Brandschutz genießt in Deutschland einen hohen Stellenwert. Zu hohen, sagen die einen, zu laschen die anderen. Architekten kritisieren regional unterschiedliche Auslegungen und immenses Sicherheitsbestreben. Alexander Schwehm, Präsident der Architektenkammer des Saarlandes, fordert eine bessere Abstimmung der Behörden und die Konzentration auf das Notwendige.
Herr Schwehm, tut Deutschland genug für den Brandschutz oder ist da noch Luft nach oben?
Deutschland tut sehr viel für den Brandschutz. Die Gesetzgebung ist dabei nicht zu scharf, sondern die Auslegung und die Anwendung der Gesetze sind es. Bei den meisten Gesetzen besteht noch ein gewisser Auslegungsspielraum. Aus Angst und Unwissenheit wird dann das Möglichste verlangt. Eigentlich würde oft das Notwendigste ausreichen. Und daran hängt es. Die Sachbearbeiter der Unteren Bauaufsichtsbehörden (UBA) verlangen aus Angst und Unwissenheit oft zu viel.
Wie könnte man das ändern?
Indem wir eine Brandschutzstelle im Land hätten, auf die die einzelnen UBAs zurückgreifen können. Dort müssen Mitarbeiter sitzen, die richtig fit sind und die dementsprechend auch Entscheidungen treffen können. So hätte man zum einen nicht die Angst im Nacken sitzen, zum anderen wäre die Unwissenheit weg, denn es wären ja Spezialisten am Werk. Wir hätten vor allem eine einheitliche Anwendung der Gesetze. Zurzeit haben wir zwölf UBAs im Saarland. Die UBAs wenden die Brandschutzvorschriften unterschiedlich an, und die einzelnen Sachbearbeiter wenden sie wiederum auch anders an. Die Unterschiedlichkeit von UBA zu UBA, von Sachbearbeiter zu Sachbearbeiter macht es den Architekten schwer, Pläne einzureichen, beziehungsweise Brandschutzkonzepte zu erarbeiten, die dann auch zu verwirklichen sind.
Wenn Sie von Angst und Unwissenheit sprechen, ist es dann eine Art Weiterbildungsproblem?
Das will ich so nicht sagen, sondern es muss im Land irgendwo, irgendjemand den Hut aufhaben. Eine letzte Instanz, an die ich mich wenden kann zum Thema Brandschutz. Die sagt „So machen wir’s" und dann wird’s auch so gemacht. Eine Landesbrandschutzstelle im Bauministerium – die fehlt! Hinzu kommt noch, dass meiner Meinung nach die Unteren Bauaufsichtsbehörden auch unterpersonalisiert sind. Die Baukonjunktur läuft sehr gut, wir haben viel mehr Aufträge als noch vor ein paar Jahren. Aber das Personal, das wir jetzt bräuchten wurde abgebaut. Die UBAs bräuchten mehr Mitarbeiter und insbesondere solche mit entsprechendem Fachwissen.
Die Kommunalreform setzt ja auch bei den UBAs an. Gibt es denn schon Signale aus dem Bauministerium, dass solch eine Stelle in Planung ist oder zumindest angedacht wird?
Wir haben vor zwei Jahren dieses Thema angestoßen und stehen auch in einem sehr konstruktiven Dialog mit dem Bauministerium – bei dem ist es geblieben. Ich habe aber Hoffnung, dass sich das ändern wird, dass Personal eingestellt wird und vor allen Dingen, dass geordnet wird, wer für was zuständig ist.
Wie machen sich denn die scharfen Regeln, die Unwissenheit und die Angst in Ihrer täglichen Arbeit bemerkbar?
Es gibt zum einen den konstruktiven Brandschutz. Das bedeutet, dass sie beim Bauen unter anderem die Flucht- und Rettungswege einhalten. Es gibt aber auch Kompensationsmaßnahmen, den technischen Brandschutz. Wo zum Beispiel der Fluchtweg nicht ganz reicht, könnte eine Sprinkleranlage eingerichtet werden. Da erwarte ich von Sachbearbeitern, dass sie auch Vorschläge machen und Möglichkeiten sehen, wie man Dinge anders lösen kann. Man weiß im Vorfeld nie, wie welche Regeln ausgelegt werden und das macht die Zusammenarbeit von UBA zu UBA unterschiedlich und damit schwierig.
Gibt es beim Brandschutz auch mal spannende architektonische Fälle oder ist es einfach nur lästig?
Lästig ist Brandschutz nicht. Das Thema ist spannend und kann auch Spaß machen. Es ist unsere ureigene Aufgabe, dem Menschen eine dritte Haut zu schaffen. Die zweite Haut sind die Kleider, die dritte Haut ist das Haus. Dazu gehört natürlich auch, dass der Mensch nicht verletzt, verbrannt oder weggeschwemmt wird. Das sind Themen, die zu unserem Beruf dazugehören. Wir wollen ein „Rundum-Wohlfühlpaket" für unsere Bauherren schaffen und dazu gehört auch der Schutz der Bauherren – Brandschutz steht dabei ganz oben.
