1.000 neue Kohlekraftwerke für die Stromversorgung in Afrika: Das wäre das Aus für die Ziele des Pariser Klimaabkommens. Entwicklungsminister Gerd Müller wirbt deswegen auf dem UN-Klimagipfel in Katowice offensiv für die „Allianz für Entwicklung und Klima". Ziel ist ein klimaverträglicher wirtschaftlicher Aufstieg für Entwicklungs- und Schwellenländer.
Herr Dr. Müller, Sie sind gemeinsam mit Umweltministerin Svenja Schulze auf dem UN-Klimagipfel. Ist ein Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung nicht eigentlich für die Bekämpfung des Hungers in der Welt zuständig?
Der Kampf gegen Hunger und Armut ist auch weiterhin meine Hauptaufgabe. Wir dürfen aber nicht die Augen vor dem Kliamawandel verschließen. Ohnehin hängen Klimawandel und Hunger untrennbar miteinander zusammen. Wir hier in Deutschland erleben ja gerade, was es heißt, wenn drei Monate kein Regen fällt. Doch zum Beispiel in Somalia oder dem Tschad hat es schon drei Jahre nicht mehr geregnet. Die Pflanzen sind verdorrt, Tiere liegen tot am Straßenrand. Eine absolute Katastrophe für die Menschen dort. Beim Klimaschutz geht es also um die Überlebensfrage der Menschheit – und da ist nun mal mein Ministerium, da bin ich gefragt.
Und gerade in afrikanischen Staaten oder auch in Indien wird die Bevölkerung laut Prognosen weiter wachsen.
Ganz genau. Die Zahlen sprechen für sich: In Afrika haben 600 Millionen Menschen keinen Stromanschluss. Die Bevölkerung wird bis 2050 um eine Milliarde Menschen weiter wachsen. Natürlich wollen sie alle Elektrizität. Wenn aber jeder Haushalt einen Stromanschluss auf der Basis von Kohle bekommt, müssten 1.000 neue Kohlekraftwerke gebaut werden. Dann brauchen wir in Europa nicht weiter über Klimaschutz zu diskutieren. Die Zukunft unseres Klimas entscheidet sich maßgeblich auch in Afrika.
Die Industrieländer sind mit Kohlestrom groß geworden. Wieso sollten ausgerechnet die armen Länder stattdessen auf viel kostspieligere umweltfreundliche Technologien setzen?
In 30 Jahren sind die Kosten viel höher. Jeder Deutsche emittiert zehn Tonnen CO2 pro Jahr, 100 Mal so viel wie Somalia. Die Treibhausgase werden aber massiv steigen. Die Bevölkerung Afrikas und Indiens wird in den nächsten 30 Jahren auf vier Milliarden Menschen anwachsen. Verkehr, Bau, Industrie – alles wird zunehmen. Deswegen müssen wir jetzt Afrika mit klimafreundlichen Zukunftstechnologien zum grünen Kontinent machen. Und den Menschen bei der Anpassung ihrer Landwirtschaft helfen, zum Beispiel durch effiziente Bewässerungssysteme oder die flächendeckende Einführung von hitzeresistentem Saatgut.
Aber liegt der Schwerpunkt nicht bei der ökologischen Energiegewinnung?
Das ist ganz wichtig, denn wenn die aufstrebenden Länder in Asien und Afrika ihren Aufschwung auf der Basis von Kohle und Öl erreichen, dann können wir in Europa so viel CO2 einsparen wie wir wollen. Indien und die afrikanischen Länder werden in 20 Jahren das Doppelte und Dreifache von dem verursachen, was wir Europäer derzeit emittieren. Darum müssen wir jetzt helfen, den bevorstehenden Boom mit alternativer Energie zu gestalten."
Denken Sie da auch an die Klima-Flüchtlinge?
Ja. Wenn sich die Entwicklung in den nächsten 20 Jahren so fortsetzt, werden wir möglicherweise bis zu 100 Millionen Klimaflüchtlinge haben. Der Klimawandel raubt ihnen ihre Lebensgrundlage. Die reichsten zehn Prozent der Welt verursachen 50 Prozent der CO2-Emissionen. Von den Folgen sind am stärksten die armen Länder betroffen. Wo nichts mehr angebaut werden kann, weil die Äcker verdorren oder wo der Meeresanstieg die Küsten unbewohnbar macht, dort werden sich die Menschen auf den Weg machen. Deshalb müssen wir handeln.
In vielen der von Ihnen genannten Ländern schlummert Kohle im Boden. Wie wollen Sie die Menschen dort von Ihren Zielen überzeugen – alternative Energie ist doch erst mal teurer als heimischer Kohlestrom?
Das ist klar. Darum haben wir die „Allianz für Entwicklung und Klima" gegründet. Damit gewinnen wir zusätzliche private Investitionen für Projekte in Entwicklungs- und Schwellenländern. Die Firmen und Behörden werden ihren CO2-Ausstoß weiter reduzieren. Die verbleibenden Emissionen kompensieren sie durch Klima- und Entwicklungsprojekte in Entwicklungs- und Schwellenländern. Wir ermöglichen ihnen so auch einen klimaverträglichen, wirtschaftlichen Aufstieg. Der Allianz haben sich bereits 70 Unternehmen, Behörden und Vertreter der Zivilgesellschaft angeschlossen.
Es gibt also schon Signale von Unternehmen, bei der Allianz für Entwicklung und Klima mitzumachen?
Ja natürlich, denn auch dort sieht man die Klimaproblematik. Ich hoffe, dass sich die Anzahl der Mitglieder in der Allianz im nächsten Jahr verzehnfachen wird. Übrigens, mein Ministerium wird bis 2020 klimaneutral sein, andere Bundesministerien wollen folgen.
Und auf der Seite der Entwicklungs- und Schwellenländer: Gibt es da konkrete Zusagen?
Selbstverständlich. Das ist ja das Besondere am Pariser Klimaabkommen. Jeder Staat muss seine Hausaufgaben machen und eigene Klimaschutzpläne vorlegen, auch die Entwicklungsländer. Vor zwei Jahren haben wir eine Partnerschaft gegründet, 83 Staaten gehören ihr bislang an. Wir unterstützen Entwicklungs- und Schwellenländer dabei, ihre Klimaverpflichtungen aus Paris schnell und effektiv umzusetzen. So helfen wir zum Beispiel Uganda, bis 2030 90 Prozent aus erneuerbarer Energie zu gewinnen. Auch hier bin ich sicher, dass die Allianz in den nächsten Jahren weiter wachsen wird.