro auf den Tisch kommt.
„Optimahl Catering" schickt seine „Gans to go" dagegen von Johannisthal aus auf die Reise. Eine mit Äpfeln gefüllte Dithmarscher Freilandgans tritt mit dem Berliner Beilagen-Trio aus Rot- und Grünkohl sowie Klößen plus Soße für 139 Euro plus Versandkosten an. Die Alternative, eine mit Äpfeln, Schalotten und Beifuß gefüllte Oldenburger „Bauernente to go", flattert für 59 Euro plus Versand ins Haus. Sie eignet sich mit 1,8 Kilogramm Gewicht für zwei Personen und ist entsprechend mit Beilagen ausgestattet. Auch das „Grand Hyatt Hotel" am Potsdamer Platz wirft seinen Ofen für „Enten to go" an: Ente, Apfelrotkohl, Kartoffelklöße und eine Flasche Wein werden nach Hause geliefert.
Extravaganzen sind unerwünscht
Andernorts wird die Ente ins winterliche Fine-Dining-Menü „eingemeindet": Das „Richard" in Kreuzberg serviert im Fleischgang seines Vier- oder Fünf-Gang-Menüs eine Chalons-Ente mit schwarzer Walnuss, Chicorée und Süßholz-Jus. So wird der Geflügel-Overkill garantiert vermieden. Sauli Kemppainen vom „Savu" versteckt seine Ente dagegen finnisch-italienisch-spanisch interpretiert in einer Bolognese von der Keule und reicht sie als über der offenen Flamme gegrillte Brust mit knuspriger Haut, Aprikosen-Piperade mit schwarzem Trüffel sowie mit Paprika-Enten-Jus mit Basilikum.
Offenkundig fühlt sich klassisches Geflügel in bedeutsamer Umgebung wohl: In der Nähe von Hauptbahnhof und Regierungsviertel setzt das „Steigenberger Hotel" am Kanzleramt auf „Gans und Ente to go". Eine Vier-Personen-Gans kann mit Beilagen für 99 Euro sowie mit einer Flasche Wein für 129 Euro geordert werden. Die Zwei-Personen-Ente ist für 59 Euro bestellbar. Es wird nicht geliefert, der Braten muss persönlich abgeholt werden. Auch im „Habel am Reichstag" an den S-Bahnbögen kann eine ganze Gans abgeholt werden. Sie kommt für 79 Euro im Ganzen oder auf Wunsch bereits zerlegt ins Gesamtpaket, in dem sie auf Grün-, Rot- und Braunkohl, Klöße und Soße trifft. Im Restaurant wird der Gänsebraten für 25,50 Euro oder Ente für 23,50 Euro pro Person serviert.
Der Trend ist eindeutig. Gans und Ente vertragen in den Augen der Gäste keine Extravaganzen. Marie Etzien bringt es nach fünf Jahren in ihrem Restaurant auf den Punkt: „Die Deutschen wollen ihre Gans klassisch, und die Touristen wollen das klassische deutsche Gericht."