Bei der Feldhockey-WM in Indien, die Ende November beginnt, zählt für Bundestrainer Stefan Kermas sein Nationalteam zu den heißen Titelkandidaten.
Die Zielsetzung ist klar und ambitioniert: „Wir wollen die Nummer eins der Welt werden und haben das Potenzial dazu."
Die erste Hürde auf dem Weg hin zu diesem ehrgeizigen, von Bundestrainer Stefan Kermas, dem gelernten Juristen, klar formulierten Ziel wird bei der 14. Herren-Feldhockey-WM, die zwischen dem 28. November und dem 16. Dezember im Kalinga-Stadium im indischen Bhubaneswar über die Bühne gehen wird, das Auftaktmatch am 1. Dezember gegen den viermaligen Rekord-Champion Pakistan sein, der auf der aktuellen Weltrangliste jedoch lediglich Rang 13 belegt.
„Wollen die dicken Turniere gewinnen"
„Wir wollen die dicken Turniere gewinnen", so Kermas weiter, „und am Ende ist es auch mein Antrieb, Gold in Tokio zu holen." Bis zu den Olympischen Spielen in der japanischen Metropole sind es noch zwei Jahre hin. Daher könnte man als Außenstehender die WM in Indien nur als Zwischenstation für das nach der etwas enttäuschenden Bronzemedaille bei den Spielen in Rio de Janeiro rundum erneuerte und stark verjüngte Team, die „Honamas", betrachten. Doch diesbezüglich hat Kermas ganz andere Vorstellungen: „Wir wollen die Erfolgsgeschichte des deutschen Herren-Hockey weiterschreiben, dabei kurzfristig Erfolge erzielen und mittelfristig die vorhandene Qualität weiter verbessern." Ganz selbstbewusst zählte er denn auch in einem auf der Webseite des Weltverbandes FIH (Fédération Internationale de Hockey) Ende Oktober 2018 veröffentlichten Interview seine Mannschaft zu den Titelkandidaten und nannte die Teams aus Australien, Argentinien, Belgien und den Niederlanden als die Hauptkonkurrenten.
Auf der aktuellen Weltrangliste rangieren die „Honamas" nur auf dem sechsten Rang. Was hauptsächlich dem Umstand geschuldet ist, dass der aus Berlin gebürtige, mit 39 Jahren noch sehr junge Bundestrainer nach seinem Amtsantritt als Nachfolger von Valentin Altenburg im Januar 2017 die Mannschaft komplett umgekrempelt und viel experimentiert hatte. Im Unterschied zum DFB-Team unter Jogi Löw wurde nach Rio bei der Hockey-Nationalmannschaft ein kompletter, systematischer Neuaufbau betrieben. Dass dennoch im Anfang November 2018 nominierten 18-köpfigen WM-Kader immerhin noch neun Rio-Bronzemedaillengewinner auftauchen, weil einige erfahrene Leistungsträger nach einer Pause wieder zurück ins Team gekommen sind, lässt darauf schließen, dass Kermas seinen jungen Heißspornen auf dem angepeilten Weg zur obersten Stufe auf dem Treppchen einige Routiniers hilfreich zur Seite stellen möchte.
Daher werden Recken wie Strafecken-Spezialist und Kapitän Martin Häner, Mittelfeldstratege Tobias Haucke, Top-Stürmer Florian Fuchs oder der aggressive Mittelfeldspieler Mats Grambusch die Rolle von Leitwölfen übernehmen müssen, um die 21-jährigen Youngster wie den torgefährlichen Dribbelkönig Timm Herzbruch oder Johannes Große auf der Erfolgsspur zu unterstützen. Der im Schusskreis unberechenbare Timm Herzbruch gilt als eines der größten Talente im gesamten Welthockey. Kermas: „Jeder Trainer der Welt hätte gern einen solchen Spieler im Team, er ist jetzt schon einer der besten Offensivspieler und wird noch besser." Im Angriff passt es schon traditionell gut bei den „Honamas", doch ebenso wichtig ist Kermas eine möglichst variable Spielweise mit je nach Bedarf wechselndem System. Die Konkurrenz aus Australien oder den Niederlanden, die innerhalb einer Partie drei, vier Spielsysteme bunt durchmischen können, beherrscht das schon perfekt.
