Das Jahr 2018 war für die deutsche Fußballnationalmannschaft eins der schlechtesten in ihrer Geschichte. Es werden Erinnerungen an die Zeit nach 1990 wach, als die Deutschen über Jahre unbesiegbar schienen.
Ein hoffnungsvoller Anfang
Die Zeichen standen zu Beginn des Länderspieljahres eigentlich optimal für die deutsche Nationalmannschaft. Nach einem starken Confed Cup 2017 und einer souveränen Qualifikation zur Weltmeisterschaft 2018 in Russland schien der DFB voll im Soll. Starke Auftritte in zwei Freundschaftsspielen gegen Spanien und Frankreich rundeten das Jahr ab. 2018 konnte also kommen.
Dann im März folgte eine Niederlage gegen ein starkes Brasilien, als Warnzeichen wurde diese Niederlage nicht interpretiert. Im Hinblick auf die WM wurden aber – zumindest in Bezug auf die Wahl des Mannschaftshotels – erste Bedenken geäußert. Watutinki, eine russische Siedlung im Randbezirk von Moskau, schien den hohen Standards des DFB nicht gerecht zu werden. Gewählt wurde es trotzdem. Kurz vor dem finalen Trainingslager und der Kadernominierung sorgten Ilkay Gündogan und Mesut Özil dann durch ihren Auftritt mit dem türkischen Präsidenten Erdogan für einen ordentlichen Skandal, der das Geschehen in Deutschland sowohl politisch als auch sportlich für die kommenden Monate bestimmen sollte. Die beiden als Vorbilder für Integration gepriesenen Spitzensportler verloren das Wohlwollen der Fans und Zuschauer und konnten es auch nicht mehr zurückgewinnen. In der Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft war dies eine Katastrophe und wohl auch ursächlich für die schlechte Stimmung. Das traditionelle Trainingslager in Südtirol verlief ohne weitere große Vorkommnisse und wirkte von außen sehr harmonisch. Die folgenden Auftritte gegen Österreich und Saudi-Arabien ließen zumindest erste Zweifel an der Leistungsfähigkeit dieser Mannschaft zu. Gegen den Nachbarn setzte es die erste Niederlage seit 32 Jahren, gegen schwache Saudis gab es einen knappen 2:1-Sieg.
Die Kadernominierung
Den ersten großen Aufschrei gab es dann bei der Bekanntgabe des Kaders. Im gewohnt pompösen Stil verkündete Jogi Löw, wer dem 23-Mann-Kader angehören wird. Großes Erstaunen herrschte unter den Anwesenden, als der Name Leroy Sané auf der Streichliste zu finden war. Sané spielte bei Manchester City eine herausragende Saison, wurde zum besten jungen Spieler der Premier League gewählt – fehlte aber dann im Kader des DFB.
Die WM 2018
Der Start gegen den wohl stärksten Gruppengegner Mexiko ging bei der Weltmeisterschaft in Russland sofort daneben. Die Mannschat von Jogi Löw verlor in Bestbesetzung nach einem uninspirierten Auftritt und fragwürdigen taktischen Entscheidungen des Trainers mit 0:1. Es war das erste verlorene Auftaktspiel einer deutschen Mannschaft bei einem großen Turner seit 1982. Gegen unangenehme Schweden im zweiten Gruppenspiel sah es weitestgehend nicht gerade gut aus. Nach einem etwas besseren, aber ebenso faden Auftritt stand es nach 90 Minuten 1:1. Und nur Toni Kroos’ fulminantem Freistoß war es zu verdanken, dass dieses Spiel in letzter Sekunde noch zu einem Sieg gedreht wurde. Das vorzeitige Ausscheiden wurde somit abgewendet, das Weiterkommen war wieder in der eigenen Hand. Diese Hoffnung hielt jedoch nicht lange, gegen den vermeintlich schwächsten Gruppengegner Südkorea stand am Ende eine peinliche 0:2-Niederlage zu Buche. Seit dem Turnier von 1938 hatte der DFB immer die K.-o.-Phase oder die Zwischenrunde bei Weltmeisterschaften erreicht. Kein heute noch lebender Nationalspieler kannte das Gefühl, bei einer WM in der Vorrunde auszuscheiden. Nun kennen es 23.
Die Causa Özil
Das erste Lebenszeichen nach der verkorksten Weltmeisterschaft setzte dann die ehemalige Nummer 10 des DFB. Mesut Özil trat aus der Nationalmannschaft zurück – nicht aus sportlichen Gründen. Er unterstellte dem DFB systematischen Rassismus, beschuldigte den Präsidenten Reinhard Grindel und viele andere aus dem inneren Zirkel des Verbandes.
Nach der WM: Die Nations League
Vier Spiele, zwei Niederlagen, zwei Unentschieden; drei Mal gute Kritiken und eine vernichtende nach dem 0:3 in den Niederlanden: Das ist die Bilanz der deutschen Nationalmannschaft nach der ersten Gruppenphase der Nations League. Im letzten Heimspiel des Jahres spiegelte sich genau das gesamte Jahr der Nationalmannschaft wider: Der Gegner wurde zwar klar beherrscht, einen Sieg gab es trotzdem nicht. Jogi Löw relativierte: „Eine junge Mannschaft braucht manchmal eine solche Erfahrung, um es in Zukunft besser zu machen." Der Bundestrainer gehe jedenfalls „mit einem sehr guten Gefühl" in das Jahr 2019.
