Vor 100 Jahren wurde in Berlin im Verlauf der Novemberrevolution eine radikale Künstlervereinigung gegründet – die Novembergruppe. Eine Ausstellung in der Berlinischen Galerie zeigt jetzt die Werke von 69 Künstlern – darunter Grafiken, Gemälde, Skulpturen und Fotografien.
Die Zukunft der Kunst und der Ernst der jetzigen Stunde zwingt uns Revolutionäre des Geistes zur Einigung und engem Zusammenschluss. Wir richten daher an alle bildenden Künstler, welche die alten Formen in der Kunst zerbrochen, die dringende Aufforderung, ihren Beitritt zur ‚Novembergruppe‘ zu erklären." So hieß es in einem Rundschreiben, das 1918 in der Villa Gurlitt in der Potsdamer Straße verfasst wurde. Zu den Unterzeichnern gehörten unter anderen Max Pechstein und César Klein. Innerhalb weniger Monate traten rund 170 Künstler der neu gegründeten Gruppe bei – darunter fast 50 aus dem Redaktionsumfeld der Zeitschrift „Sturm". Außerhalb von Berlin gründeten sich Ortsgruppen – unter anderem in Kiel, Stuttgart und Hamburg.
Gerade war der Erste Weltkrieg vorbei, 17 Millionen Tote hatte er in Europa gefordert. Soldaten- und Arbeiterräte betraten die politische Bühne – alle Zeichen standen auf Revolution. Auch die Künstler schlossen sich dieser Aufbruchsstimmung an – ein Manifest wurde verfasst, in dem sich die Novembergruppe dazu bekannte, Rückstand und Reaktion „mit allen zur Verfügung stehenden Kräften bekämpfen zu wollen".
Wie sie das mit künstlerischen Mitteln umsetzte, das ist jetzt in der Berlinischen Galerie zu sehen. Bis März nächsten Jahres wird hier eine Ausstellung unter dem Titel „Freiheit – Die Kunst der Novembergruppe 1918 bis 1935" gezeigt. Im Vorfeld standen umfangreiche Recherchen des Kuratorenteams um Janina Nentwig und Ralf Burmeister, die 119 Werke von 69 Künstlern zusammengetragen haben. Darunter 48 Gemälde, 14 Skulpturen, zwölf Architekturmodelle und -zeichnungen, Grafiken und Filme.
Sie habe sich die beiden vergangenen Jahre intensivst mit der Novembergruppe beschäftigt, erzählt Janina Nentwig. In mühevoller Kleinarbeit wertete sie alte Ausstellungskataloge aus, fand dabei heraus, bei welcher Schau welcher Künstler vertreten war und machte sich dann mit manchmal geradezu detektivischem Gespür auf die Suche nach den einzelnen Kunstwerken.
600 Werke wurden ausfindig gemacht
„Es waren um die 3.000 Kunstwerke, die die Novembergruppe zwischen 1919 und 1935 im Rahmen ihrer regelmäßig stattfindenden Ausstellungen zeigte. Davon konnte ich ungefähr 600 ausfindig machen und von diesen 600 waren immerhin noch 400 Exponate erhalten."
Verstreut allerdings auf der ganzen Welt – teilweise in öffentlichen Sammlungen, teilweise in Privatbesitz. Eigentlich ist Kuratorin Nentwig fast erstaunt, dass sie 100 Jahre nach Gründung der Novembergruppe doch eine beeindruckende Zahl ihrer Werke ausfindig machen konnte. Denn wenn man sich mit der klassischen Moderne beschäftige, habe man in der Regel das Problem, dass durch die NS-Zeit und den Zweiten Weltkrieg vieles verloren gegangen oder zerstört worden sei.
In diesem Fall aber ist es den Ausstellungsmachern gelungen, eine Vielzahl von Werken in der Berlinischen Galerie zusammenzutragen, die die Vielfalt der künstlerischen Ansätze der Novembergruppe dokumentieren. Und dabei ging es dem Kuratorenteam darum, nicht nur die Stars der Moderne zu zeigen, sondern auch Künstler hervorzuholen, die eine Wiederentdeckung verdienen.
„Wir zeigen neben einem Paul Klee ein Gemälde von Max Dungert, das ist ein Künstler, den heute kaum noch jemand kennt", sagt Janina Nentwig. „Oder neben einem Piet Mondrian, einem niederländischen Konstruktivisten, sehen Sie ein Bild von Walter Dexel, einem deutschen, abstrakten Maler." Die Paarung von Stars der Avantgarde wie Otto Dix, Walter Gropius, George Grosz und Hannah Höch mit einigen ihrer weniger bekannten Zeitgenossen, beispielsweise Moriz Melzer, Otto Möller, Hans Richter und Emy Roeder, zeigt Parallelen auf, macht aber auch unterschiedliche Interpretationen ähnlicher Themen deutlich. Ein Gewinn für den Ausstellungsbesucher.
