Karim Bellarabi wollte es in diesem Jahr allen zeigen, kollabierte dann aber in der Vorbereitung, wurde nach einer Roten Karte einen Monat gesperrt. Sein Foul bezeichnete Uli Hoeneß als „geisteskrank". Doch der Ex-Nationalspieler ist zurückgekommen – und im Moment vielleicht besser denn je.
Mitte September schien die Karriere von Karim Bellarabi endgültig auf der Kippe zu stehen. Der Flügelflitzer, der elf Länderspiele absolvierte und 2016 sogar im vorläufigen EM-Aufgebot der Nationalmannschaft gestanden hatte, war schlecht in die Saison gestartet. Selbst in einer ebenfalls schlecht gestarteten Mannschaft von Bayer Leverkusen war er nur wieder Ergänzungsspieler gewesen, hatte in den ersten beiden Partien nur einmal für 13 Minuten mitspielen dürfen und wurde nun, am dritten Spieltag bei Bayern München, auch wieder erst in der 72. Minute eingewechselt. Auf 18 Einsatzminuten brachte es der in Berlin geborene und in Bremen aufgewachsene Deutsch-Marokkaner aber nicht mal mehr. Nach nur acht Minuten trat er Bayern-Spieler Rafinha fies in die linke Hacke und sah die Rote Karte.
Bayern-Präsident Uli Hoeneß schimpfte, das Foul sei „geisteskrank" gewesen: „Das war vorsätzliche Körperverletzung. Sowas gehört drei Monate gesperrt – und zwar für Dummheit!" Der DFB sperrte Bellarabi immerhin für vier Spiele. Sportchef Rudi Völler verteidigte seinen Spieler natürlich und sagte: „Karim ist sicherlich nicht geisteskrank." Das Foul fand aber offenbar auch er dermaßen unmöglich, dass er erklärte, ohne Hoeneß’ Spott wäre die Sperre wohl noch länger ausgefallen. Als Trainer Heiko Herrlich Bellarabi dann auch noch im ersten Europa-League-Spiel in Rasgrad 90 Minuten auf die Bank setzte, obwohl er eigentlich rotieren ließ und Bellarabi durch seine Zwangspause in der Bundesliga nun keine Doppelbelastung mehr hatte, schien der 28-Jährige endgültig am Tiefpunkt angelangt.
Denn es war zuvor schon einiges schiefgelaufen. Nachdem ihn Bundestrainer Joachim Löw 2016 im letzten Moment noch aus dem EM-Aufgebot gestrichen hatte, war es überhaupt nicht mehr gelaufen für Bellarabi. Nach einer ganzen starken Saison mit 17 Torbeteiligungen in der Liga hatte Borussia Dortmund 36 Millionen Euro für ihn geboten, woraufhin ihn Leverkusens Sportchef Rudi Völler als „unverkäuflich" bezeichnete. Doch in der Saison 16/17 verletzte er sich am dritten Spieltag und fiel mit einem Muskelbündelriss für den Rest des Jahres aus. In der Rückrunde war er dann nicht mehr der Alte, erzielte nur zwei Bundesliga-Tore, in den letzten drei Saisonspielen wurde er – obwohl fit – gar nicht mehr eingesetzt. Die Saison 17/18 sollte für ihn wie für Bayer zum Neuanfang werden. Dem Verein gelang dies, Bellarabi nicht. Obwohl er verletzungsfrei durchgekommen war, wurde er nur in 24 von 34 Bundesliga-Spielen eingesetzt, nach seinem Tor am zweiten Spieltag gegen Hoffenheim traf er die ganze Saison über nicht mehr.
Sechs Tore in zwölf Tagen
Also sollte diese Saison ein erneuter Neuanfang werden. Herrlich redete ihm ins Gewissen und appellierte an seine Ehre. „Ich habe ihn immer gefragt, ob er den Hunger noch hat", berichtete der Trainer. „Und ich habe ihm gesagt, dass es Leute hier im Umfeld gibt, die meinen, er hätte diesen Hunger nicht mehr. Da habe ich schon gespürt, dass er sich angegriffen gefühlt hat und beweisen möchte, dass er den Hunger hat." Er habe ohnehin gespürt, dass Bellarabi „sehr motiviert aus dem Urlaub gekommen" sei: „Ihm war auch klar, dass er hier schon mal ein größerer Leistungsträger war und dass die vergangene Saison nicht sein Anspruch sein kann."
Vielleicht war Bellarabi am Ende sogar übermotiviert. Im Vorbereitungsspiel in Wuppertal Ende Juli ging er nach seiner Auswechslung in der Halbzeit duschen und setzte sich auf die Bank. Dort kollabierte er dann bei großer Hitze plötzlich. „Ich wusste 20, 30 Minuten nicht, was los ist", sagte er später der „Bild"-Zeitung. Bellarabi musste eine Nacht im Krankenhaus verbringen, Herz- und Gehirntests wurden durchgeführt. Obwohl diese ohne nennenswerten Befund blieben, blieb der Schock. „Man macht sich viele Gedanken, wie das passieren kann. Gerade, wenn man im Krankenhaus liegt", sagte Bellarabi. Er habe offenbar zu wenig getrunken, mutmaßte Herrlich.Es folgte der schwache Saisonstart mit all den bereits erwähnten Begleiterscheinungen. Die Wende kam dann ab dem 20. Oktober. Im Spiel gegen Hannover kam Bellarabi eine Viertelstunde vor Schluss zu seinem Comeback und rettete durch sein Tor in der Nachspielzeit das 2:2. Fünf Tage später erzielte er bei der 3:2-Niederlage in der Europa League in Zürich beide Leverkusener Tore, wieder drei Tage später traf er beim 2:6-Sieg in Bremen einmal und bereitete zwei weitere Treffer vor, und nochmal drei Tage später war er beim 0:5-Erfolg im Pokal in Mönchengladbach zweimal erfolgreich. Sechs Tore innerhalb von zwölf Tagen hatte Bellarabi erzielt. Er war wieder da – und wurde prompt von Muskelbeschwerden gestoppt.
Doch nun war er wieder Stammspieler. Leistungsträger. Torschütze. Vorbereiter. „Er strotzt vor Selbstbewusstsein", konstatierte Herrlich. „In der Phase, in der wir unser kleines Zwischenhoch hatten, war er der wesentliche Faktor im Offensivbereich."
Spannend bleibt, ob es auch für Bellarabi nur ein Zwischenhoch war, oder ob seine Karriere wieder Fahrt aufnimmt. Nach zwei komplett verkorksten Spielzeiten, einer schweren Verletzung, einem Zusammenbruch in der Vorbereitung, einer „geisteskrank"-Beleidigung und einer Rotsperre. Es ist unwahrscheinlich, aber vielleicht würde ein Dauerhoch Bellarabi sogar wieder zurück in die Nationalmannschaft führen. In das neue Löw-System mit drei Stürmern und schnellen Außen würde er jedenfalls gut reinpassen.