Beim Brandschutz kommen mir sofort Großbauprojekte in den Sinn. Im Saarland das HTW-Gebäude, in Berlin der Flughafen BER und in London das Unglück im Grenfell Tower. Es ist aber auch ein Thema für den privaten Wohnungsbau, für Ein- oder Mehrfamilienhäuser. Merken auch private Bauherren die scharfen Vorschriften mehr als früher?
Auch beim Einfamilienhaus muss selbstverständlich der Brandschutz eingehalten werden, aber das muss jeder Architekt können. Dafür wird kein Brandschutzexperte benötigt. Das ist ganz normales Architekten-Handwerk. Ich muss einen anleiterbaren Ausgang oder ein anleiterbares Fenster planen. Ich brauche Fluchtwege und darf keine gefangenen Räume schaffen. Brandschutz beeinflusst den Einfamilienhausbau überhaupt nicht. Komplexer ist es beim Geschosswohnungsbau oder bei Sonderbauten, wenn es noch Veranstaltungsräume oder Ähnliches gibt.
Während des Baus wird viel kontrolliert. Wie ist es denn später? Wird noch immer viel kontrolliert und geschaut, ob Brandschutzanlagen funktionieren oder sich die Nutzung eines Gebäudes geändert hat?
Das wird auf jeden Fall kontrolliert. Wenn Ihnen zum Beispiel Brandschutztüren vorgeschrieben wurden, dann müssen diese alle zwei Jahre auf ihre Funktion geprüft werden. Bei größeren Gebäuden haben wir Brandschauen, bei denen die Feuerwehr ausrückt.
Wie verhält es sich mit Brandschutz in Bestandsbauten, wenn an- oder umgebaut wird?
Nehmen wir mal den Fall eines in einer Reihe gebauten, viergruppigen Kindergartens, an welchen eine fünfte Gruppe angebaut wird. Für den Kindergarten in seiner alten Form gab es ein Brandschutzkonzept, das funktioniert hat. Durch den Anbau einer fünften Gruppe muss nun für den kompletten Kindergarten ein neues Brandschutzkonzept erarbeitet werden, obwohl das alte Konzept funktioniert hat. Das ist, soviel ich weiß, fast nur im Saarland so. In anderen Bundesländern ist das nicht notwendig.
Wieso ist das in anderen Bundesländern anders?
Dort ist das eine Kann-Bestimmung. Da könnte man ein neues Brandschutzkonzept machen oder übernimmt das bestehende Konzept. Das ist der Unterschied zwischen dem Saarland und zum Beispiel Baden-Württemberg. Unsere Bestimmungen führen dazu, dass die Maßnahme herausgegriffen wird, welche die höchsten Ansprüche hat. Deshalb fällt im Saarland der Bestandsschutz beim Brandschutz ein wenig unter den Tisch.
Ist es dann ein wenig eine Mentalitätsfrage: Bloß nichts falsch machen?
Ja, man versucht sich nach allen Seiten abzusichern. Ein bisschen gesunder Menschenverstand wäre aber angebracht. Ich kann es dahingehend nachvollziehen, dass der Brandschutzexperte im Land fehlt, an welchen sich unsere UBAs wenden können. Er muss die Expertise haben, nicht das Meistmögliche, sondern das Notwendige zu verlangen.
Ist es auch die öffentliche Erwartungshaltung, dass beim Thema Brandschutz oder Sicherheit allgemein, immer alles perfekt und vielleicht auch übertrieben gemacht werden muss?
Es ist zumindest die Erwartungshaltung da, dass nichts passiert. Nehmen wir das Beispiel einer Faschingsgruppe, die aus Brandschutzgründen ihre Veranstaltung nicht durchführen kann. Jahrzehntelang ging etwas gut und plötzlich ist es nicht mehr erlaubt. Das ist mir unverständlich. Zumal es auch dort möglich wäre, durch beispielsweise das Abstellen von Feuerwehrpersonal Dinge zu kompensieren, um Menschen geregelt aus einer Halle führen zu können. So etwas könnte man vorschlagen. Aber nein, diese Veranstaltungen werden nicht mehr zugelassen und das ist schade. Es bleibt die Angst, dass Kompensationsmaßnahmen nicht ausreichen könnten.
Brandschutz ist nicht nur wichtig, sondern auch ein Milliardengeschäft. Wird hier auch mit Ängsten von Bauherren gespielt, indem man sagt „mach deinen Brandschutz lieber 120-prozentig, sonst passiert etwas"?
Selbstverständlich. Es gibt einen ganz großen Lobbyismus, hinter dem die Brandschutzindustrie steckt. Diese will natürlich ihre Produkte verkaufen. Die Brandschutzlobby nimmt sogar ganz bewusst und mit sehr viel Geld Einfluss auf Vorschriften.