Und wie haben die Kuratoren das Material strukturiert? Wie wird der Besucher durch die spannende, von reichlich Höhen und Tiefen, gezeichnete Geschichte der Novembergruppe geführt? Man erzähle die Entstehung und Entwicklung der Künstlervereinigung durch die Geschichte ihrer Ausstellungen, betont Janina Nentwig.
1919 hatte die Gruppe ihren ersten öffentlichen Auftritt im Glaspalast am Lehrter Bahnhof – in eigens ihr zugewiesenen Räumen wurden 170 Werke von rund 80 Mitgliedern gezeigt. Die Kritiken in der Presse waren verheerend – so schrieb die „Berliner Zeitung" von einem „Lachkabinett, in dem es nichts als ein Sammelsurium von Farben, Linien und Unentzifferbarem" gäbe.
Manchen nicht revolutionär genug
Davon freilich ließen sich die Mitglieder der Novembergruppe nicht verunsichern – höchstens anspornen. Radikal wollte man nicht nur bei der Suche nach einer neuen künstlerischen Formensprache sein, radikal war auch die Forderung nach öffentlicher Teilhabe und Mitsprache in allen die Kunst betreffenden Fragen.
So verlangten die Künstler bei „allen Aufgaben der Baukunst als einer öffentlichen Angelegenheit" und bei der Neugestaltung der Kunstschulen und ihres Unterrichts miteinbezogen zu werden. Gemeinsam wollten sie auf die Kunstpolitik Einfluss ausüben.
Von 1919 bis 1932 realisierte die Novembergruppe knapp 40 Ausstellungen, auch außerhalb Berlins und im Ausland, veröffentlichte Publikationen und veranstaltete Konzerte, Lesungen, Feste und Kostümbälle.
„Es geschah das Wunder, dass sich mit wenigen Ausnahmen alle als eine Gemeinschaft fühlten, moralisch verpflichtet, an das Gute im Menschen zu glauben und die bestmögliche Welt zu erschaffen", beschrieb der Kunsthistoriker Will Grohmann die kollektive Aufbruchsstimmung. Manchen allerdings war die Ausrichtung der Novembergruppe nicht revolutionär genug – im Sommer 1921 trennten sich elf Mitglieder von der Vereinigung – darunter auch Otto Dix und Hannah Höch.
Hingegen wurden ab dem Beginn der 20er-Jahre die Architekten in der Gruppe immer wichtiger – die Novembergruppe entwickelte sich zu einem Forum für das Neue Bauen. Diese funktionale Architektur verfolgte eine klare, nüchterne Formensprache. Entwürfe und Modelle für Hochhäuser gehörten dazu – etwa für einen Hochhausturm an der Friedrichstraße, präsentiert von Hans Poelzig und den Brüdern Luckhardt.
Die meisten dieser Projekte konnten während der Inflationsjahre bis 1924 nicht verwirklicht werden. Denn die Bauwirtschaft lag am Boden, und für Architekturschaffende gab es kaum Aufträge. In dieser schwierigen Situation bot ihnen die Novembergruppe eine wichtige Plattform, um wenigstens mit ihren Visionen in den Ausstellungen öffentlich präsent zu sein. Ab 1923 gestalteten die Baukünstler innerhalb der Novembergruppen-Ausstellungen sogar eigene Säle. Dort zeigten sie nun unabhängig von der bildenden Kunst ihre Projekte. In der Presse wurden diese Räume besonders gelobt, was zu Missstimmungen innerhalb der Gruppe führte. Anfang 1927 traten die Architekten nahezu geschlossen aus. Das moderne Bauen wurde fortan vom Bauhaus und der Architektenvereinigung „Der Ring" vertreten.
Andererseits öffnete sich die Novembergruppe anderen künstlerischen Sparten – Schauspiel und Tanz, Literatur und Film. Das neue Medium Radio wurde miteinbezogen – ein ganzer Abend von Mitgliedern der Künstlergruppe gestaltet – so trugen Bertolt Brecht und Carl Zuckmayer live Gedichte vor. Doch nur wenige Jahre später führte diese Offenheit für jegliche neue künstlerische Ansätze zum Aus. Ab Ende der 20er-Jahre sank die Mitgliederzahl rapide, 1932 nahmen nur noch vier Novembergruppen-Mitglieder an der „Großen Berliner Kunstausstellung" teil.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde die Künstlervereinigung als „kulturbolschewistisch" diffamiert – aber nicht offiziell verboten. Längst war sie zu unbedeutend geworden.