Der Sport bedeutete ihr viel. Dann machte eine Krankheit Elke Philipp als junge Frau zum Pflegefall. Doch sie gab nicht auf und holte bei den Weltreiterspielen im September in den USA zweimal Bronze.
Ihren Sport ohne Werner zu betreiben, das war für Elke Philipp eigentlich stets unvorstellbar. Denn ihr Mann war für die Para-Dressurreiterin des RuFV Chiemgau Nord stets weit mehr als eine seelische Stütze. Er war Mentor, Manager, Motivator. Derjenige, der sich im Hintergrund um all das kümmerte, was andernfalls Elke Philipps Konzentration gestört hätte. Derjenige, der mit der Kamera auf der Tribüne stand, um den Auftritt seiner Frau zu filmen und ihn hinterher gemeinsam mit ihr zu analysieren. „Mein erster Blick, wenn ich aus dem Viereck kam, ging immer zu ihm", sagt Elke Philipp.
Im vergangenen April ist Werner Philipp einer Krebserkrankung erlegen. Und als Elke Philipp an seinem Krankenbett saß, da schossen ihr dunkle Gedanken durch den Kopf. Wie, fragte sie sich, sollte das alles ohne ihren Ruhepol weitergehen, der 16 Jahre an ihrer Seite gestanden hatte? Werner Philipp fand solche Zweifel überflüssig. „Du schaffst das", teilte er seiner Frau vor seinem Tod mit. Und die beschloss, weiterzumachen, „im Sinne meines Mannes", wie sie sagt. Und tatsächlich, sie schaffte es. Bei den Weltreiterspielen 2018 in Tryon, North Carolina, holte sie zwei Bronzemedaillen, eine im Einzel und eine mit der Mannschaft. Erhofft hatte sie sich den Sprung aufs Treppchen durchaus, erwartet hatte sie ihn nach der schweren Zeit, in der Trauer und Bürokratie das Training und die Wettkämpfe in den Hintergrund schoben, nicht unbedingt.
Es ist nicht das erste Mal, dass Elke Philipp beweist, was für eine Kämpfernatur sie ist. Die gebürtige Mittelfränkin war in ihren Jugendjahren eine begeisterte Leichtathletin, Basketballerin, Volleyballerin, Tänzerin und Skifahrerin. „Der Sport", sagt sie, „war mir in die Wiege gelegt." Schon damals liebte sie den Kick vor dem Wettstreit, „das Gefühl, voll da zu sein". Mit Anfang 20 aber trat bei ihr eine Hirnhautentzündung auf. Zwei Wochen lang lag sie im Koma. Dass auch im Kleinhirn eine Entzündung schlummerte, blieb lange unerkannt. Zu lange. Orientierungsprobleme und temporäre körperliche Ausfälle missdeuteten die Ärzte als Schwächephase – bis es so schlimm wurde, dass Elke Philipp nicht einmal mehr sitzen konnte. „Ich war ein kompletter Pflegefall."
Eineinhalb Jahre lag sie in der Klinik
Liegen bleiben, sich aufgeben – das jedoch entspricht nicht ihrem Naturell. Zum Schlüsselerlebnis wurde, dass sie erlebte, wie zwei ihrer Zimmergenossinnen im Krankenhaus starben. Eineinhalb Jahre lag sie selbst in der Klinik. Als es in die Reha ging, war das tägliche harte Training keine Qual für sie, sondern eine Befreiung; die Chance, wieder aktiv zu sein. „Ich dachte mir: Endlich wieder Sport!"
Zu jener Zeit entdeckte sie die Hippotherapie. Sie, die früher nie etwas mit Pferden zu tun gehabt hatte, fand Gefallen am therapeutischen Reiten und kam dadurch wieder auf die Beine. Elke Philipp ist bis heute linksseitig betont spastisch gelähmt und rumpfinstabil. Die Funktion ihrer Muskulatur ist komplett zentral gestört. Weil das Kleinhirn das Koordinationszentrum des Menschen ist, sind eine tägliche Physio- und Ergotherapie und Logopädie nötig, um die Sensomotorik und Tiefensensibilität aufrechtzuhalten. Probleme mit den Stimmbändern führten obendrein zu Atemstillständen und ließen sich nur durch einen permanenten Luftröhrenschnitt beseitigen. Aber sie ist nicht wie nach ihrer Erkrankung dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen, sie kann sich mit Gehhilfen fortbewegen.
Den Start in den Behindertensport erlebte sie Ende der 90er-Jahre nicht im Para-Dressurreiten, sondern – einer alten Leidenschaft folgend – im Para-Ski alpin. Sie besorgte sich Krückenski, machte auf dem Surfbrett ihres Bruders Trockenübungen im heimischen Garten und traute sich kurz darauf in Lermoos (Tirol) prompt ganz hoch auf den Berg. „Mehr als Hinwerfen konnte es mich ja nicht", sagt sie. Es dauerte nicht lang, und sie klopfte an die Tür zum deutschen Nationalkader. 2001 kam sie im Gesamt-Europacup auf Platz vier, die Teilnahme an den Paralympischen Spielen 2002 winkte, scheiterte aber an fehlenden Sponsoren. Just zu jener Zeit lernte sie ihren späteren Mann kennen, verliebte sich und beschloss, eine Leistungssportpause einzulegen.