Zwei Wettbewerbe innerhalb eines Jahres mit nur einem Sieg und dem jeweils letzten Gruppenplatz abzuschließen, hätte in der Vergangenheit eher zu einer Trainerdiskussion als zu einer weitgehenden Übereinstimmung mit demjenigen geführt, der die Perspektive in hellen Farben zeichnet. „Da wächst auf jeden Fall etwas zusammen", sagte Leroy Sané im Duktus des Bundestrainers. Sané steht mehr als alle anderen für den notwendigen Umbau im Kader. Bei der WM, bei der er – aus welchen Gründen auch immer – schmerzlich vermisst wurde, schleppte sich das deutsche Spiel von links nach rechts, ein bisschen nach vorn und noch weiter zurück. Vor allem wegen des inzwischen fast schon etablierten Angriffs im zuletzt gewählten 3-4-3 mit Sané, Serge Gnabry und Timo Werner geht es wieder schnell nach vorne. Tempo ist der Schlüssel zum Erfolg im Angriffsdrittel, das zeigt sich auch bei den meisten Vereinsmannschaften der Extraklasse.
Die Zukunft
„Wir müssen uns hinterfragen und Maßnahmen ergreifen. Es geht darum, wie die Lösungen für die Zukunft aussehen", sagte Bundestrainer Joachim Löw nach dem letzten Spiel im Kalenderjahr 2018. Doch wie könnten die aussehen? Sowohl bei der unglücklichen Niederlage gegen Frankreich als auch beim überzeugenden Testspielsieg gegen Russland kamen Elemente ins deutsche Spiel zurück, die zuletzt gefehlt hatten: Tempo und Tiefe. Löw und sein Trainerteam haben die zurückliegende WM klar analysiert und die Schwachstellen ausgemacht: „Bei der WM haben wir gesehen, dass die Dynamik und der Killerinstinkt gefehlt haben. Es war manchmal sehr in die Breite angelegt. Das Spiel muss wieder zielstrebiger Richtung Tor stattfinden. Die Ansätze gegen Frankreich und Russland waren gut."
Dabei helfen sollen vor allem neue oder neuere Gesichter, die nun ihre Stärken einbringen können. Niklas Süle mausert sich so langsam zum Innenverteidiger Nummer eins – in der Nationalmannschaft und beim FC Bayern München. Sein enormes Tempo gepaart mit seinem guten Vertikalspiel in die Hälfte des Gegners macht ihn in Zukunft eigentlich unverzichtbar. Im Mittelfeld wird Toni Kroos in Zukunft nicht mehr die alleinige Verantwortung für den Spielaufbau und Spielübergang ins letzte Drittel tragen. Mit Joshua Kimmich, der nun auf der Sechs statt rechts hinten agieren soll, gibt es einen zweiten Ankerpunkt im zentralen Mittelfeld, der als Anspielstation in der Zentrale dient. Auf der offensiveren Mittelfeldposition hat Kai Havertz angedeutet, dass er ein legitimer Nachfolgekandidat für Mesut Özil sein kann. Der Leverkusener überzeugte bei seinem Länderspieldebüt mit jener Art in seinem Spiel, die sich am besten mit Selbstverständlichkeit beschreiben lässt. Er spielt Bälle in die Tiefe, aber nur wenn die Situation auch wirklich passend ist. Auffällige Dribblings oder schwierige Pässe sind keine Elemente, die man in seinem Spiel oft wiederfindet. Ganz vorne scheint es in Zukunft auf eine Lösung mit einem sehr flexiblen Sturmtrio hinauszulaufen. Timo Werner, Leroy Sané und Serge Gnabry zeigten zuletzt, wie gefährlich ein ständig rochierendes Trio ist, das immer wieder Wege in die Tiefe anbietet. Diese Interpretation der nominellen Flügelstürmerposition dürfte vor allem den erfahrenen Kräften wie Thomas Müller und Marco Reus entgegenkommen. Weil die drei Stürmer ohnehin permanent die Positionen wechseln und nah aneinander agieren, tauchen sie nur noch selten am Flügel auf – hier konnten weder Müller noch Reus in der Nationalmannschaft wirklich überzeugen.
Die jüngeren Spieler machen nun ordentlich Druck auf die etablierten Spieler, der modifizierte Spielstil kommt ihnen durchaus entgegen. Löw wird sich daran messen lassen müssen, wie er die richtige Mischung findet. Süle, Kimmich, Goretzka, Gnabry und auch der hochveranlagte Kai Havertz können durchaus eine neue Mannschaft prägen – sollte der Bundestrainer sie lassen. Zwischen der ganzen Frische dann Spieler wie einen Toni Kroos und einen Ilkay Gündogan beispielsweise einzubauen, kann nur von Vorteil sein. Ob ein Thomas Müller oder ein Jérôme Boateng noch eine Zukunft in diesem Spiel haben werden und wie lange Löw noch an einem Marc-André ter Stegen vorbeikommen wird, dürfte sich in den ersten Monaten des Jahres zeigen.