Bei der Taxierung des Alters fremder Personen liegen wir häufig ziemlich daneben. Australische Forscher haben in einer neuen Studie nachgewiesen, dass die Abweichung im Schnitt gut acht Jahre beträgt.
Bei der von Rudi Cerne moderierten ZDF-Reihe „Aktenzeichen XY … ungelöst" ist es fast der Normalfall, dass bei der Einschätzung des Alters der gesuchten Straftäter meist eine Abweichung von etwa zehn Jahren enthalten ist. Offenbar stützt sich die Kriminalpolizei dabei auf Statistiken oder Erfahrungswerte, wie sie auch jüngst wieder in einer von einem Forscherteam um den Experimental-Psychologen Prof. Colin Clifford von der University of New South Wales im australischen Sydney erstellten und im Fachmagazin „Royal Society Open Science" veröffentlichten Studie nachzulesen sind. Deren Probanden lagen bei der Schätzung des Alters von fremden Personen gut acht Jahre daneben.
Die Fähigkeit, das Alter anderer Personen richtig zu beurteilen, sei, so die Wissenschaftler, enorm wichtig für ein angemessenes Verhalten mit sozialen Kontakten. Die Wahrnehmung eines Gesichts spielt dabei eine ganz entscheidende Rolle, weil dabei nicht nur Informationen über Geschlecht, Stimmung oder Attraktivität abgeleitet, sondern auch Rückschlüsse auf das Alter der betreffenden Person gezogen werden. Allerdings sind die für die Alterstaxierung empfangenen Signale ziemlich unzuverlässig. Die Forscher wollten mit der bislang umfangreichsten psychologischen Studie dieser Art genauer ergründen, woran das liegt. 84 Probanden waren daran beteiligt, die in zwei verschiedene Gruppen aufgeteilt wurden: junge Psychologie-Studenten im Alter von 18 bis 25 Jahren sowie ältere, mit einem kleinen Taschengeld honorierte Teilnehmer aus dem lokalen Umfeld von Sydney zwischen 34 und 59 Jahren. Ihnen wurden Passfotos australischer Frauen und Männer im Alter zwischen sieben und 70 Jahren zur Alterstaxierung vorgelegt, jeweils 62 Gesichter pro Jahrgang, sodass insgesamt 3.968 Bilder zusammenkamen. Nur ein Teil dieser war original, die anderen Fotos waren durch graue Flächen leicht bis zu einem Drittel oder stark bis zur Hälfte verpixelt. Damit wollten die Forscher überprüfen, wie sich die Schätzgenauigkeit der Probanden, die das jeweilige Alter der gezeigten Person auf einer Skala von 1 bis 99 Jahren bewerten sollten, bei den verschiedenen Unkenntlichkeitsgraden verändern würde.
Genauigkeit hing von Alter und Reihenfolge ab
Wenig überraschend war, dass die Testpersonen bei den zur Hälfte verpixelten Fotos mit ihrer Schätzung am weitesten danebenlagen. Die Abweichung betrug elf Jahre. Bei den leicht verpixelten Bildern waren es immerhin auch noch zehn Jahre. Selbst bei den Originalen betrug die Fehlerquote in der Altersbeurteilung noch gut acht Jahre. Das war weitaus mehr, als frühere Untersuchungen ergeben hatten. Dabei entdeckten die Forscher zwei Faktoren, die einen ganz entscheidenden negativen Einfluss auf die Schätztreffsicherheit hatten und mit denen sich laut den Wissenschaftlern 95 Prozent der Abweichungen vom richtigen Alterswert erklären lassen.
Die Schätzgenauigkeit hing zum einen nämlich vom Alter der abgebildeten Person ab, sprich: Junge Personen wurden tendenziell von den Probanden zu alt und alte Personen tendenziell zu jung taxiert. Zum anderen spielte die Reihenfolge der Bilder eine wesentliche Rolle bei den Fehlurteilen, sprich: Die Testpersonen übertrugen häufig das Alter der Person auf einem Bild auf die Person, die im nächsten Foto zu sehen war. Das zuvor betrachtete Bild eines älteren Menschen erhöhte also den Schätzwert des Alters beim nächsten Bild. War zuerst ein junges Gesicht zu sehen, so wurde das Alter der Person auf dem nächsten Foto unterschätzt. War der Porträtierte im gleichen Alter wie die Testperson, verbesserte sich übrigens die Altersschätzung. Was die Forscher damit erklären, dass Menschen meist mit Gleichaltrigen Umgang pflegen und daher im Alltag überwiegend Gesichter im entsprechenden Alter sehen. Das soziale Umfeld sei daher, so die Forscher, ein ganz bedeutender Faktor bei der Alterstaxierung. Das sollte man ebenso beim alltäglichen Umgang miteinander berücksichtigen wie auch bei polizeilichen Ermittlungen.
Die Vorgänge, die sich im menschlichen Gehirn bei der Schätzung des Alters fremder Personen abspielen, hatte übrigens schon 2012 ein internationales Forscherteam aus Würzburg, Heidelberg, Nijmwegen und Oxford untersucht und die Ergebnisse im Fachjournal „PloS ONE" veröffentlicht. Das Alter von Gesichtern wird demzufolge über ein eigenes Aktivierungsmuster im hinteren Teil des menschlichen Hirns, genauer gesagt im unteren Scheitellappen und in der unteren Furche des Schläfenlappens, verarbeitet. Dieses Muster unterscheide sich deutlich von demjenigen, das für die Einordnung anderer Gesichtsmerkmale wie der Mimik genutzt wird. Auch ein senkrecht zu den beiden genannten Hirnarealen verlaufendes Nervenbahnbündel scheint eine wichtige Rolle bei der Alterstaxierung zu spielen. „Wir konnten nachweisen", so die Forscher, „dass dieses Faserbündel gerade die Bereiche besonders stark miteinander verbindet, die bei der Verarbeitung des Alters menschlicher Gesichter sehr aktiv sind."