Warum Väter von heute nicht immer gute Vorbilder sein können und wollen
Es gibt wohl kaum Väter, die nicht schon einmal über Vaterrollen sinniert haben. Die modernen Väter verstehen sich nicht mehr nur als Ernährer oder Familienoberhaupt, wie es die Väter bis in die 60er-Jahre taten. Anders als früher wollen die Väter von heute für ihre Kinder da sein, sie wollen sich um sie kümmern, sie trösten und ihnen Mut machen. Nur gibt es ein Problem: Der eigene Anspruch an die Vaterrolle und die Anforderungen klaffen oft weit auseinander.
Wenige Monate, bevor ich den Wechsel vom schnöden Staatsbürger zum Vaterdasein vollzog, war das schönste die Vorfreude darauf, bald Vater zu werden. Für mich war es selbstverständlich, dass ich meine Partnerin und jetzige Frau zum Infoabend für werdende Eltern im Krankenhaus unserer Wahl begleitete, am Geburtsvorbereitungskurs teilnahm und im Kreißsaal bei der Entbindung der Hebamme meiner Frau assistierte.
Die Vorfreude auf unser erstes Kind wurde zehn Tage vor dem errechneten Geburtstermin getrübt. Unser Sohn wollte einfach nicht schlüpfen. Erste Erkenntnis des werdenden Vaters: Ungeborene Babys haben schon im Mutterleib ihren eigenen Willen und scheren sich nicht darum, dass ein Elternteil des Wartens langsam müde wird.
Geschlagene drei Jahre dauerte es, bis ich mich in der Vaterrolle des Kümmerers emanzipiert habe. Eines Tages wünschte sich mein Sohn, von mir ins Bett gebracht zu werden. Einen Haken gibt es dabei aber immer: Wenn ich im Bett an der Seite meines Sohnes liege und darauf warte, dass er einschläft, gerate ich unwillkürlich selbst in einen Zustand der Entspannung und Trägheit.
Neuerdings kommt es vor dem eigentlichen Zubettbringen zu Interessenkonflikten: Mein Sohn will auf dem Smartphone eine Hörspielfolge von Bibi Blocksberg hören, doch sein Papa möchte lieber zum Einschlafen einen Klassiker der Kinder- und Jugendbuchliteratur vorlesen. Der kleinste gemeinsame Nenner, auf den wir uns meist einigen: Ich lese ihm zwei oder drei kurzweilige Pixi-Buch-Geschichten vor.
Natürlich ist es enorm wichtig, dass Väter täglich mit ihren Kindern spielen, sich ganz auf sie während des Spielens einlassen und sich von ihnen im Spiel führen lassen. Soviel zur Theorie. In letzter Zeit sagt mein Sohn als Erstes, wenn ich nach Hause komme: „Papa, lass uns spielen" Oder: „Papa, hast Du mir etwas mitgebracht?" Auf die zweite Frage kann ich immerhin ehrlich antworten. Aber bei der ersten versuche ich mich herauszureden und sage, dass ich erst mal die Einkäufe aus dem Rucksack ausräumen oder zuerst etwas essen muss.
Oft habe ich schon eine Vorahnung, worauf das Ganze hinausläuft: Mein Sohn will zum 5.687 Mal auf Verbrecherjagd im Kinderzimmer gehen – und ich soll ihm dabei helfen. Wie handeln? Entweder „Ja" sagen, also Augen zu und durch. Oder wagen „Nein" zu sagen und damit riskieren, dass er vor lauter Frust weint oder die beleidigte Leberwurst spielt.
Als wäre es nicht genug, dass der Vater von heute sich fürsorglich und einfühlsam um seine Kinder kümmert, er soll auch wie eine Nachtschwester präsent sein. Entwicklungspsychologen sagen, dass die Vater-Kind-Bindung nicht allein durch wildes Spielen, sondern auch durch einfaches Kümmern gestärkt wird. Davon kann ich ebenfalls ein Lied singen: Mein Sohn wird nachts wach, weint, weil er zur Toilette muss, es dafür leider schon zu spät ist oder weil er Durst hat. In allen Fällen fordert er meistens Papas Hilfe ein – weiß er doch, dass seine Mama und sein Schwesterchen im großen Elternbett schlafen.
In letzter Zeit schleiche ich mich, wenn mein Sohn eingeschlafen ist, aus dem Kinderzimmer und lege mich ebenfalls ins große Bett. Das hat Konsequenzen: Sobald er aufwacht, schrecke ich vom durchdringenden „Papaaa"-Ruf auf, oder einer von uns tappst des nachts durch die Wohnung.
Der dänische Familientherapeut Jesper Juul schreibt in seinem Buch „Mann und Vater sein", dass auf jungen Vätern eine große Bürde lastet. Sie sollen für ihre Kinder „positive Vorbilder" sein. Doch laut Juul ist diese Forderung unrealistisch. Eltern können nicht ausschließlich positive Vorbilder sein. Vielleicht kann ich als zweifacher Vater gelassener sein, wenn ich das als Realität akzeptiert habe.