Keine Küche, kein Tisch, kein Bett – und sein Hab und Gut passt in einen Rucksack. Joachim Klöckner lebt seit über 20 Jahren als Minimalist.
Wie viele Dinge er zurzeit genau besitzt, weiß Joachim Klöckner auch nicht so genau. Rund 50 dürften es wohl sein, schätzt er, doch eine exakte Zahl zu nennen, fällt dem 69-Jährigen schwer. „Soll ich die Strümpfe als Paar zählen oder doch jede Socke für sich? Und was ist mit Papiertüchern und Zahnstochern – zählt da auch jeder einzeln?" Fest steht, dass Klöckners Besitz überschaubar ist. Wo andere für den Umzug einen Möbelwagen brauchen, nimmt er einfach seinen Rucksack. Umziehen mit Handgepäck: Das sei nur einer der Vorteile, die sein Lebensstil mit sich bringt, meint er.
Joachim Klöckner ist Minimalist, seit über 20 Jahren schon. Was nicht heißt, dass er sich nicht auch manchmal etwas gönnen würde. Er liebt Cappuccino und Nussecken oder Sushi beim Japaner um die Ecke. Gern besucht er auch Ausstellungen von Designhochschulen oder geht in Designergeschäfte. „Ich erfreue mich daran, Dinge anzuschauen, die gut gemacht sind. Aber ich habe trotzdem nicht das Gefühl, dass ich sie haben muss", sagt er. Seine These: „Gerade weil ich zu Hause nicht derart mit solchen Dingen überfrachtet bin, kann ich sie draußen viel mehr genießen."
Schränke gibt es in Klöckners Wohnung keine, auch keine Küche, kein Tisch, kein Bett. Geschlafen wird stattdessen in einer Hängematte, gearbeitet und gegessen auf dem Boden. Für andere mögen die Räume deshalb leer erscheinen, doch für ihn sind sie voll: voller Luft, voller Energie, voller Platz, um sich zu entfalten. „Wenige tote Dinge erlauben mir mehr Zeit, Energie und Raum für Lebendiges", sagt er. Ein bisschen sei es so, als wenn jemand seinen Schreibtisch aufräumt, und alles, was irgendwie ablenken könnte, wegstellt. Auf einmal sei dort viel mehr Platz für wohltuende Dinge – eine Tasse Tee etwa oder eine Schale mit Nüssen zum Knabbern. „Wenn man dieses Ausmisten auf die wichtigste Aufgabe überträgt, die wir haben – das Leben –, dann hat man plötzlich viel mehr Zeit und Raum für das wirklich Wichtige: den Menschen."
Plötzlich viel mehr Zeit für das Wichtige
Für Joachim Klöckner zählen andere Dinge mehr als materieller Besitz. Das war nicht immer so. Wenn man über Katzen sagt, sie hätten sieben Leben, hat Klöckner mindestens drei. In seinem ersten Leben war er Maschinenbauer. Doch nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 beschloss er, etwas für die Zukunft zu tun. 15 Jahre arbeitete er danach als Energieberater für diverse Unternehmen. Bereits Mitte der 90er-Jahre erdachte er eine intelligente Einfamilienhaussteuerung – heute würde man es wohl als Smart Home bezeichnen. In dieser Zeit arbeitete er nicht selten 70 bis 80 Stunden pro Woche, er ignorierte sogar einen Tumor. Erst als er eines Tages bei Tempo 160 auf der Autobahn einnickte und in die Leitplanke krachte, wurde ihm bewusst, dass es so nicht weitergehen konnte. Er entschleunigte und entrümpelte seinen Alltag – sein drittes Leben hatte begonnen.
„Es gab eine Zeit, in der ich einen kompletten Hausstand besaß. Das erste Mal gemerkt, dass ich den Großteil davon gar nicht brauche, habe ich nach einer Trennung, als ich das meiste einfach zurückgelassen habe", sagt Klöckner. Mit der Zeit hat er seinen materiellen Besitz immer weiter reduziert. Auch er schafft sich zwar gelegentlich etwas Neues an, in der kälteren Jahreszeit zum Beispiel dicke Socken und warme Winterstiefel, aber ebenso leicht trennt er sich später wieder davon. Dabei wird nichts weggeschmissen; stattdessen spendet Klöckner Aussortiertes an Flüchtlingsunterkünfte oder Second-Hand-Läden.
„Für mich ist das mittlerweile ganz selbstverständlich", sagt er. Als seinen wichtigsten Besitz bezeichnet er sein i-Pad, weil es „super multifunktional" ist. Darauf hat er seine Dokumente gespeichert, Bücher und Musik, er schreibt darauf, zeichnet und geht ins Internet. „Dieses eine Gerät ersetzt Hunderte Bücher, Dokumentenordner und ein ganzes CD-Regal", sagt er. „Ich liebe die digitale Welt." Überhaupt sucht Klöckner ständig nach Möglichkeiten, die Zahl der Gegenstände in seinem Besitz weiter zu verringern, indem er sie multifunktional verwendet. Seinen Trinkbecher kann er zusammenfalten, sodass er auch als Müslischale dient; als Besteck verwendet er eine Löffel-Gabel-Kombination mit Messerkante – so reicht ein Stück Besteck für alle Mahlzeiten. Als Kleidung trägt er vorwiegend weiße Overalls und darunter gelbe T-Shirts, weil die in der Waschmaschine nicht abfärben und ressourcenschonend in einer Wäscheladung mitgewaschen werden können. Selbst bei öffentlichen Auftritten und Feiern, zu denen er eingeladen wird, erscheint er in diesem immer gleichen Outfit.
„Am Anfang steht immer das persönliche Wohlbefinden"
Im Zeitalter der Konsum- und Wegwerfgesellschaft könnte man das alles durchaus auch als ein politisches Statement verstehen, aber so war es eigentlich nie gemeint. „Ich möchte niemanden bekehren", betont Klöckner. Gleichwohl mache es ihm Spaß, andere Menschen dabei zu unterstützen, nachhaltig zu leben. Längst ist Joachim Klöckner zu einem Vorkämpfer des Minimalismus geworden. Regelmäßig wird er zu Talkshows eingeladen, in mehreren Fernsehsendungen hat er sein Leben dargestellt. Anfang des Jahres hat er auch ein Buch veröffentlicht: „Der kleine Minimalist: Praktische Erfahrungen für ein befreites, glückliches Leben." Ein zweites Buch ist derzeit in Planung.
Joachim Klöckner ist im Westerwald geboren, seine Kindheit verbrachte er jedoch größtenteils in Nordhessen. Danach lebte er lange Jahre in Berlin. Momentan hält er sich in Bonn auf, wo er an der Alanus-Hochschule Philosophie, Kunst und Gesellschaft auf Bachelor studierte. Sein zweites Buch wird wohl auch deshalb sehr viel philosophischer werden als das erste.
Klöckner beschäftigt sich darin mit Fragen des Selbstseins, der Verbundenheit und des Kooperierens. Es geht ihm darum, wie man nicht nur für sich selbst und für andere Gutes tun kann, sondern auch für das große Ganze der menschlichen Gesellschaft – Stichwort Nachhaltigkeit. Klöckner nennt es eine Win-win-win-Situation. Am Anfang aber stehe immer das persönliche Wohlbefinden. „Das gibt uns überhaupt erst den Raum, um uns um andere zu kümmern", sagt er. Klöckner hat dafür seinen ganz eigenen Lebensstil gefunden.