Ein handfester Krieg zwischen Russland und der Ukraine muss verhindert werden
Droht eine Ausweitung des Krieges zwischen der Ukraine und Russland? Die neueste Zuspitzung im Nadelöhr zwischen Schwarzem und Asowschen Meer ist brandgefährlich. Moskau beschießt in der Straße von Kertsch – die Meerenge zwischen der Krim und Russland – ukrainische Marineschiffe und kapert die Boote danach. Die Regierung in Kiew kontert mit hochtouriger Rhetorik. „Jetzt ist Krieg mit der Russischen Föderation auf unserem Land und darüber hinaus", poltert der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin. Der Politische Direktor im ukrainischen Außenministerium, Oleksii Makeiev, verlangt gar eine Nato-Präsenz im Schwarzen Meer. Bündnis-Mitglieder wie die Türkei, Rumänien oder Bulgarien könnten Schiffe entsenden.
Beide Seiten drehen an der Eskalationsschraube. Doch wie es scheint, wurde die gezielte Provokation von Moskau begonnen. Selbst wenn ukrainische Boote Anweisungen von russischen Stellen nicht beachtet hätten: Dies ist kein Grund zur Anwendung von Gewalt. Russlands Ramm-Aktion gegen ein ukrainisches Schiff ist demonstrative Kraftmeierei. Und illegal dazu. Moskau und Kiew haben in einem Abkommen 2003 vereinbart, dass Kriegs- und Handelsschiffe das Asowsche Meer, das Binnengewässer hinter dem Schwarzen Meer, frei befahren dürfen. Die Straße von Kertsch, in der sich der militärische Zwischenfall ereignete, ist ausdrücklich Teil dieser Vereinbarung.
Die aktuellen Muskelspiele passen zum verschärften Kurs Moskaus. Seit Monaten werden internationale Handelsschiffe im Asowschen Meer von Russland verstärkt kontrolliert und schikaniert. Es ist ein Schlag gegen die ukrainischen Hafenstädte Mariupol und Berdjansk – beides wichtige Transport-Zentren zur Versorgung des Landes. Dahinter steckt das strategische Ziel des Kremls, die Ukraine zu schwächen. Insbesondere ihre Bestrebungen, sich EU und Nato anzunähern, sind Präsident Wladimir Putin ein Dorn im Auge. Es ist immer das gleiche Strickmuster: Unsicherheit schaffen, destabilisieren, die andere Seite der Aggression bezichtigen.
Dass Kiew in diese Eskalationsfalle hineintappt, ist bedauerlich. Man kann Verständnis dafür haben, dass sich die Ukraine hilfesuchend nach Westen wendet. Doch die Kriegs-Rhetorik der Regierung und die Benachrichtigung der Reservisten sind überzogen. Auch die von Staatschef Petro Poroschenko angeordnete und vom Parlament bestätigte Verhängung des Kriegsrechts ist zu laut, zu schrill, zu alarmistisch. Gut möglich, dass Poroschenko wenige Monate vor den Präsidentschaftswahlen im März auch innenpolitisch punkten will – in den Umfragen steht er derzeit nicht gut da. Er liegt abgeschlagen hinter der Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko.
All dies heizt den ohnehin gefährlichen Konflikt zwischen der Ukraine und den durch Russland unterstützten Separatisten weiter an. Seit der Annexion der Krim durch Moskau im März 2014 hat sich die Lage zunehmend verschärft. Bis heute sind mehr als 10.000 Menschen getötet worden. Alexander Hug, der langjährige OSZE-Beobachter im Donbass, hatte immer wieder gemahnt: Beide Seiten verstoßen gegen das Minsker Abkommen, das den Abzug schwerer Waffen von der Frontlinie, eine Entflechtung der Truppen und einen Waffenstillstand vorsieht. Sowohl in Kiew wie auch in Moskau fehle der politische Wille zum diplomatischen Durchbruch, kritisierte Hug.
Dass die weltpolitische Abstinenz der USA unter Präsident Donald Trump die Gemengelage noch komplizierter macht, versteht sich von selbst. Der Chef des Weißen Hauses kapriziert sich auf Lieblingsfeinde wie den Iran oder Lieblingsfreunde wie den saudi-arabischen Kronprinzen Mohammed bin Salman – trotz aller Komplott-Vorwürfe im Mordfall Kashoggi. Von der Rolle eines ehrlichen Maklers bei der Entschärfung von internationalen Krisen ist Trump Lichtjahre entfernt.
Was nun umso mehr gefordert ist, ist Deeskalation. Die internationale Diplomatie muss kühlen Kopf bewahren. Das gilt vor allem für die Europäische Union, vor deren Haustür die Auseinandersetzung zwischen der Ukraine und Russland tobt. Am besten, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron greifen gemeinsam zum Telefonhörer: „Bitte verbinden mit Moskau und Kiew." Einen ausgewachsenen Krieg am östlichen Rand von EU und Nato ist das letzte, was die Welt noch braucht.