Als SPD-Chefin Andea Nahles ankündigte „Wir wollen Hartz IV hinter uns lassen", gab es auf etlichen Seiten großes Aufatmen. Die Idee eines Bürgergeldes als Grundsicherung gilt aber als zu kompliziert. Verdi-Chef Frank Bsirske plädiert für eine bedarfsgerechte, sanktionsfreie Grundsicherung, die sich an der Tariflohnentwicklung orientiert, bei entsprechender Anhebung des Mindestlohns.
Herr Bsirske, was muss bei Hartz IV aus Ihrer Sicht dringend geändert werden?
Ver.di ist ganz klar dafür, dass wir Hartz IV überwinden und ein sanktionsloses und bedarfsgeprüftes Mindestsicherungssystem für die Menschen einführen müssen. Das ist übrigens nichts anderes, was ja auch schon das Bundesverfassungsgericht angemahnt hat. Hartz IV bildet das Existenzminimum ab, was die Menschen zum Leben einfach brauchen. Also sind Sanktionen und damit das Kürzen von Hartz IV nicht statthaft, weil unter das Existenzminimum kann man nun mal nicht drunter. Das geht nicht, das ist schon mit der Würde des Menschen nicht vereinbar.
Würde eine sanktionsfreie Grundsicherung dann nicht die ganze Agenda – Arithmetik von Fördern und Fordern durcheinanderbringen?
Ja natürlich, aber wir wollen ja auch zu einem neuen, gerechteren System der Mindestsicherung. Das wollen aber natürlich Union, FDP oder andere interessierte Kreise in dieser Form nicht, sie wollen weiterhin eine Grundsicherung, die weiter mit Sanktionen unterlaufen werden kann. Doch wer weiter mit Sanktionen in diesem Bereich arbeiten möchte, der muss dann konsequenterweise neben Hartz IV und den Regelsätzen, so etwas einführen wie die damalige Arbeitslosenhilfe. Doch genau das Gegenteil hat man ja gemacht, man hat die Arbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe auf dem Niveau der Sozialhilfe zusammengelegt. Und die Sozialhilfe konnte man auch schon vor 2004 nicht mit Sanktionen belegen.
Also heißt das für Sie als ver.di-Chef, Hartz IV weiterentwickeln und soziale Grundsicherung für jeden festschreiben?
Ja, anders geht es nicht, und das ist eine Forderung, die wir von ver.di schon seit 15 Jahren, seit der Einführung der Agenda 2010 fordern. Ich finde es schön, dass sich nun tatsächlich auch andere politische Kräfte an diese Forderung plötzlich erinnern.
Damit meinen Sie die SPD und ihre Forderung nach einem Bürgergeld?
Na, was die SPD da genau vorhat, ist ja noch weitestgehend unklar, denn es wurden ja noch überhaupt keine konkreten Beträge genannt, außer, dass dieses Bürgergeld für die Menschen auskömmlich sein soll. Aber klar ist, dass das SPD Bürgergeld nicht auf dem Niveau der Hartz-IV-Grundsicherung zu machen ist, da müssen die Regelsätze angehoben werden. Das heißt, der SPD-Vorschlag geht klar in die Richtung, die die Linkspartei ja schon gefordert hat und was übrigens auch Grünen-Chef Robert Habeck angemahnt hat. Daher müsste sich das SPD Bürgergeld dann so im Rahmen um 1.000 Euro im Monat bewegen.
Aber das ist nicht das bedingungslose Grundeinkommen für jeden?
Nein, eine bedingungslose Grundsicherung würde dann ja jedem zustehen, also dem Millionär, dem Pensionär und der Rentnerin, die von ihren Einkünften nicht die Miete zahlen kann. Das macht ja keinen Sinn und hat überhaupt nichts mit sozialer Gerechtigkeit zu tun. Sondern, hier geht es ganz klar darum, dass Menschen ein auskömmliches Leben führen sollen, und ich denke da auch im Besonderen an die vielen zukünftigen Rentnerinnen und Rentner, die aufgrund der Rentenkürzungen, Probleme bekommen werden, bei Erreichen der Rente ihr bisheriges Lebensniveau halten zu können.
Das hieße, der Mindestlohn muss deutlich angehoben werden, weil sonst der derzeitige Mindestlohn unter diese neue Grundsicherung rutschen würde?
