Die Deutschrocker Madsen nehmen ihren Job sehr ernst, sich selbst dagegen nicht so wichtig. Diesen Eindruck bekommt man schnell, wenn man sich mit ihnen trifft. Das aktuelle Album „Lichtjahre" wartet auf mit Mutmacher-Songs zwischen Rock, Pop, Grunge und Metal. Im Interview sprechen die Brüder Sebastian (37) und Sascha Madsen (34) über ihre Ängste und das Leben als Rockstars.
Sie haben bei einem Unterlabel von Nuclear Blast unterschrieben. Wie fühlt es sich an, bei einem Schwermetall-Flaggschiff unter Vertrag zu stehen?
Sebastian Madsen: Es ist lustig und zugleich total geil. Weil wir zum ersten Mal in unserer Karriere bei einem Indie-Label sind. Hinter Nuclear Blast stecken leidenschaftliche Musikliebhaber! Das haben wir bei den Majors irgendwann ein bisschen vermisst.
Sascha Madsen: Für mich gab es überhaupt keine Zweifel mehr, als wir das erste Mal in Donsdorf waren und die Label-Leute kennengelernt haben. Bei den Majors hatten wir es viel mit jungen dynamischen Typen zu tun. Und bei Nuclear Blast arbeiten einfach geile Nerds! Bei denen läuft immer Mucke im Büro.
Wurde von Nuclear Blast erwartet, dass Ihre Musik noch härter wird?
Sebastian Madsen: Es gab nicht den Plan, uns umzuformen. Aber sie sagten, ein Metal-Song von uns wäre richtig geil!
Zu Ihren Labelkollegen gehören Metal-Götter wie Slayer, Anthrax, Machine Head und Doro. Wollten Sie die schon immer mal persönlich kennenlernen?
Sebastian Madsen: Wir waren erst einmal da und hörten dort immer die Geschichte, dass Slayer gern zum Flippern vorbeikommen. Und überhaupt keinen Bock haben, über Business zu reden. Sie wollen lieber Bier trinken, Flippern und Fleisch essen.
Slayer wollen bald in Rente gehen. Wie geht es Ihnen nach 14 Jahren im Rock-Geschäft?
Sebastian Madsen: Ich habe einen Tinnitus. Bei mir piept’s permanent. Aber ich habe noch mein komplettes Hörvermögen und das Piepen hindert mich nicht beim Einschlafen. Man kann nicht wirklich etwas dagegen tun. Ich muss beim Musikmachen aufpassen, dass ich immer etwas in den Ohren habe. Danach ist es immer ein bisschen lauter, aber es normalisiert sich wieder.
Welche Rolle spielt der Zeitgeist bei Ihrer Musik?
Sebastian Madsen: Wir haben ein klassisches Rockalbum aufgenommen mit Ausflügen in die Elektronik und den New Wave. Das ist eigentlich das Uncoolste, was man machen kann. Aber gerade deswegen machen wir es auch. Schon als Jugendlicher fand ich Nischenmusik immer am geilsten. Aber ich mochte auch Dendemann und die Fanta 4, weil ihre Songs eine Botschaft hatten. Aber diese geht im Hip-Hop gerade flöten. Deswegen sind wir jetzt da mit dem klassischen Rock. Liebe Jugendliche, wir wären bereit! (lacht)
Sie sind im Wendland aufgewachsen. Inwieweit hat die dortige Protestkultur der 80er-Jahre Sie geprägt?
Sebastian Madsen: Wir haben die Gewalt vonseiten des Staates und die Aushebelung der Demokratie mitgekriegt. Wenn man schon als kleiner Junge sieht, wie ein Polizist einer alten Frau ohne Grund mit dem Knüppel auf den Kopf haut, dann bleibt das hängen. In Gorleben wurden Leute, die ruhig und friedlich protestierten, mit Wasserwerfern weggespült. Das prägt einen. Bands wie Ton Steine Scherben, die damals gar nicht mehr aktuell waren, haben uns aus der Seele gesprochen. Ihre Musik ist – leider – zeitlos.
Sind Sie später bei Demos immer ganz vorne mitgelaufen?
Sascha Madsen: Wir haben immer friedlich demonstriert! Ich habe viel zu viel Schiss, um in der ersten Reihe zu stehen und die Fäuste zu schwingen. Wir gehören eher zu denen, die ruhig die Masse unterstützen. Ich bin mal von einem Wasserwerfer den Abhang runtergespritzt worden. Das ist kein schönes Gefühl.
