Eine Debatte über den UN-Migrationspakt ist überfällig, meint Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne). So viel Zeit müsse sein – die Vereinbarung könne auch noch im kommenden Jahr unterschrieben werden.
Herr Palmer, soll der UN-Migrationspakt unterschrieben werden?
Ich denke, inhaltlich werden wir das über kurz oder lang machen müssen: Migration braucht internationale Ordnung. Es kann ja nicht sein, dass es allein schon innerhalb Europas unterschiedliche Rechtsrahmen gibt. Doch ich mahne zur Gelassenheit. Wir müssen dieses Vertragswerk nicht unbedingt noch bis Ende des Jahres unterschreiben. Was ich mir wünsche, ist eine breite parteiübergreifende Debatte – die hat zum Migrationspakt bis heute überhaupt nicht stattgefunden. Wir haben den Diskurs darüber den völlig verkehrten Leuten überlassen. Und so ist der Eindruck entstanden, in Marrakesch solle ein Geheimvertrag unterschrieben werden, der Gefahren für Deutschland bringt. Das nützt der Demokratie wenig.
Dominiert die AfD eine Debatte, die eigentlich alle angeht?
Ja, leider. Die Debatte wurde rechten Zirkeln überlassen. Und mittlerweile kursieren abenteuerliche Verschwörungstheorien im Internet, bei denen man sich nur noch an den Kopf fasst. Aber das ist eine Folge davon, dass aktuelle Themen nicht konkret angesprochen werden und die Regierenden so tun, als sei die Masse dumm und sie müssten deswegen ganz allein entscheiden. Meinen grünen Parteifreunden kann ich nur empfehlen, die Ängste der Bürger ernst zu nehmen! Überspannt den Bogen jetzt nicht, eine sofortige Umsetzung des UN-Migrationspaktes wäre falsch. Zuerst einmal muss das Vertragswerk diskutiert werden, unterschreiben kann man dann immer noch. So, wie es uns die Schweiz oder Österreich vorgemacht haben.
Was sehen Sie an diesem Pakt als besonders problematisch an?
Was ich zum Beispiel sehr kritisch sehe, ist die Vereinbarung, dass jedes in Deutschland geborene Kind automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft bekommt. Das würde tatsächlich bedeuten, dass alle Asylbewerber, die in Deutschland Eltern werden, dann nicht mehr ausgewiesen beziehungsweise abgeschoben werden können. Denn das Kind ist ja dann Staatsbürger und muss von seinen Eltern betreut werden – damit würde das Asylrecht komplett unterlaufen. Dazu bedarf es jetzt einer Protokoll-Erklärung der Bundesregierung oder eines Beschlusses des Bundestages. Denn das geht einfach zu weit. Das Asylrecht würde damit weitgehend ausgehebelt – wir hätten nicht mehr in der Hand, wer hierbleiben darf und wer nicht.