Ganz genau, das sind ja kommunizierende Röhren – Grundsicherung und Mindestlohn. Das eine wird nicht ohne das andere funktionieren, und darum müssen wir bereits jetzt über einen Mindestlohn sprechen, der weit über 10 Euro liegen muss und zwar schon in absehbarer Zeit. Ab dem 1. Januar 2019 liegt der gesetzliche Mindestlohn bei 9,19 Euro, ab 2020 soll dann der Mindestlohn auf 9,39 Euro angehoben werden. Aber wenn wir bis dahin tatsächlich eine bedarfsgesteuerte Mindestsicherung für Bedürftige haben sollten, dann muss man auch darüber nachdenken, ob der Mindestlohn nicht bei irgendwas um die 12 Euro liegen sollte, damit die, die arbeiten gehen, tatsächlich auch mehr haben als die, die nicht arbeiten …
Mit der Forderung nach einem wesentlich höheren Mindestlohn haben Sie ja vor gar nicht allzu langer Zeit schon mal verbal reichlich Prügel vor allem von der Wirtschaft bezogen …
… oh ja, da wurden reichlich viele Horrorversionen entworfen, die übrigens alle nicht eingetroffen sind. Die Arbeitslosen sind nicht mehr geworden, wie gerade von der Wirtschaft prognostiziert, sondern wir haben derzeit so viele sozialversicherungspflichtig Beschäftigte wie nie zuvor. 4,5 Millionen Jobs wurden dank des Mindestlohns überhaupt erst zu vernünftigen Arbeitsverhältnissen. Man darf aber bei der Angleichung des Mindestlohns auch den Zeitfaktor nicht vergessen. Die DGB-Gewerkschaften haben bereits 2010 einen Mindestlohn von 8,50 Euro gefordert. Wieder gab es viel Geschrei. Eingeführt wurde dieser dann aber erst fünf Jahre später. Nach dieser Logik heißt das: Wenn ich heute einen Mindestlohn von 12 Euro fordere, dann wird dieser vermutlich erst in fünf Jahren Realität werden.
Also hinkt der Mindestlohn immer irgendwie der Tariflohnentwicklung um Jahre hinterher?
Genau das ist das Problem, und deswegen müssen wir jetzt mal einen neuen, gerechteren Weg gehen. Denn die Tariflohnentwicklung geht voran, die Renten werden automatisch angeglichen. Grundlage dazu sind die Tarifabschlüsse, und auch die Grundsicherung wird dementsprechend angepasst. Nur der Mindestlohn hinkt hinterher, und das geht nicht. Darum fordere ich ganz klar: Die Angleichung der Mindestlöhne in Deutschland muss sich an den Tarifabschlüssen des Vergangenen, oder der letzten zwei Jahre orientieren. Mein Vorschlag, in absehbarer Zeit einen Sprung des Mindestlohns nach oben, wobei die 12 Euro eine gute Orientierung sind, und dann muss der Mindestlohn regelmäßig nachgesteuert, sprich angeglichen werden.
Sie sind ja politisch bei Bündnis 90 – Die Grünen organisiert, wie wirkt denn der Grüne Höhenflug momentan auf Sie, woran liegt das?
Die Grünen sind tatsächlich in der Mitte der Gesellschaft angekommen und haben sich also für eine breite Wählerschaft geöffnet, haben aber gleichzeitig nicht ihre Kernkompetenzen aufgegeben. Sie sind also eine durchweg verlässliche Partei. Und sind sachorientiert, das haben ja schon die Jamaika-Verhandlungen vor einem Jahr gezeigt. Sie wollten Verantwortung übernehmen und haben Kompromisse gemacht, doch ein Herr Lindner von der FDP hat dann ganz klar gekniffen. Und ich glaube, diese Verlässlichkeit in der Sache trägt momentan zum Erfolg der Grünen bei.
Nun könnte es ja in den kommenden Jahren geschehen, dass die Grünen doch wieder in eine Bundesregierung eintreten. Wäre da dann ein Grüner Bundesarbeitsminister Frank Bsirske denkbar?
Also ein grüner Arbeitsminister ist immer gut denkbar und wäre für die Arbeitnehmer im Land sicherlich ein Gewinn. Doch dieser grüne Bundesarbeitsminister wird definitiv nicht Frank Bsirske heißen.