Kermas: „Wir müssen unsere Möglichkeiten vergrößern, wir brauchen Klarheit und Variabilität, denn durch die Umstellung der Spielzeit von zweimal 35 auf viermal 15 Minuten wird viel mehr Power-Hockey gespielt. Und gegen tiefstehende Mannschaften ist es schwer geworden, sich Chancen zu erarbeiten. Die Basis auch unseres Erfolgs bleibt aber die Defensive." Ein Faktor, der ein gutes Abschneiden der „Honamas" verhindern könnte, sind beim Austragungsland Indien wie immer mögliche Erkrankungen von Teammitgliedern infolge kontaminierter Nahrungs- oder Getränkeaufnahme. Davon sind bei Turnieren in asiatischen Ländern in der Regel fast alle europäischen Mannschaften betroffen. Daher haben die Verantwortlichen um Kermas mit ihrem Ärzteteam schon im Vorfeld ein besonderes Augenmerk auf dieses Gesundheitsproblem gelegt.
Basis des Erfolgs soll die Defensive bilden
Bei der WM in Indien, bei der Australien seinen Titel verteidigen möchte, werden erstmals 16 Nationalmannschaften vertreten sein, die zunächst in vier Gruppen und danach in K.-o.-Spielen gegeneinander antreten. Der zweimalige Weltmeister und viermalige Olympiasieger Deutschland trifft in Gruppe D neben Pakistan am 5. Dezember auf den Erzrivalen Niederlande, die aktuelle Nummer vier der Weltrangliste, und im abschließenden Gruppenmatch am 14. November auf Malaysia, die Nummer zwölf im FIH-Ranking. Der neue Turniermodus hat es in sich. Denn das Erreichen des Viertelfinals ist 2018 viel schwerer als bei früheren WM-Austragungen, bei denen aus zwei Sechsergruppen die besten vier Teams weiterkamen. Mit den Niederländern wird sich das deutsche Team aller Wahrscheinlichkeit nach um den ersten Platz streiten müssen, der allein die direkte Qualifikation für das Viertelfinale bedeuten würde. Sollte man hingegen nur Gruppenzweiter werden, müsste man in einem sogenannten Cross-Over-Match gegen den Zweiten oder Dritten der Gruppe C, in der Belgien (Dritter der Weltrangliste), Indien (Fünfter der Weltrangliste), Südafrika (14. der Weltrangliste) und Kanada (Elfter der Weltrangliste) vertreten sind, um den Viertelfinaleinzug in einem weiteren, kräftezehrenden Zusatzspiel kämpfen.
Auf jeden Fall ist im Viertelfinale am 13. Dezember ein Knaller-Aufeinandertreffen mit einem absoluten Spitzengegner vorprogrammiert. Davor ist Kermas allerdings kein bisschen bange, weil er darauf verweisen kann, dass die Honamas in der Vergangenheit in der Regel genau dann in der Lage waren ihre besten Leistungen abzurufen, wenn es im K.-o.-Modus um die Wurst ging.
Den letzten Schliff in der WM-Vorbereitung hat Kermas seiner Mannschaft zwischen dem 8. und 15. November in einem Trainingscamp im spanischen Alicante verpasst. Ob es die „Honamas" bei der Weltmeisterschaft 2018 ins Halbfinale am 15. Dezember oder gar ins Finale einen Tag später schaffen werden, darf mit Spannung abgewartet werden.
Die Vorzeichen stehen nicht schlecht, schließlich haben sie nach dem enttäuschenden Abschneiden mit lediglich Platz vier bei der EM 2017 die Kurve nach oben gekriegt und zuletzt im Juli 2018 den prestigeträchtigen Four Nations Cup in Düsseldorf gegen starke Konkurrenz wie den amtierenden Olympiasieger Argentinien oder den Weltranglisten-Zehnten Irland gewonnen. Der Titelgewinn könnte auch für Bundestrainer Kermas neue spannende berufliche Perspektiven eröffnen ‒ schließlich wurden mit Bernhard Peter und Markus Weise, dem Kermas bei den Olympiasiegen 2008 und 2012 assistiert hatte, zwei seiner Vorgänger vom mit viel Geld winkenden Fußball abgeworben.