Michelle Sachs übt einen uralten Beruf aus, zu dem sie sich von Anfang an hingezogen fühlte: Sie ist Vergolderin. Sie brachte die Berliner Staatsoper zum Leuchten und lässt Wände glänzen.
Der Satz „Guten Tag, ich bin Vergolderin" gefiel Michelle Sachs so gut, dass sie sich für diesen Beruf entschied. Da hatte sie gerade das Abitur in der Tasche und schaute sich beim Arbeitsamt ein Lexikon der Ausbildungsberufe an. Denn sie wollte gern mit den Händen arbeiten, an ein Studium dachte sie damals nicht.
Heute hat die erfolgreiche Vergolderin ihre Werkstatt in einem nahezu 100 Jahre alten Backsteingebäude in Berlin-Weißensee. Eine Restauratorin arbeitet halbtags als Angestellte mit ihr zusammen. Ein Schul-Praktikant lernt bei ihr das alte Handwerk von der Pike auf kennen.
Sie selbst hatte Glück mit der Ausbildung. Denn Werkstätten, wo man dieses Handwerk lernen kann, gibt es wenige. Eine ihrer zwei Bewerbungen traf ins Schwarze. Ein Wilmersdorfer Vergoldermeister, der sich auf Bilderrahmen spezialisiert hatte, bot ihr eine Lehrstelle an. Während der Lehre besuchte Michelle Sachs die Berufsschule für Farbe und Gestaltung in München. „Es ist die einzige Schule für Vergolder in Deutschland. Alle paar Monate musste ich für drei Wochen zum Blockunterricht nach Bayern", sagt sie. In ihrem Jahrgang waren sie 16 Auszubildende – und das für ganz Deutschland. Das galt als eine große Klasse. Nach drei Jahren hatte sich die zierliche Frau mit den brünetten Haaren ihren Berufswunsch erfüllt und konnte sich Vergolderin nennen.
Schon die alten Ägypter vor 4.000 Jahren kannten die Technik, Oberflächen mit feinstem Gold zu überziehen. Die deutsche Unesco-Kommission hat 2016 das heutige Vergolder-Handwerk als immaterielles Kulturerbe anerkannt. Das kommt Michelle Sachs sehr entgegen: Sie will den ebenso seltenen wie traditionsreichen Beruf auch für kommende Generationen erhalten.
In Berlin gibt es derzeit nur zehn Vergolder, in ganz Deutschland sind es 161. „Das hat den Vorteil, dass sich die kleine Gemeinde gut kennt und man sehr kollegial miteinander umgeht", sagt Sachs. Oftmals erhält die junge Frau Aufträge durch Empfehlungen oder auch per Mundpropaganda. Ihr Firmenlogo erinnert an das Signet der New Yorker Bank Goldmann Sachs, nur heißt es bei der 34-Jährigen „Gold Sachs", und das Blau des quadratischen Logos ist dunkler.
Eine einzige Schule für Vergolder in ganz Deutschland
Michelle Sachs hat sich in den sechs Jahren, in denen sie selbstständig arbeitet, auf Bauvergoldung spezialisiert. Das fing klein an, mit einer zu vergoldenden Ecke in einem Badezimmer: 2012 nahm sie als frisch gebackene selbstständige Vergolderin fast jede Arbeit an, auch von befreundeten Malerfirmen. „Ich habe häufig sogar Fensterrahmen lackiert, bis ich wieder einen Job in meinem gelernten Beruf hatte", sagt sie. So hangelte sie sich von Auftrag zu Auftrag. Und wuchs immer weiter in ihre heutige Profession hinein: Da war nicht nur die Badezimmernische, sie veredelte auch mal einen Fahrradständer. Langsam spezialisierte sich Michelle Sachs auf moderne Vergoldungen: „Fassmalerei, also das Vergolden von hölzernen Heiligenfiguren, ist auch schön, aber nicht so meins." Dann, peu à peu, kamen größere Aufträge.
Ein zweites Feld, das sie beackert, ist die moderne Veredelung: Glas, und vor allem Spiegel. „Vergolden kann man eigentlich alles", sagt die Handwerkerin. Mittlerweile hat sie ihr Auskommen. Die Werkstatt mit knapp 60 Quadratmetern mietete sie erst vor kurzer Zeit. Durch eine Reihe von Großaufträgen kann sie mittlerweile von ihrem Beruf leben.
