Making worlds meet for a better city – dafür sorgen, dass verschiedene Nationen zusammenkommen und die Stadt besser machen: Das ist das Motto der Initiative „Give Something Back to Berlin". Ob Student, Besucher, Flüchtling: Hier kümmern sich Menschen aus ganz verschiedenen Ländern ehrenamtlich um andere. Sie wollen einer für alle offenen Stadt etwas zurückgeben.
„Du lebst in Berlin oder kommst hierher, wann immer es deine Zeit und dein Geld erlauben. Du kannst dir keinen besseren Ort vorstellen, obwohl du manchmal das Gefühl hast, dass ‚es vorher besser war‘. Du profitierst von den günstigen Mieten, genießt die multikulturellen Viertel und die dynamische Kunstszene. Du liebst die Sonntage in Galerien, Cafés, in der Panorama-Bar und im Mauerpark, die billigen Snacks und die schicken neuen Pop-up-Restaurants. Du kaufst Drogen von deinem Dealer aus dem Kiez, lachst über lustige Hunde und verrückte Charaktere, trinkst Bier am Kanal und triffst interessante neue Leute aus der ganzen Welt. (…) In Berlin kannst du Gedichte schreiben, musizieren, rund um die Uhr clubben, mit Fremden vögeln, deine Firma gründen, Klamotten entwerfen, dich Goethe, Humboldt oder Hegel nahe fühlen, weniger arbeiten oder tun, was dein Konzept eines guten Lebens auch sein mag." – Klingt nach einem neuen Berlin-Roman, oder? Diese Sätze sind aber etwas ganz anderes: Sie waren die Initialzündung für das größte nicht-deutschsprachige Netzwerk von Ehrenamtlichen in der deutschen Hauptstadt.
Geschrieben hat diese Worte kein hipper Pop-Literat, sondern die Schwedin Annamaria Olsson. Die Germanistik-Studentin und Journalistin veröffentlichte diesen Post im Mai 2012 auf Facebook. Damals ahnte sie nicht, dass er sich schneeballartig verbreiten würde. Denn Olsson schrieb nicht nur von dem ganz besonderen Hauptstadtgefühl der Zugezogenen und der „Freiheit, die dir in deiner langweiligen Heimatstadt fehlte". Sondern sie beschrieb auch ihre Vision von sozialem Engagement in der Spree-Metropole.
Die Leute lernen voneinander
Sie schrieb von der Idee, Berlin etwas zurückzugeben. So entstand der Bandwurmname, der der Beginn von Olssons sozialem Start-up-Unternehmen wurde: Give Something Back To Berlin (GSBTB). Es entstand eine Plattform für Neu-Berliner aus aller Welt. Damit konnten sie Kontakte knüpfen und ihre Fähigkeiten ehrenamtlich in sozialen Projekten einbringen.
Sechs Jahre später: Es ist ein sonniger Herbstnachmittag an einer kleinen Straße nahe dem Hermannplatz in Berlin-Neukölln. Jenem Stadtteil der Hauptstadt, in dem die meisten Migranten leben. Da, wo die anatolische Mama mit Kopftuch auf ihre Landsmännin mit Plateauschuhen, dickem Make-up und schwarzer Wallemähne trifft. Dort, wo hinter den beiden Frauen plötzlich ein junger Mann mit Bart und Basecap auftaucht – in kalifornischem Englisch diskutiert er per Smartphone über die neuste Musik-Software. Alles Alltag – mittlerweile kommt fast jeder vierte Berliner aus dem Ausland, hier treffen sich mehr als 190 verschiedene Nationen.
Auch die Gründerin von GSBTB sitzt draußen in einem Neuköllner Café. Es liegt direkt vor den Räumen ihrer Organisation. Annamaria Olsson erinnert sich noch genau, was sie damals dazu bewegte, den oben erwähnten Facebook-Post ins Netz zu setzen: „Ich hatte Sorge, dass es so viele parallele Welten in Berlin gibt, die nicht voneinander profitieren, die sich nicht miteinander austauschen", erläutert die Schwedin in fließendem Deutsch. „Aber wenn man einander nicht kennt, entstehen schnell Vorurteile." Die 34-Jährige nimmt einen Schluck aus ihrer Bio-Limonade und erzählt, dass sie gegen Fremdenfeindlichkeit ein Zeichen setzen wollte. Gegen die politische Entwicklung in ganz Europa, in der nationalistische und populistische Parteien einen immer größeren Zulauf finden. „Mit GSBTB wollte ich eine Plattform schaffen, auf der die Leute voneinander lernen und die verschiedenen Welten sich treffen können." Von Anfang an wählte sie ganz bewusst Englisch als Geschäftssprache für ihre Idee. „Es gab damals viele ehrenamtliche Vereine in Berlin, aber sie waren alle deutschsprachig", sagt sie. „Aber wie sollen Migranten so etwas finden können, wenn sie noch kein oder nur wenig Deutsch sprechen?"
