Der Mensch wird zum wandelnden Müllsack – da hilft kein Plastik-Verbot
Ein Teil unserer Familie bereitet schon im Frühherbst das Weihnachtsfest vor. So überraschten wir eine unserer Schwestern, als die das Lametta vom Vorjahr glättete. Das sei doch noch gut, sie brauche kein neues Glitzerzeug. Bei Oma und Mama kamen Anfang Januar Lametta, Christbaum-Kugeln und anderes Gedöns verpackt in den Keller und wurde zehn Monate später wieder herausgekramt. Wir erinnerten uns sehr intensiv an diese Zeit. Damals wurden wir mit einer Kanne zum Krämer um die Ecke geschickt, um lose Milch zu erstehen. Glasflaschen waren verpönt. Plastik gab es kaum.
Wir erinnerten uns aber auch intensiv an jene Sau, die von den Medien Ende Oktober durchs Dorf getrieben wurde. Das Europäische Parlament hatte sich für Verkaufsverbote vieler Einwegartikel aus Plastik ausgesprochen. Im Fernsehen zeigten sie dann Traumstrände, die voller Müll waren. Wer also im Urlaub vor dem europäischen Müll fliehen will, kann dann auf Bali durch vergammelte Trinkflaschen, Kaffee-Becher und Badelatschen waten.
Die Rettung der Weltmeere ist indes kein ausschließlich europäisches Thema. Vor Jahren erlebten wir, wie im indischen Goa 50 Meter hinter einer Ferienanlage die Abfälle unsortiert auf einen Haufen geworfen wurden. Plastik-Verpackungen, Zeitungen. Nun ist es nicht angebracht, mit einem Finger auf andere zu zeigen. Wie in der TV-Doku zu sehen war, brannten in Polen Deponien. Die nehmen alles Plastik aus Deutschland auf. Und oft wird das Zeug illegal in Brand gesetzt, was in den benachbarten Dörfern zu erheblicher Luftverschmutzung führt.
Das Thema interessierte uns noch einige Tage, als die einschlägigen Medien bereits eine andere Sau entdeckt hatten. Also: Verboten werden sollen zum Beispiel Trinkhalme, Wattestäbchen, Plastik-Geschirr. Auch aufgeschäumte Kunststoffe, oft für den Transport von Nahrungsmitteln eingesetzt, soll es nicht mehr geben. Während wir noch recherchierten, erreichte uns die Nachricht, dass ein Wal tot gefunden worden war – mit 80 Plastiktüten im Bauch. Auch blieb nicht verborgen, dass Mikroteile der Plastikflaschen von Fischen gefressen werden, die später als Frisch-Fang in einem französischen Edel-Fischladen oder in Stäbchen-Form auf unseren Tellern landen. Da lag es nicht fern, dass in einer österreichischen Studie festgestellt wurde: Die Mikroteile ließen sich in den Verdauungstrakten von Menschen finden. Der Mensch als wandelnder Müllsack.
Wer hat ein ernsthaftes Interesse daran, dass nicht mehr 80 Millionen Tonnen Müll im Meer landen, der größtenteils erst nach 500 Jahren verschwindet? Die Abgeordneten hatten sich viel Mühe gemacht. Aber durchsetzen können sie nichts. Das Thema muss erst in den EU-Staaten beraten werden. Das hehre Ziel der Parlamentarier: In acht Jahren sollen 90 Prozent recycelt werden.
Dann stießen wir aber noch auf eine seltsame Organisation. Es meldete sich das Centrum für europäische Politik und warnte: Ein Verbot von Plastik-Artikeln sei ein Eingriff in die Freiheit des Verbrauchers. Aufpreise für Kunststoffprodukte seien effizienter. Die wollen unser Geld. Was haben die geraucht, um sich so für unsere Freiheit einzusetzen? Besagtes Centrum ist gut verbandelt in der EU. Vorsitzender ist ein Professor, und dessen Vita führt uns zur Friedrich August von Hayek-Stiftung. Dieser Wiener gilt als einer der Gründer neoliberaler Bewegungen. Um es schlicht zu schreiben: Neoliberale Bewegungen sind Gruppierungen, denen in der Regel der wirtschaftliche Ertrag (Shareholder-Value bis Cum-Ex-Geschäfte) wichtiger ist als das Wohlbefinden normaler Bürger.
Einst hatten wir beschlossen, uns nicht mehr aufzuregen. Das mit dem Recyling in sieben Jahren, wenn wir 80 sind, wollen wir ja noch erleben. Wenn wir im kommenden Jahr mit dem Großneffen am Strand von Usedom spazieren gehen, halten wir ihm eine Plastikflasche ans Ohr und fragen ihn: „Hörst Du die Fische weinen?"