Sebastian Madsen: Wir sind Pädagogen-Kinder. Gewalt ist nie eine Option! Aber in der Musik kann man seine Wut rauslassen. An Rock- und Punkkonzerten mochte ich immer, dass man sich mit anderen zusammen auf eine produktive Art verausgaben kann.
In Ihrem Album werden eigene Ängste und Zweifel thematisiert. Wieso gerade jetzt?
Sebastian Madsen: Weil es mich betrifft! Zwischenzeitlich habe ich überlegt, ob ich alles an den Nagel hänge. Vielleicht war es Erschöpfung, die bei jedem irgendwann kommt, der lange eine Sache macht. Plötzlich hatte ich in der Öffentlichkeit Panikattacken, Angstzustände und wahnsinniges Lampenfieber. Ich hatte das Gefühl, weglaufen zu wollen, konnte mich aber nicht bewegen. So was kannte ich von mir bis dahin nicht.
Was haben Sie dann getan?
Sebastian Madsen: Wir haben eine Pause gemacht, und ich bin in den Urlaub gefahren. Und im Urlaub habe ich dann das erste Stück fürs Album geschrieben: „Wenn es einfach passiert". Das ist jetzt auch schon wieder drei Jahre her. Mit der Zeit habe ich alles wieder in den Griff gekriegt und mit vielen Musikerkollegen gesprochen. Ich habe gemerkt, dass Panikattacken und Angststörungen ein großes Thema sind. Gefühlt geht es jedem zweiten Sänger so. Es reden aber nicht alle offen darüber. Ich habe es gleich gemacht und es tat gut. Und dann habe ich mir Tipps eingeholt; deswegen brauchte ich auch keine Therapie.
Was hilft gegen die Angst?
Sebastian Madsen: Gerade, wenn diese Angst kommt, kann ich nur dagegen arbeiten, indem ich mich ihr stelle und rausgehe. Sie darf nicht gewinnen. Wenn sie das schafft, habe ich ein richtiges Problem. Es war wahnsinnig schwierig, dem entgegenzusteuern, aber zu gewinnen ist ein sehr gutes Gefühl. Beim ersten Lied ist es oft noch komisch gewesen, aber beim zweiten hatte ich schon vergessen, warum ich eigentlich Angst hatte. Das ist ein Selbstheilungsprozess. Ab und zu kommt es wieder hoch. Dann sagt der große Sebastian zum kleinen: „Beruhig dich! Du kannst auch auf der Bühne umfallen. Dann nimmst du dir ein Snickers, legst die Füße hoch und es wird wieder". Aber ich werd’ auch nicht umfallen.
Was genau löste bei Ihnen Panikattacken und Angststörungen aus?
Sebastian Madsen: Ich habe in der Zeit nicht viel geschlafen und viel gefeiert. Ich glaube, ich habe meinen Körper überfordert. Dann haben wir eine Radioreise durch ganz Deutschland gemacht und anschließend musste ich Konzerte spielen. Es gab keinen Leerlauf. Verbunden mit dem Erwartungsdruck, dass ich beim letzten Album dachte: „Jetzt muss es aber mal krachen! Raus aus dem Mittelfeld nach vorne. Jetzt machen wir das große Ding". Das ist aber kein gesunder Gedanke. Es war vollkommen klar, dass das nicht funktioniert. In dieser Richtung bin ich jetzt entspannter und wieder der Alte. Ich weiß auch nicht, was mich da geritten hat. Manchmal spinnt man halt einfach.
Wie glamourös ist das Rock’n’Roller-Dasein?
Sascha Madsen: Man kann immer nur wieder Keith Richards zitieren, der den schönen Satz gesagt hat: „30 Jahre Rock‘n‘Roll ist 28 Jahre Warten". Es gibt in unserem Umfeld nicht viele Bands, die es 14 Jahre schaffen und sieben Alben machen. Weil es zum Teil auch richtig harte Arbeit ist. Man muss es sich erkämpfen.
Sebastian Madsen: Man muss sich die Momente erkämpfen, in denen es nicht mehr wie Arbeit erscheint. Das sind die Konzerte, die Ernte von allem. Ich will auch nichts anderes tun. Es ist einfach toll, wenn dir ein paar Tausend Leute deine Texte entgegenschmettern und dich feiern. Davon kann ich mich nicht frei machen.
Setzen Sie sich selbst unter Druck durch die Arbeit im Studio?
Sascha Madsen: Diesmal eigentlich gar nicht. Wir sind es echt entspannt angegangen, indem wir die Basis für acht Stücke auf Band aufgenommen und diese erst mal liegengelassen haben. Ein paar Tage vor der zweiten Studiosession hat Sebastian noch ein Lied geschrieben und wir haben alles über den Haufen geworfen.