Die Brandschutzlobby, wie der Wirtschaftsverband Brandschutz e.V., versuchen aktiv die Politik für das Thema Brandschutz zu sensibilisieren. Ist das nicht zunächst einmal etwas Gutes, Politikern zu erklären auf was es ankommt oder nimmt diese Einflussnahme zu große Ausmaße an?
Meiner Meinung nach müsste auch die Politik Spezialisten einstellen oder sich zumindest unabhängig beraten lassen, um diese Einflussnahme beurteilen zu können. Was wir verstärkt brauchen, ist Forschung im Bereich Brandschutz, um sinnvolle Produkte herstellen zu können. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass die Forschung nicht von der Industrie finanziert wird, da diese natürlich Geld verdienen möchte.
Steht das alles im Kontrast zu Ihrer Arbeit, wenn Sie einem Bauherrn erklären wollen, dass eine zwei Stufen billigere Brandschutzanlage eventuell auch ausreichen würde?
Da kann ich Ihnen nur zustimmen. Ich erlebe das manchmal so.
Solche Tragödien wie im Londoner Grenfell Tower führen auch immer zu, ich nenne es mal Kurzschlussreaktionen. Im Ruhrgebiet wurden danach etliche Mehrfamilienhäuser und Sozialbauten geräumt. Wie steht es um die deutschen Hochhäuser?
Was Hochhäuser in Deutschland oder im Saarland angeht, kann ich Ihnen leider keine Auskünfte geben. Mir sind keine entsprechenden Untersuchungen bekannt. Der Brandschutz wird in Deutschland kontrolliert. Bei privat vermieteten Häusern ist der Vermieter in der Pflicht diese Wohnung so auszurüsten, dass Leib und Leben geschützt sind. Als Wohnungseigentümer bin ich auch selbst in der Verantwortung für zum Beispiel Rauchmelder. Es gilt im Saarland eine Rauchmelderpflicht.
Gerade bei 70er-Jahre-Gebäuden bekommt man oft den Eindruck, dass diese mehr in der Kritik stehen als ganz alte Bauten. Ist da was dran?
Ganz alte Gebäude wurden aus Steinen und Beton gebaut. Bei neuen Gebäuden besteht eine Wand nicht nur aus Stein und Beton, sondern sie ist mehrschichtig aufgebaut. Es kommen Dämmung und Luftschicht dazwischen und eine Fassadenschicht davor. Wir haben also drei Komponenten aus verschiedenen Materialien. Dieser Aufbau führt unter Umständen schneller zu Schäden als eine Stein- oder Betonwand. Ich bin kein Freund von Wärmedämmverbundsystemen oder vorgesetzten Fassaden. Mittlerweile gibt es auch starkdämmende Steine oder wärmedämmenden Beton. Mir ist so ein monolithischer Bau wesentlich lieber, auch weil er weniger anfällig ist für Reparaturarbeiten an einer Fassadenhaut oder Mauerschicht, welche die Außenwand umgibt.
Brandschutz ist für Ihren Berufsstand eine große Herausforderung. Gibt es spezielle Ausbildungen?
Es gibt die Möglichkeit, einen Master für Brandschutz an der Technischen Universität Kaiserslautern zu machen. Ich denke mir, wenn sich ein Architekt dahingehend spezialisieren möchte, sollte er diese Ausbildung zusätzlich machen. Damit erlangt er die Fähigkeit, Bauherren dahingehend zu beraten, nur das Nötigste zu machen. Denn Brandschutz ist eben auch ein finanzieller Faktor und kann ein Projekt zum Scheitern bringen.
So jemand wäre doch die ideale Besetzung als Experte auf Landesebene.
Exakt. Es läuft alles auf diese eine, fehlende Stelle im Land heraus. Diese Stelle muss nicht nur eine Person sein. Es könnte sich auch um eine Abteilung Brandschutz mit zwei oder drei Mitarbeitern handeln – aber mit einheitlicher Sprache in der Kommunikation mit dem Bauherrn, dem Architekten, sowie mit Feuerwehr und allen Beteiligten.
Glauben Sie, dass wir mit den heutigen Standards das Ende der Fahnenstange beim Brandschutz erreicht haben?
Nein. Es gibt bestimmt auch zukünftig Dinge, die man besser machen kann, oder bei denen die Entwicklung voranschreitet. Nehmen Sie das Beispiel Materialien. Eine Brandschutzverglasung ist unheimlich teuer. Auf diesem Gebiet wird immer noch weiter geforscht werden. Es werden weiterhin neue Produkte auf den Markt kommen, die besser und vielleicht auch preiswerter sind. Von daher sollte man die Forschung vorantreiben. Stillstand wäre fatal. Mit unseren Brandschutzvorschriften sind wir in Deutschland allerdings sehr gut aufgestellt. Aber auch hier wird man immer irgendetwas verbessern können. Das sollte man aber mit Augenmaß tun.