Social Media sind unerlässliche Instrumente der Parteienkommunikation geworden. Mit allen Vor- und Nachteilen. Den direkten Kontakt ersetzen sie nicht, wie der Besuch einer klassischen Bürgersprechstunde eines Bundestagsabgeordneten beweist.
Mit Luxus hat das St. Wendeler Wahlkreisbüro des Bundestagsabgeordneten Christian Petry nichts zu tun: Ein funktionales Vorzimmer und ein weiterer länglicher aber relativ schmaler Raum. Hier finden auch die Bürgergespräche mit dem SPD-Politiker statt. Dazwischen wurde eine kleine Küchenecke eingerichtet. „Hier halten wir Kaffee und Wasser bereit, für die Bürger die zu uns kommen", erklärt Wahlkreismitarbeiterin Carmen Köcher-Neumann.
So wie beispielsweise für Michel Jochem, einen selbstständigen saarländischen Logopäden. Er nippt an seinem Wasserglas und schaut parallel auf die Uhr. „Eigentlich dachte ich, dass ich gleich als erster drankomme", teilt er seine Gedanken mit. „Aber als ich angekommen bin, war Christian schon im Gespräch mit einer älteren Dame. Sie kam eine halbe Stunde vor dem offiziellen Beginn."
Zwischen drei und sieben Personen kommen zu den regelmäßig angesetzten Sprechstunden um mit dem Bundestagsabgeordneten zu reden. An diesem Tag sind es vier Personen. „Manche kommen früher als erwartet, oder knapp vor dem Ende der Sprechstunde. Deswegen kommt Herr Petry auch immer früher", weiß die Wahlkreismitarbeiterin.
Die Themen die dabei angeschnitten werden, sind vertraulich und „oft kommunal", sagt Petry im Anschlussgespräch. „Wenn die Bürger an anderen Stellen nicht mehr weiterkommen, wenden sie sich an die Bundespolitiker. Und das ist auch gut so." Je nach Thematik können diese Probleme dann tatsächlich auf die Bundeebene gehoben werden. Auch soziale Themen kommen oft zur Sprache, so wie beispielsweise steuerrechtliche Dinge. Manchmal geht es den Menschen aber auch nur darum „sich Luft zu machen." Wie beispielsweise bei Kriegseinsätze, die irgendwo stattfinden und die Bürger verstören. „Dann kommen sie vorbei und sagen es mir direkt", erzählt Petry.
Oder es geht um gezielte Lobbyarbeit für den eigenen Berufsstand. „Ich hoffe du kannst uns da helfen", eröffnet Jochem das Gespräch mit dem Bundestagsabgeordneten, sobald das Gesprächszimmer frei wird. Die beiden Männer begrüßen sich mit einem Handschlag. Es wird sich gleich geduzt. Jochem ist gut vorbereitet. Mit zahlreichen Dokumenten und Grafiken gewappnet kommt der freiberufliche Logopäde gleich auf den Punkt. Seit zehn Jahren ist er schon selbstständig, führt im Saarland zwei Praxen und hat Angst um seine Existenz. „Es geht um die Zulassungsfrage der Logopäden", so Jochem. „Unsere Patienten kommen erst, wenn sie eine Verordnung von ihren Ärzten bekommen", bedauert der Selbstständige. Jahr für Jahr schrumpft jedoch die Anzahl der Verordnungen. „Wäre es somit möglich, dass wir in bestimmten Gremien bei der Entscheidung, was die Verteilung von Leistungen und Mitteln angeht, beteiligt werden können?"
Zielvorgaben Mit Leben füllen
Zwei Punkte im Koalitionsvertrag gehen auf diese Frage, also auf die Stärkung der freien Heilberufe ein. „Allerdings sind sie sehr schwammig formuliert", weiß Petry. Insgesamt sind die Inhalte des rund 173-seiteigen Koalitionsvertrages sehr offen gehalten, „konkret sind bestenfalls 20 davon", sagt Petry. „Alles andere sind Zielvorgaben, die man mit Leben fühlen muss." Und dafür sind unter anderem auch die Bürgersprechstunden da, für den direkten Austausch. So bekommen die Politiker einen tatsächlichen Eindruck davon, was die Bürger benötigen.
Der Bundestagsabgeordnete sieht gleich zwei mögliche Wege, das Thema anzupacken. „Der eine, den ich auch befürworte, ist der saarländische Weg", so Petry. Dafür muss Petry beim ausgewiesenen Fachpolitiker – Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) – anfragen. Im Gespräch wird sich dann herausstellen, inwieweit man der Bitte von Jochem nachkommen kann. Der zweite Weg wäre ein Brief an die zuständigen Ministerien. „Man macht also einen richtigen Vorgang daraus", weiß Petry.
Sobald eine Antwort feststeht, gibt Petry diese an die Bürger weiter. Auch wenn diese zum Nachteil der Person ausfällt. „Die Menschen freuen sich natürlich nicht darüber, wenn etwas nicht so klappt. Aber immerhin fällt die Unmut nicht so groß aus", weiß der SPD-Politiker. „Dann fühlen sie sich nicht im Stich gelassen."
Dennoch kann Petry die Politikverdrossenheit der Bürger nicht abstreiten. Auch, dass sie tendenziell größer wird. Doch auf der lokalen Ebene spürt Petry das nicht. „Klar fallen ab und zu auch die Sätze wie ‚ihr macht ja nichts‘". Doch sobald es konkret wird, rudern die Menschen doch zurück. „Dann höre ich so was wie ‚du ja nicht, aber die anderen‘".
Mit solchen Anregungen lassen sich die Probleme natürlich nicht lösen. Bei einer gezielten Bitte lässt sich dagegen schon was bewegen. Sobald Jochem den Raum verlässt, kommt die Nächste, eine junge Mutter. Bei ihr geht es um soziale Leistungen. Ihre Kinder seien krank, sie muss ständig zum Arzt fahren. Die Kosten will das Amt aber nicht übernehmen.
Auch hier hat Petry prompt einen Vorschlag, wie er der Frau helfen kann. „Ich kann beim zuständigen Sachbearbeiter nachfragen, was sich in Ihrem Falle machen lässt", verspricht Petry und schreibt sich parallel eine Notiz. „Dann wird sich meine Mitarbeiterin bei Ihnen melden."
Beim vierten Gespräch bleiben die Türen erstmals zu. Das Thema ist zu persönlich. Nur bei der letzten Frage darf mitgehört werden. Hierbei geht es um seine Ehefrau. Ursprünglich sei sie aus Thailand, aber mittlerweile richtig gut in Deutschland integriert. Sie hat sogar schon eine Arbeit als Krankenschwester gefunden, kann diese jedoch nicht anfangen, weil ihr dafür noch ein Sprachkurs fehlt. „Dabei geht es gar nicht darum, dass sie kein Deutsch kann. Sie spricht perfekt. Es geht lediglich um diesen Abschluss, den sie vorlegen muss", erzählt der Mann. Und dieser kommt nicht zustande, weil für den Kurs nicht genug Teilnehmer zusammenkommen. „Könntest du da bitte was machen", fragt er bei Petry nach. „Ich weiß sonst nicht mehr, wohin ich gehen soll."
Politik als Freund und Helfer? Fast schon etwas neuen, wenn man sich die aktuelle Gemengelage in Berlin anschaut. „Unsere Aufgabe ist es, das Vertrauen der Bürger – was ziemlich nachgelassen hat in letzter Zeit – zurückzugewinnen", betont Petry. Die Bürgersprechstunde sei dabei der erste mögliche Schritt.