Sebastian Madsen: Mit dieser Arbeitsweise sind wir dem Studiokoller entflohen. Normalerweise kriegst du den spätestens nach zwei Wochen und fängst an, Störgeräusche zu hören, wo keine sind. Wir leben und arbeiten jetzt bewusster.
Ernähren Sie sich auch bewusster?
Sascha Madsen: Zum Teil ja. Man wird ja auch nicht jünger. Wenn man jede Nacht nur das frisst, worauf man Bock hat, dann kriegt man später dafür die Rechnung. Man muss einfach immer ein bisschen aufpassen.
Sebastian Madsen: Aber niemand wird uns die Freude am Grillen nehmen!
Hat Ihre neue Plattenfirma Ihnen vorgeschlagen, das Album in den USA mit einem Starproduzenten aufzunehmen?
Sascha Madsen: Das haben sie leider nicht gemacht, weil wir von vornherein wussten, dass wir das Album mit unserem Jugendfreund Simon Frontzek machen wollten. Er hat bei der Vorgängerband von Madsen Keyboard gespielt und ist dann bei Tomte eingestiegen. Und er hat in Berlin ein Studio aufgebaut.
Ein Song heißt „Mein erstes Lied". Haben Sie sich beim Songschreiben anfangs immer zugedröhnt?
Sebastian Madsen: Um Gottes willen, nein! Das funktioniert nicht. Es ist aber schon vorgekommen, dass ich nach einer Feier nach Hause gekommen bin, und ein Text lag noch auf dem Tisch. Den habe ich dann wirklich mit besoffenem Schädel hervorragend zu Ende gebracht. Aber das ist eine Ausnahme. Am besten schreibe ich nachmittags beim Kaffee in meinem kleinen Büro. Das ist eigentlich der Band-Hobbyraum über unserem Proberaum im Wendland. Ich lebe eigentlich in Berlin. Manchmal schreibe ich auch im Kopf beim Spazierengehen.
Das Lied „Keiner" drückt die Sehnsucht nach der analogen Zeit aus. War früher alles besser?
Sebastian Madsen: Der Unterschied von digital zu Band ist unfassbar groß. Viele glauben das nicht. Ich hatte darüber mal ein Streitgespräch mit Breiti von den Toten Hosen. Er kommt aus den 80ern und ist froh, keine Bänder mehr zu haben. Bei „Keiner" hat mir übrigens Arezu Weitholz geholfen, die Texterin von Herbert Grönemeyer. Seit „Mein Herz bleibt hier" schreibt sie auf jedem unserer Alben mindestens ein Lied mit. Wir haben uns hingesetzt und über soziale Netzwerke gesprochen.
Werden auch Ihre Konzerte über den Bildschirm eines in die Höhe gereckten Smartphones verfolgt?
Sebastian Madsen: Es hält sich in Grenzen und war schon mal schlimmer. Es ist selten unangenehm und hat auch Vorteile. Ein paar Tage nach einer Tour gucken wir immer gern auf Youtube nach, was es von uns für neue Live-Videos gibt. Wir sind diesbezüglich eine Streberband, weil wir wahnsinnig viel proben. Das nehmen wir sehr ernst. Wir haben als Live-Band einen guten Ruf. Die Läden sind immer voll und wir versuchen stetig, uns zu verbessern beziehungsweise das Level zu halten.
Lohnt es sich in Zeiten von Streamingdiensten überhaupt noch, Platten zu machen?
Sascha Madsen: Allein mit Platten haben wir noch nie Geld verdient. Wir hatten mal einen Künstlerexklusivvertrag mit einem Label, da hätten wir sechsstellige Stückzahlen erreichen müssen, damit wir an den Lizenzen beteiligt gewesen wären. Uns wurde immer erzählt, von zehn Veröffentlichungen verdiene eine Geld und bezahle die anderen neun. Ob es immer noch so ist, weiß ich nicht.
Was verdient man mit Streaming?
Sebastian Madsen: Bei Spotify haben wir 300.000 Follower, aber das hat sich auf meinem Konto noch nicht bemerkbar gemacht. Ich finde es praktisch, dass man auf Spotify Musik entdecken kann. Wenn einem eine Platte gefällt, kauft man sie sich auf Vinyl. Das ist das Mindeste, was man als Musiker tun kann. Ansonsten kann man froh sein, dass so viele Leute Musik überhaupt hören und Bock haben, auf Konzerte zu gehen.