Als die Sache mit dem Opernhaus klappte, wuchs sie in eine ganz neue Rolle hinein: 2016 war die Sanierung der Staatsoper Unter den Linden so weit gediehen, dass der Innenausbau anstand. Es wurden Vergolder gesucht. Freunde aus ihrem gut funktionierenden Netzwerk rieten ihr, sich zu bewerben. Michelle Sachs arbeitete ein Jahr im Opernhaus und ummantelte nicht weniger als sechs Kilometer Leisten mit Schlagmetall. Damit ist kein Gold gemeint, sondern Messing. Das ist für den Laien allerdings kaum zu unterscheiden. Für so einen großen Auftrag stellte sie sogar Mitarbeiter ein. Plötzlich war sie Chefin. Das war für sie ein großer Ansporn, demnächst auch selbst auszubilden.
Michelle Sachs nimmt ein kleines Heft aus einem Schränkchen. Zwischen den Seiten liegt orangefarbenes Seidenpapier. Darin befindet sich das besagte Schlagmetall. Das gibt es in Goldtönen, Silber- oder Kupferfarben. Die hauchfeinen Blätter haben die Abmessung acht mal acht Zentimeter. Sie sind mit einem fünftausendstel Millimeter verhältnismäßig dick, im Vergleich zu Blattgold. Das ist viel dünner, nämlich nur ein zehntausendstel Millimeter fein und kostet zwei Euro pro Blättchen. Zum Vergleich: Ein menschliches Haar ist 600 Mal dicker.
„Goldfarben" ist eine geradezu simple Bezeichnung für die 20 verschiedenen Töne, die Michelle Sachs aus ihrem Farbfächer hervorzaubert. „Mondgold" zum Beispiel, der passende Name für eine überirdisch schöne Farbe, ein Ton, der zwischen Gold und Blaugrün schimmert, wie Mondlicht. „Das ist meine Lieblingsfarbe", sagt sie lächelnd. Das Vergoldermesser, ein gepolstertes Brett, auf dem gearbeitet wird, und der „Anschießer" – das sind ihre wichtigsten Handwerkszeuge. Der Anschießer ist ein breiter Pinsel mit den Schwanzhaaren des sibirischen Eichhörnchens. „Anschießen" nennt man den Vorgang, wenn das Metallblatt auf den zu vergoldenden Gegenstand gelegt wird. Dabei spielt der Atem eine große Rolle. Ein feiner Hauch, unter das Blatt geblasen, sorgt dafür, dass es sich faltenlos ausbreitet. Transportiert wird die feine Folie stets mit dem Pinsel; an der eigenen Wange entlang gestrichen, werden die Härchen statisch aufgeladen, und das Metall haftet wie durch Magie an ihm.
Magie ist ein wichtiges Stichwort für das Handwerk des Vergolders. Denn wenn es um Gold geht, entsteht ein besonderer Zauber. Einerseits sind die Metallblättchen und die komplexe, langwierige Arbeit höchst kostenintensiv. Andererseits ist das Material derartig fein, dass es schon nicht mehr von dieser Welt zu sein scheint. Es wirkt materielos, märchenhaft, einfach magisch. Und so ein bisschen Zauberei ist das Vergolden ja tatsächlich: Der glänzende Überzug weckt die Illusion, der ganze Gegenstand bestünde aus massivem Gold.
Neben der Bauvergoldung arbeitet Michelle Sachs gern im modernen Design-Bereich. Ihre Spiegel sind von höchster Delikatesse: Auf eine Glasscheibe wird silberfarbenes Aluminium-Schlagmetall aufgebracht. Die Quadrate mit acht Zentimetern Seitenlänge stoßen nicht genau aneinander. Durch die feinen Fugen schimmert das Licht oder die Farbe der Wand. Auch das Metall selbst lässt Licht durchscheinen und wird per Oxidation verfärbt. An dieser Stelle fragt sich Michelle Sachs selbst manchmal, ob das noch Handwerk ist oder doch vielleicht schon Kunst.
Seit Ende November können die Besucher des Pergamon-Panoramas von Yadegar Asisi auf der Museumsinsel eine 200 Quadratmeter große Wand bewundern, die Michelle Sachs mit Messing und Kupfer veredelt hat. In ihrer Weißenseer Werkstatt liegen schon Proben für die Beschriftung in der James-Simon-Galerie, dem künftigen zentralen Empfangsgebäude der Museumsinsel. Demnächst wird Michelle Sachs eine 30 Quadratmeter große Wand in einem Designbüro vergolden, dafür veranschlagt sie eine Woche Arbeitszeit. Geduld, eine ruhige Hand, Kunstverständnis und das Glück der Tüchtigen – Michelle Sachs hat einem alten Handwerk wieder Leben eingehaucht. •