Zunächst aktiv im Para-Ski Alpin
Das Paar teilte eine Reitleidenschaft. 2005 kaufte es für gemeinsame Ausritte ein Pferd. An Elke Philipps neu entdecktem Enthusiasmus konnte selbst ein Reitunfall nichts ändern, bei dem sie sich einen dreifachen Becken- und einen Lendenwirbelbruch zuzog. Mit engagierter Hilfe, professioneller Anleitung und mehr Vorsicht stieg sie wieder aufs Pferd und trainierte – mit wachsendem Ehrgeiz. 2010 hatte sie der Leistungssport wieder, nun im Para Dressurreiten auf dem für ihre Bedürfnisse ausgebildeten Pferd Rousseau G. Nach ihren ersten nationalen Auftritten nahm sie der damalige Co-Trainer der deutschen Para-Equipe, Dirk-Michael Mülot, unter seine Fittiche und attestierte ihr: „Du hast das Zeug und das Nervenkostüm für internationale Erfolge."
Und Mülot behielt Recht. 2013 nahm Elke Philipp erstmals an einer Europameisterschaft teil und gewann Silber mit der Mannschaft, ein Jahr später holte sie im französischen Caen WM-Bronze im Einzel. Von den Paralympics 2016 in Rio de Janeiro nahm sie Silber mit der Mannschaft mit, eine Einzelmedaille verpasste sie knapp. 2017 schrammte sie in Göteborg ebenfalls unglücklich an EM-Gold in der Championatsaufgabe, dem Einzel-Pflichtprogramm, vorbei und holte Silber, zusätzlich gab es Bronze in der Kür.
Immer an ihrer Seite: der Wallach Regaliz, genannt Blacky, ein manchmal etwas eigenwilliger Partner, den Elke Philipp dennoch zu schätzen weiß. „Blacky ist eher von der gemütlicheren Sorte. In Rio hatte ich zeitweise das Gefühl, ich müsste ihn durchs Viereck tragen", scherzt die Reiterin. Fünf Startklassen gibt es bei den Para-Dressurreitern, unterteilt nach der Schwere der Behinderung. Im Grade I, Elke Philipps Klasse, in der Sportlerinnen und Sportler mit dem höchsten Behindertengrad aufeinandertreffen, ist es besonders wichtig, dass Pferd und Reiter eine Einheit bilden, wie im Fall von Regaliz und ihr. „Wir wissen genau, wie wir miteinander umgehen müssen. Das Schönste ist, wenn ich reite und man meine Behinderung gar nicht bemerkt."
„Ich hatte eine Gänsehaut"
Die jüngste WM allerdings fand ohne Regaliz statt. Der Wallach war nicht hundertprozentig fit. Es war ein weiterer Grund für Elke Philipp, mit leichten Zweifeln an ihrer Wettbewerbsfähigkeit in die USA zu reisen. Zwar ist Regaliz‘ Ersatz Fürst Sinclair, genannt Spider, alles andere als eine zweite Wahl. Der stolze Hengst bringt eine gewinnende Ausstrahlung mit und ist inzwischen so stabil, dass er eine glorreiche Zukunft verspricht. Doch Tryon war sein erster großer, internationaler Auftritt, verbunden mit einer zweiwöchigen Reise inklusive Quarantäne und mit schwierigen klimatischen Bedingungen – erst der Hurrikan Florence, dann Hitze und hohe Luftfeuchtigkeit.
Spider jedoch gab sich unbeeindruckt. „Er war eine absolute Erscheinung, sein Auftritt war vom Feinsten", sagt Elke Philipp über ihren Partner im Dressurviereck. In der Championatsaufgabe trotzte das Duo der breiten Konkurrenz und lag sogar lange auf Goldkurs, bevor Sara Morganti (auf Royal Delight) und Laurentia Yen-Yi Tan (auf Fürst Sherlock) noch vorbeizogen. In der Mannschaftswertung hatten Elke Philipp und Fürst Sinclair die schwere Aufgabe, mit einem starken Auftritt als Letzte die Bronzemedaille für Deutschland zu sichern – und sie taten das, sodass das Team hinter der Niederlande und England, aber hauchdünn vor Dänemark, auf Rang drei landete. Das bedeutete auch gleich die Qualifikation für die Paralympischen Sommerspiele 2020 in Tokio. „Ich habe erst hinterher erfahren, wie der Rest unserer Mannschaft und unsere Trainer und Betreuer gezittert, geschwitzt und vor Freude geweint haben", sagt Philipp.
Sie selbst blieb während des Auftritts cool. Das änderte sich, als es vorüber war – und vieles auf sie einprallte: die jüngsten Erfahrungen und alte Erinnerungen. „Ich hatte eine Gänsehaut", gibt sie zu. „Genau für dieses Gefühl mache ich das alles."