Sie selbst musste sich durchbeißen, als sie 2012 ihr Projekt gründete. Besonders als Nicht-Deutsche und als Frau, so empfand sie es: „Man braucht schon viel Power, um anerkannt zu werden", sagt sie. „Was Frauen machen, wird unterschätzt." Von dieser Geringschätzung war sie teilweise genervt.
Trotzdem hielt die Skandinavierin durch. Die ersten beiden Jahre leitete sie GSBTB ehrenamtlich neben ihrem Job als Journalistin. Unterstützt
wurde sie anfangs nur durch ihren damaligen Freund.
Spenden und Partnerschaften
Heute schaut das Ganze schon ganz anders aus: Kurz vor halb sechs am Abend herrscht im offenen Sprach-Café von GSBTB viel Trubel. Kleckerweise kommen Menschen verschiedener Nationen und Altersklassen an. Sie gießen sich dampfend heißen Tee ein, knabbern an Keksen, setzen sich an einen der fünf Tische. Was auf den ersten Blick wie ein reines Durcheinander aussieht, ist es nicht: Die Plätze sind nämlich verschiedenen Lernniveaus zugeordnet. Analog zu den Eingruppierungen bei Sprachkursen setzen sich die absoluten Anfänger an den A1-Tisch. Die Runde mit dem „B2"-Papierschild ist den weit fortgeschrittenen Deutsch-Lernern vorbehalten. Jeder Gruppe ist ein ehrenamtlicher Deutschlehrer zugeordnet – und schon geht es los, von einfachen Sätzen wie „Guten Tag, ich komme aus …" bis hin zu den fiesen Fallstricken der deutschen Grammatik.
Mit von der Partie ist auch Kenan Harrouk. Der 22-jährige Syrer leitet das offene Sprach-Café, ist Organisator und Ansprechpartner zugleich. Ständig beantwortet er Fragen der Teilnehmer, geleitet sie zu ihren Plätzen. Dabei jongliert er gekonnt zwischen Arabisch und Deutsch, je nachdem, wer ihn fragt. Noch vor drei Jahren konnte Kenan Harrouk selbst kein einziges Wort Deutsch. Über den Libanon, die Türkei, Griechenland und Österreich ist der frühere Literaturstudent aus Damaskus nach Deutschland geflohen. Seit diesem Semester studiert er Soziale Arbeit. „Die erste Woche war ziemlich anstrengend", gibt er zu.
Nicht nur das Sprach-Café hat im Haus eine Adresse gefunden: Da gibt es Angebote zum Sprachenlernen, Singen und Kochen übers Job-Coaching bis hin zum Open Art Shelter und anderen kunsttherapeutischen Projekten. Mittlerweile ist Olssons Freiwilligenbörse zu einem Unternehmen mit zehn festen Mitarbeitern, vier Praktikanten und zahlreichen Ehrenamtlern angewachsen. Die Möglichkeit, als „Gast" etwas zurückzugeben, zugleich anderen beim Ankommen vor Ort zu helfen und ansonsten nebeneinanderher existierende Kulturen miteinander zu verschränken: Dieses Konzept hat weit über Berlin hinaus Beachtung gefunden. Vom schwedischen Königspaar über den Bildungsminister von Dubai bis hin zur UN-Botschafterin der USA haben schon viele nationale wie internationale Größen die Organisation besucht. Mittlerweile finanziert sich die Plattform komplett durch Spenden und Partnerschaften.
Den Erfolg ihres Unternehmens erklärt sich Annamaria Olsson unter anderen damit, dass es so flexibel ist. Das Projekt lasse sich anpassen und ändere sich mit den Bedürfnissen der Menschen. „Ich bin nicht diejenige, die entscheidet. Das macht die Community." In Zukunft werde GSBTB seine psychosozialen und therapeutischen Angebote ausbauen. So soll es bald zusätzliche Räume für eine Art Erholungszentrum nahe dem brandenburgischen Marxdorf geben. Mit noch mal einem neuen Ansatz: „Dort sollen sich auch Unternehmen engagieren. Sie sollen als Teil der Lösung zum Gemeinwohl beitragen", sagt Annamaria Olsson. Man glaubt ihr sofort, dass sie auch diese Aufgabe bewältigen wird.